In Deutschland gibt es mehr Literaturpreise, als das Jahr Tage hat, die französische Literaturpreis-Saison wird zur „Rentrée“ wieder eingeläutet und auch im kleinen Luxemburg könnte man den Eindruck gewinnen, dass es mittlerweile beinahe mehr Preise als Schriftsteller gibt: Wer will noch mal, wer hat noch nicht?
" class="infobox_img" />Janina Strötgen
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Doch kein noch so angesehener Preis ist ein Garant für einen Platz im Olymp der Unvergessenen. Ganz im Gegenteil. „Die sich ermächtigt fühlen, Literaturpreise zu verteilen, haben in der Regel nicht viel mit Literatur zu tun“, lässt Max Frisch seinen Stiller sagen. Denn wenn Akademien, Städte, Stiftungen, Ministerien oder Zeitungen Preise vergeben, ehren sie damit in erster Linie sich selbst. Mit ihren Entscheidungen drücken diese Institutionen ihre Freude darüber aus, einen Autor zu ehren, dessen Werke in einer Konsensbeziehung zu ihren eigenen Wertstrukturen stehen. Sie setzen meist auf Bekanntes und Bewährtes, am besten auf einen klangvollen Namen aus dem kanonisierten Literaturbetrieb, dessen Aura auf sie zurückwirken wird. Oft handelt es sich um Schriftsteller, die in den letzten Jahren vor allem nur noch eins geschrieben haben: Dankesreden für die Verleihung von Literaturpreisen.
Alles Männer, alle über sechzig …
Doch sollte Literatur vermeintliche Wahrheiten und Wirklichkeiten in Frage stellen, anstatt sie zu bestätigen. Denn gute Literatur wirkt der Realität entgegen. Nur Schriftsteller, die ihrer Welt ein Stückchen voraus sind, deren Gedanken gefährlich aktuell sind, haben die Macht zur Veränderung.
Diese Schriftsteller gibt es, doch finden sie sich so gut wie nie auf den Literaturpreis-Listen – zumindest nicht, solange sie noch leben und schreiben. Ihre Bücher türmen sich nicht mit roter oder grüner Banderole auf den Eingangstischen der Buchhandlungen, sondern müssen meist erst nach dem Buchstabieren des Namens vom Buchhändler bestellt werden.
Ein Beispiel: In diesem Jahr wurden bereits so viele Literaten aus der arabischen Welt geehrt wie niemals zuvor. Der syrische Dichter Adonis erhielt vor ein paar Wochen den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt. Der marokkanische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun wurde mit dem Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis ausgezeichnet. Und der Syrer Rafik Schami bekommt den Demokratie-Preis des „Vereins gegen Vergessen – Für Demokratie“ verliehen. Die Aufzählung ließe sich weiterführen. Alles Männer, alle über sechzig, alle mit Wohnsitz in Europa und alle schreiben nicht auf Arabisch. Die überraschenden politischen Ereignisse in der arabischen Welt haben zwar den Blick der Juroren gelenkt, doch schaut man sich die Wahl der Preisträger an, bestätigt sich wieder die Behauptung von der Selbstschau und Selbstbestätigung Preise vergebender Institutionen.
Weder hat Adonis bisher zu den blutigen Ereignissen in seinem Heimatland eindeutig Stellung bezogen noch steht Tahar Ben Jelloun öffentlich zu der Demokratiebewegung in seinem Land und Rafik Schami sagt von sich selbst, Deutschland mittlerweile näher zu sein als Syrien. Er schreibt vor allem Märchen. Schöne Märchen, aber Märchen. Die Revolutionen haben andere gemacht. Nicht nur mit Taten, sondern auch mit literarischen Werken. Wäre es nicht wichtig, arabische Autoren zu ehren, deren Verdienst und Ruhm in der Region selbst begründet sind? Doch dazu gehört Mut, denn sind es meistens jene Stimmen, die auch vor Kritik am Westen nicht haltmachen. Und wer will die hören, bei feierlichen Preisverleihungen?
Wolf Biermann, Büchner-Preisträger 1991, witzelte bei seiner Dankesrede über die „ewig nach schnell verderblichen Genies suchenden Juroren mit ihrer zeitgeistlichen Wünschelrute in den Händen“. Aber messen müsse sich „jeder Preisochse in Darmstadt an diesem Büchner“. Die Wichtigkeit von Büchners Werk wurde erst im 20. Jahrhundert erkannt. Und „dieser Büchner“ hat übrigens nie einen Literaturpreis gewonnen …
De Maart
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