Planloses Europa

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Durch die Angriffe der letzten Tage auf Truppen und Stellungen Gaddafis hat die Koalition, allen voran einige europäische Staaten, die Phase 1 ihrer Intervention in Libyen eingeleitet.

Was Phase 1 eigentlich ist und welcher Plan eigentlich dahinter steckt, kann momentan keiner so richtig beantworten. Ganz zu schweigen davon, was Phase 2 oder Phase 37 sein werden.

Sascha Bremer
sbremer@tageblatt.lu

Es gibt schlicht keinen Plan, wie sich Europa und der Westen in Libyen und gegenüber den Ereignissen in der gesamten arabischen Welt verhalten sollen. Man hatte sich über Jahre mit einer äußerst komfortablen Situation angefreundet, welche darauf hinauslief, diktatorische Systeme zu unterstützen, sofern sie denn zuverlässig Öl lieferten und die Migranten aus Afrika und Asien aufhielten.

Welch kurzfristiges Denken. Es grenzt schon an politische Blindheit, sollte Europa geglaubt haben, die Nachfolge eines Mubarak, eines Ben Ali oder eines Gaddafi sei unter diesen Umständen unblutig und billig zu gestalten.

Nun ist der Komfort futsch und Europa ist gezwungen, in seinem (üblichen) planlosen Herumtappen auf die außenpolitischen Herausforderungen, statt zu agieren lediglich zu reagieren. Damit ist auch erklärt, warum es sich bei der libyschen Intervention quasi um eine Bauchentscheidung in letzter Minute handelte. Es wundert kaum, dass Nicolas Sarkozy in dieser Causa den Antreiber gibt. Der französische Präsident ist augenscheinlich ein Meister dieser Art der Politik, allerdings nur dieser.

Auch wenn man gegen den Kriegseinsatz in Libyen ist, kann man durchaus die Gründe für diese improvisierte Entscheidung verstehen. Dem Westen droht der endgültige Verlust seiner Glaubwürdigkeit in der Region, sollte Gaddafi ungeschoren davonkommen. Dies wäre ein verheerendes Signal für die konterrevolutionären Kräfte, die versuchen, den arabischen Frühling niederzumachen, und somit wohl eine viel größere Gefahr für die regionale Stabilität. So realitätsfern ist es nicht, dass Europa eine Flüchtlingswelle drohen könnte, sollte sich die Gesamtlage in der Region besonders in puncto Menschenrechte und Lebensbedingungen auf Dauer nicht verbessern.

Und da wären noch die fossilen Brennstoffreserven. All die schönen Reden über die humanitäre Lage und den bösen Diktator spielen gegenüber der Öl-Frage selbstverständlich nur eine untergeordnete Rolle. Kann Europa jetzt, da die Nachfrage den Ölpreis stetig in die Höhe treibt und dem Kontinent eine Diskussion über die Nuklearenergie ins Haus steht, jahrelang auf einen Zugriff auf libysches Öl verzichten? Für die europäischen Staatskanzleien scheint die Antwort klar zu sein.

Dabei ist es schon eine Ironie der Geschichte, dass Gaddafis Ölreserven, mit denen er die europäischen Staaten gegeneinander ausspielen und verhöhnen konnte, nun zum Verhängnis werden.

Phase 37 und danach

Das Beispiel um Gaddafis Öl zeigt allerdings auch, dass es gerade die eingangs beschriebene Politik des kurzfristigen Gewinndenkens war, welche letztendlich zu den Gründen geführt hat, die Europa zum militärischen Handeln veranlasst haben. Damit muss nun Schluss sein.

Europa wird nicht umhinkommen, eine Strategie auszuarbeiten, damit der Wandel in der Region „erfolgreich“ begleitet werden kann. Und zwar diesmal auch und vor allem im Sinne der dortigen Bevölkerungen. Es droht ansonsten all das einzutreffen, wogegen man sich gerade in Libyen mit militärischen Mitteln stemmt.

Wenn die europäischen Politiker klug handeln, hebt man – nach Phase 37 (?) – einen Marshallplan für die Region aus der Taufe. Es bedarf einer langfristigen Politik der Entwicklung, der Kooperation und der Unterstützung im Aufbau von Rechtsstaatlichkeit. Ob die europäischen „Bauchentscheider“ allerdings dazu fähig sind, über den Tag hinauszuschauen, darf angezweifelt werden.