Rückkehr zur Diktatur

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Wer sich mit den Reaktionen zu den Geschehnissen in Ägypten befasst, entdeckt haarsträubende Widersprüche. Ein Beispiel: Ägyptens Militär habe das Land vor einer religiösen Radikalisierung durch die Muslimbrüder bewahrt. Man erinnere an die umstrittene Verfassung, die Sorgen um Frauenrechte und die Unterdrückung von religiösen Minderheiten auslöste. Diese Bedenken waren fundiert. Wer sich jedoch immer noch darauf behauptet, dass Kairos Streitkräfte dem Land Stabilität und ein friedliches Zusammenleben der unterschiedlichen Volksgruppen ermöglichen, muss … nun ja … entweder ein stark ideologisches Weltbild verteidigen oder die blutüberströmte Realität verkennen.

Seit dem Militärputsch am 3. Juli hat sich die ägyptische Gesellschaft derart polarisiert, dass eine friedliche Verhandlungsbasis nicht mehr gegeben ist. Hunderte größtenteils friedlich protestierende Anhänger Mursis wurden getötet. Armeechef al-Sisi treibt die Bärtigen Schritt für Schritt an den Rand der Gesellschaft. Und genau hierin liegt der Widerspruch: In verschiedenen Kreisen wird die gezielte Unterdrückung der Islamisten als sinnvoll betrachtet. Dass jedoch gerade diese Marginalisierung einer wichtigen Glaubensgemeinschaft erst eine Radikalisierung mit sich bringt, scheint so manchem Kaffeesatzleser zu entgehen. Welcher Islamist sollte nach Jahrzehnten der Unterdrückung unter Mubarak noch am politischen Prozess teilnehmen wollen, wenn sein demokratisch gewählter Präsident gestürzt und seine Glaubensbrüder getötet werden? Ist es nicht gerade diese vom Militär angewandte brachiale Gewalt, die aus – in der Tat ohnehin – extrem denkenden Individuen erst gewalttätige und antidemokratische Zeitgenossen macht?

Der Verweis darauf, dass die Muslimbrüder zu Regierungszeiten die Demokratie falsch verstanden haben, wirkt in diesem Kontext trotz der gescheiterten Regierungspolitik hölzern. Ja, es handelt sich bei einer Demokratie nicht um eine Machtübernahme, die einem den Freifahrtschein zu einem Gottesstaat beschert. Auch dieser Widerspruch ist einer von Islamisten dominierten demokratischen Rechtsordnung innewohnend.

Morden und politische Destabilisierung

Aber kann die Angst vor einer sich möglicherweise islamisierenden Gesellschaft derart groß sein, dass das Töten von Mitgliedern einer politischen Organisation sowie einer sozialen Bewegung durch die landeseigenen Streitkräfte an Legitimität gewinnt? Wer dem zustimmt, ist keinen Deut besser als jene Analysten, die sich immer wieder darauf behaupten, dass Diktator Baschar al-Assad mit seinem Töten im Bürgerkrieg Syriens Souveränität vor aus dem Ausland finanzierten Dschihadisten beschützt. Die externe Einflussnahme islamischer Kräfte in Ägypten wurde zu Mursis Amtszeit lange befürchtet und von einer ähnlichen Stimmungsmache begleitet.

Wie dem auch sei, die Bilanz ist eindeutig: In Ägypten kann sich die Islamisierung der Gesellschaft zunächst nicht entfalten, dafür aber das Morden und die politische Destabilisierung einer ohnehin wackeligen Koalition, deren Galionsfigur, der immer inkohärenter wirkende Mohamed ElBaradei, abgedankt hat. Hinzu kommen das Verhängen des einmonatigen Ausnahmezustands durch das Militär und die daran gekoppelten Notstandsgesetze. Sie rauben den Bürgern ihre Rechte, ermöglichen öffentliche Gewalt, willkürliche Verhaftungen und fragwürdige Gerichtsverfahren.

Ist der Rückfall in die Zeiten eines Mubarak die Angst vor einer Islamisierung der ägyptischen Gesellschaft wert?

Das Militär wird sich zumindest freuen. Selbst wenn es nach seinem Regierungsintermezzo 2012 gelernt hat, besser nicht mitzuregieren: Je länger das Machtvakuum besteht und die Gewalt den Alltag bestimmt, umso mehr sehnen sich die Menschen nach der alten Militärdiktatur – und umso mehr steigt der Glaube im Militär, die einzige historische Ordnungsmacht zu sein.