KommentarDer Kreml bekommt die Gewalt zurück, die er in der Ukraine gesät hat

Kommentar / Der Kreml bekommt die Gewalt zurück, die er in der Ukraine gesät hat
Stacheldraht vor dem Kreml: Der russische Staat ist verletzlich Foto: AFP/Alexander Nemenov

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Der Kreml bekommt die Gewalt zurück, die er in der Ukraine gesät hat – und nimmt die Gefahr als kalkulierbares Risiko hin.

Seit Russland die Ukraine überfallen hat, verdreht es die Lage so, wie es gerade passt. Es hat sich längst vom Täter zum Opfer stilisiert, das Unmenschliche weist es stets weit von sich und unterstellt die Gräuel den Ukrainern, den Europäern, schlicht dem Westen.

Die Taten, die die russische Armee in der Ukraine verübt, gelten offiziell der Verteidigung Russlands. Egal, wie viele Menschen sterben, wie viele Häuser zerstört werden, wie viel Verheerungen an Mensch und Natur hinterlassen werden, die Terroristen sind für Moskau immer die anderen. Der Drohnenangriff auf Moskau – wer auch immer dafür verantwortlich ist – passt in dieses Narrativ von Russland als Verteidiger des Guten und dem Westen als Saat des Bösen.

Nicht Moskaus Strategie

Dass mit dieser Geschichte etwas nicht stimmt, fangen nun auch manche Menschen in Russland – wenn auch sehr langsam – anzuerkennen an. Es greift der Bumerang-Effekt: Der Krieg, dessen Verantwortung sie weit von sich weisen, den sie rechtfertigen und nicht sehen wollen, er kommt in Form von Drohnen in ihre Wohnhäuser zurück. Das verbreitet Schrecken. „Da drüben ist der Kindergarten meines Sohnes. Wie soll ich nun ruhig schlafen?“, fragt da so manche, die bislang offensichtlich gut schlafen konnte, auch wenn keine tausend Kilometer von ihr entfernt die Kindergärten anderer Söhne und Töchter von ihren Landsleuten zerbombt wurden. Viele Moskauer erfahren erst durch die Gewalt von unbemannten Flugobjekten, dass die von Präsident Wladimir Putin viel beschworene Stabilität längst dahin ist.

Der russische Staat ist verletzlich, für die Sicherheit seiner Bürger kann er nicht garantieren. Deshalb wohl reagiert er zurückhaltend: nach dem Drohnenangriff auf den Kreml vor vier Wochen, nach dem kürzlichen Überfall proukrainischer Gruppierungen in Belgorod, nun auch nach der Attacke auf Moskauer Wohnhäuser. Hetze und Drohungen erklingen aus den Ecken, aus denen all die Monate bereits Hetze und Drohungen erklungen waren. Der Kreml aber spielt auf kalkulierbares Risiko und hält sich mit aller Vehemenz an der „Notwendigkeit der Spezialoperation“ fest. Weichen, geschweige denn nachgeben ist keine Strategie für Moskau.