Kapitalisten-Probleme

Kapitalisten-Probleme
(Tageblatt)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

In China herrscht Panik. Der Börsenindex Shanghai Composite hat seit seinem Höchststand mehr als 40 Prozent nachgegeben.

In anderen Worten: Papiere, die zu Jahresbeginn noch für 100 gehandelt wurden, sind nun nur noch 60 wert. Insgesamt haben sich in China so seit Juni 4.500 Milliarden Dollar in Luft aufgelöst.

Christian Muller cmuller@tageblatt.lu

Im Reich der Mitte läuft die Suche nach den Schuldigen nun auf Hochtouren. Im Visier stehen „Marktmanipulierer und ausländische Kräfte“. Erste Untersuchungen wegen „mutmaßlichen Fehlverhaltens am Markt“ wurden von den Behörden bereits aufgenommen. Gleichzeitig unternimmt Chinas Regierung alles Mögliche, um die Aktienkurse zu stützen. So entschied sie beispielsweise, dass Pensionsfonds Investitionen am Aktienmarkt tätigen dürfen. Zudem wurde den großen Konzernen des Landes praktisch ein Verkaufsverbot für größere Aktienpakete auferlegt. Auch die staatliche Zentralbank spielt mit: Sie hat den Leitzins gesenkt und den Banken neue kurzfristige Kredite in Milliardenhöhe angeboten. Peking hofft, dass die Kurse der Aktien wieder steigen, wenn mehr Geld zur Verfügung steht, um sie zu kaufen.

Doch Chinas Regierung reagiert falsch auf den Kurseinbruch. Sie sieht die Entwicklung der Aktien in einem politischen Licht: fallende Kurse als fallendes Vertrauen in die Wirtschaftspolitik des Landes. Dem ist aber nicht so. Die Aktien an den chinesischen Börsen waren ganz einfach überbewertet. Immerhin hatte der Shanghai-Composite-Index zwischen Juni 2014 und Juni 2015 um mehr als 100 Prozent zugelegt. Da sich die Gewinnerwartungen der Unternehmen in diesem Zeitraum nicht verdoppelt hatten, war der rasante Anstieg wohl unbegründet. Hintergrund des starken Zuwachses war wahrscheinlich, dass sich mehr als 40 Millionen chinesische Bürger erstmals an die Börse wagten. Die Regierung hatte das Spekulieren mit geliehenem Geld in den letzten Jahren gefördert.

Eine weitere Zahl erläutert diese Überbewertung: Das sogenannte KGV (Kurs-Gewinn-Verhältnis) errechnet, wie viele Jahre eine Firma arbeiten muss, um den Wert der eigenen Aktien zu erwirtschaften. In Europa und in den USA liegt diese Zahl momentan bei etwas über 15 Jahren – im langfristigen Durchschnitt bei 10 bis 12 Jahren. Im Rahmen der Internetblase war das KGV einiger Unternehmen auf über 200 geklettert. Die Aktien an den Festlandsbörsen in China waren am vergangenen Freitag im Median (laut Bloomberg) zum 61-Fachen des berichteten Gewinns gehandelt worden.
Die staatlichen Stützungsmaßnahmen hatten demnach bisher kaum Erfolg. Und das ist auch gut so. Die Preise für Aktien waren zu hoch und fallen nun. Steuergelder (oder die Gelder der Rentner) zu nutzen, um eine Spekulationsblase aufgeblasen zu halten, ist eine Vergeudung von Ressourcen. Besser, die Regierung investiert in die reale Wirtschaft und lässt Aktienkurse Aktienkurse sein. Wer an der Börse spekuliert, der darf auf Gewinne hoffen – er muss sich aber im Klaren sein, dass es auch Verluste geben kann.

Eine Suche nach Schuldigen ist ein Kampf gegen Windmühlen. Kritik üben kann man aber an einem System, das mit Freude zuschaut, wenn Aktienkurse in nur einem Jahr um über 100 Prozent steigen, dann aber bei 40 Prozent Rückgang Weltuntergangsstimmung verbreitet.

Langfristig wird China den Absturz der Kurse problemlos wegstecken. Die Wirtschaft wächst zwar nicht mehr mit zehn Prozent, wie noch vor einigen Jahren, aber auch ein Zuwachs von sechs Prozent ist alles andere als eine Katastrophe.