Gerechtigkeit vs. Gier

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„Der Tatbestand der Hehlerei ist nicht gegeben, weil Daten keine Sache sind.“ „Es fand gar kein Diebstahl statt, weil die Daten sich physisch noch immer an dem ursprünglichen Ort befinden.“

„Notwehr des Staats in höherem Interesse.“ Es sind dies nur drei von zahllosen juristischen Analysen zum Streit über den Ankauf vermeintlicher Steuersünder-CDs durch den deutschen Staat. Wenn es darum geht, die Prinzipien des Rechtsstaats zu beugen, ist die Kreativität von Juristen offenbar nicht zu bremsen.

Dass der deutsche Staat nicht zum ersten Mal vor der Frage steht, wie er sich solchen Datenhändlern gegenüber verhalten soll, macht die Sache dabei noch schlimmer. Hätten nicht spätestens nach der „Liechtenstein-Affäre“ im Jahr 2008 die rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit einem solchen Deal geklärt werden müssen?

Die Chance wurde verpasst. Das hat zwar zum Vorteil, dass die Kavallerie, mit der der damalige Finanzminister Peer Steinbrück gedroht hatte, nicht mehr auszurücken braucht, weil die Zahl der „Verräter“ unter den Indianern mittlerweile inflationäre Ausmaße angenommen hat. Das hat aber auch dazu geführt, dass die deutschen Kavalleriechefs sich inzwischen gegenseitig anfeinden. Was für den Landeschef aus Nordrhein-Westfalen legal ist, stößt seinen Amtskollegen aus Baden-Württemberg und Bayern übel auf.

Der Streit um den Ankauf von Daten-CDs geht inzwischen nicht nur durch die Koalition, er geht auch durch die einzelnen Koalitionsparteien. Soll sich der Staat auf solch dubiose Deals mit Datenhändlern einlassen? Hehlerkultur als neue Staatsmoral? Die Frage könnte schneller als erwartet auch luxemburgischen Politikern den Offenbarungseid abverlangen.
Der Eiertanz von Premierminister Jean-Claude Juncker am Wochenende auf RTL war alles andere als ein klares Bekenntnis zu den Prinzipien des Rechtsstaats, für die bislang auch Luxemburg immer stand.

Dabei wurde die viel pikantere Frage, wie es Luxemburg denn mit Rechtshilfe halten werde, wenn die Verdachtsmomente eines solchen Gesuchs auf illegal erworbenen Daten basieren, noch gar nicht gestellt. Immerhin sollen sich laut Informationen des Spiegel auf einer der CDs, die deutschen Steuerfahndern in den letzten Tagen angeboten wurden, auch Daten von luxemburgischen Geldinstituten befinden. Bis zu 400 Millionen an hinterzogenen Steuern erhofft sich der deutsche Fiskus allein über die Daten auf einer der CDs. „Es geht um Steuergerechtigkeit“, unterstreicht Finanzminister Wolfgang Schäuble.

Wirklich? Dass die Jagd auf Steuersünder in Zeiten von Wirtschaftskrise und klammen Staatskassen massiv verschärft wurde, lässt anderes vermuten. Steht am Ursprung dieser Hatz nicht viel eher die Gier deutscher Kassenwarte? Wäre deren Kaufbereitschaft die gleiche, wenn die CD nicht für 2,5 Millionen Euro, sondern für 100, 200 oder 400 Millionen angeboten würde?

Spiel mit dem Feuer

Der sture Blick auf die leeren Staatskassen macht die Politiker, nicht nur in Deutschland, derzeit blind für das Bild des Staats, das sich aus ihrem Handeln in der Öffentlichkeit ergibt.
Natürlich muss Steuerhinterziehung bekämpft werden. Der Zweck kann aber nicht alle Mittel heiligen. Ein Blick auf die vielen – sicherlich nicht repräsentativen – Umfragen der letzten Tage und in die zahlreichen Internetblogs zeigt, dass die Bürger ein feines Gespür für Recht und Gerechtigkeit haben. Da ist natürlich die Schadenfreude, wenn „ein Dicker“ erwischt wird, da ist aber auch das Gefühl, dass der kleine Diebstahl sanktioniert und der große Datenklau belohnt wird.

Léon Marx
lmarx@tageblatt.lu