Leitartikel: Sportliche Wahl-PR

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Gäbe es die Quizshow „Wer wird Millionär“ in Luxemburg, die brandaktuelle Ein-Millionen-Euro-Frage könnte wie folgt lauten: Auf wie viele Titel von „Luxemburgs Sportlerin des Jahres“ kommen die Kandidatinnen zur Chamber-Wahl am kommenden Sonntag im Total? Antwort D ist die richtige: 15 Stück.

Telefon- und Publikumsjoker hätte der Quizkandidat in diesem Fall wohl vergeblich bemühen können. Colette Flesch (DP, 1x), Carine Risch (LSAP, 4x), Nancy Kemp-Arendt (CSV, 6x), Anne Kremer (DP, 3x) und Tessy Scholtes (CSV, 1x) bringen es in der Tat auf 15 Titelgewinne. Nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass eine separate Wahl bei den Damen erst seit 1966 durchgeführt wird.
Sportler haben Konjunktur in Wahlzeiten. Sie sind Sympathieträger, durch die umfangreiche Sportberichterstattung in den Luxemburger Medien ständig präsent. Pascale Schmoetten, LSAP-Kandidatin im Bezirk Norden, glänzte zum Auftakt der Spiele der kleinen Staaten auf Zypern am Dienstag mit dem Goldmedaillengewinn über 10.000 Meter. Die Fotos in der Presse waren beste PR in eigener Wahlsache.
Da haben die DP-Kandidaten Anne Kremer und Benoît Joachim schon schlechtere Karten, sind ihre Profisport-Karrieren doch seit rund einem Jahr vorbei. Mit ihren Namen und Gesichtern kann aber hierzulande jeder etwas anfangen. Ein großer Vorteil gegenüber all den anderen Kandidaten. Den hat auch Karateka Tessy Scholtes (CSV), die nach langer Verletzungspause rechtzeitig vor den Wahlen fit wurde und mit einigen Wettkämpfen wieder das sportliche Rampenlicht betrat. Wie durch Zufall wurde das in der vergangenen Woche mit einem ganzseitigen Interview in einer der CSV nahe stehenden Zeitung gewürdigt. Das nennt man dann wohl Wahlkampf einfach gemacht.
Was allerdings kein Grund sein soll, die Nase zu rümpfen. In der Chamber sitzen gleich mehrere Ex-Sportler, die jedoch noch lange nicht alle wegen ihrer sportlichen Vergangenheit ins Parlament gewählt wurden. Bestes Beispiel ist Minister Jeannot Krecké, dessen Profikarriere als Fußballer schon viel zu lange zurückliegt, um eine Rolle beim Urnengang zu spielen. Andere, wie Eugène Berger und Nancy Kemp-Arendt, profitierten dagegen stark von ihren sportlichen Leistungen. Vor allem Kemp-Arendt bewies unlängst mit ihrer mutigen Haltung in der Sterbehilfe-Debatte, dass sie nicht nur ein Platzhalter ihrer Partei in der Chamber ist. Und dass das Vorurteil „alles in den Beinen, nichts im Kopf“ auf die allerwenigsten Sportler zutrifft.
Die Eigenschaften eines Leistungssportlers können in der Politik jedenfalls nichts schaden: Charakterstärke und Willenskraft sind typische Merkmale eines Spitzensportlers. Er weiß, was es heißt, für den Erfolg zu kämpfen, sich zu überwinden, seinen Weg zu gehen und dabei den Gegner zu respektieren. Fair Play und Kampfkraft werden im Sport großgeschrieben. Zumindest Letztere scheint allerdings dem mauen Wahlkampf 2009 völlig abzugehen.

Umgekehrter Weg

Wenn es mit der eigenen Sportlerkarriere nicht so richtig hinhaut, dann gibt es immerhin noch den umgekehrten Weg. Die 500.000-Euro-Frage könnte dann lauten: „Wie viele Präsidenten von Sportverbänden sitzen in der Chamber?“ Antwort D ist wieder richtig: sieben (Xavier Bettel, Alex Bodry, Camille Gira, Aly Jaerling, Nancy Kemp-Arendt, Alexandre Krieps und Roger Negri). Dass sie sich den einfachen Weg ausgesucht haben, um PR in eigener Wahlsache zu machen, kann in den allermeisten Fällen ausgeschlossen werden.
Denn in Zeiten des Dirigentenmangels ist ein Präsidentenjob bei einem Sportverband ein richtiger Knochenjob.
Genau wie der Spitzensport eben.

Philip Michel
pmichel@tageblatt.lu