ForumUnverzichtbar für die Öko-Wende: Europa muss Ernst machen bei kritischen Mineralien

Forum / Unverzichtbar für die Öko-Wende: Europa muss Ernst machen bei kritischen Mineralien
 Foto: AFP/ Douglas Magno

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Rohstoffe haben in der menschlichen Geschichte schon immer eine Schlüsselrolle für die wirtschaftliche Entwicklung, die internationalen Beziehungen und die Schicksale kompletter Nationen und Kulturen gespielt. Ob Edelmetalle (Silber und Gold), landwirtschaftliche Rohstoffe (Zucker, Kautschuk, Seide und Gewürze) oder Energieträger wie Öl und Gas: Immer wieder haben durch technologische Entwicklungen ausgelöste Änderungen der Nachfrage zu einer Neuordnung des globalen Handelsgefüges geführt, Schicksale verändert und dabei häufig Konflikte und Ausbeutung befeuert.

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Werner Hoyer ist Präsident der Europäischen Investitionsbank

In den 2020er Jahren werden wir zunehmend abhängiger von einer neuen Gruppe kritischer Rohstoffe, zu denen die seltenen Erden und Metalle wie Lithium, Gallium und Germanium gehören. Die Verwendung dieser Rohstoffe in so ziemlich allem von Solarmodulen, Batterien und Windrädern bis hin zu Computerchips für die Industrie und Verteidigung macht sie unverzichtbar für die ökologische und die digitale Wende, die ihrerseits unsere Zukunft auf diesem Planeten bestimmen werden.

Europa wird nie in der Lage sein, seine Nachfrage nach seltenen Erden oder Lithium intern zu decken. Aber das sollte auch nicht sein Ziel sein. Ziel ist vielmehr, sich den Zugriff auf kritische Rohstoffe zu sichern, damit wir uns nicht der Gnade jener ausgeliefert sehen, die diese als Waffen nutzen könnten – so wie der Kreml das bei Kohlenwasserstoffen getan hat. Ein derartiger Zugriff ist unverzichtbar, um unsere strategische Autonomie zu stärken, unsere Wettbewerbsfähigkeit zu bewahren und unsere Klimaziele zu erreichen.

Chinesische Marktdominanz

Werner Hoyer ist Präsident der Europäischen Investitionsbank
Werner Hoyer ist Präsident der Europäischen Investitionsbank

Dafür müssen wir die Fehler der Vergangenheit vermeiden. Hierzu gehört nicht zuletzt die übermäßige Abhängigkeit von einem einzigen Lieferanten. Jüngste Ereignisse wie die Covid-19-Pandemie und Russlands großmaßstäbliche Invasion der Ukraine haben die Wichtigkeit sicherer Lieferketten in allen Wirtschaftssektoren noch deutlicher gemacht. Sie illustrieren zudem den beträchtlichen Einfluss der weltgrößten Schwellenvolkswirtschaften – insbesondere der Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) –, die viele wichtige globale Lieferketten, darunter jene für kritische Rohstoffe, dominieren.

Mit zunehmendem Bemühen um Dekarbonisierung und Elektrifizierung werden Metalle und Mineralien immer wichtiger. Die Weltnachfrage nach seltenen Erden allein wird sich laut Prognosen bis 2030 verfünffachen. Auf der Angebotsseite jedoch dominiert ein einzelnes Land des Markt: Fast 90% aller seltenen Erden und 60% des weltweiten Lithiums werden in China verarbeitet. Insofern ist die Europäische Union für ihren Import seltener Erden fast komplett von China abhängig.

Aus jüngsten Erfahrungen wissen wir, wie schwerwiegend die Risiken derartiger Abhängigkeiten sind. Um Verwerfungen zu vermeiden, muss Europa seine Lieferketten diversifizieren und risikoärmer gestalten. Doch gibt es dafür kein Patentrezept. Das Problem lässt sich nicht dadurch lösen, dass man einfach in europäische Bergwerke investiert, und auch wirtschaftlich würde das keinen Sinn ergeben. Stattdessen müssen wir mit gleichgesinnten Partnern weltweit zusammenarbeiten, um ihnen beim Ausbau ihrer Förder- und Verarbeitungskapazitäten zu helfen.

Trotzdem müssen wir, was Bergbauprojekte innerhalb Europas angeht, einige schwierige Entscheidungen treffen, und wir müssen zudem stärker in eigene Raffinerien und Verarbeitungsanlagen investieren, um die Grundlagen für eine netto-emissionsneutrale Kreislaufwirtschaft zu schaffen. Dies sind enorme Unterfangen, die erhebliche, nachhaltige Investitionen erfordern.

Strategische Partnerschaften

Frühere Initiativen wie die 2017 ins Leben gerufene Batterieallianz zeigen, dass wir Erfolg haben können, wenn wir uns zusammentun. Europa hat inzwischen eine der weltweit umweltfreundlichsten und fortschrittlichsten Großfabriken für die Batteriefertigung. In Kürze wird es zwei Drittel der von ihm für Elektrofahrzeuge und Energiespeicher benötigten Lithium-Ionen-Batterien selbst produzieren.

Um diese Erfolgsstory zu wiederholen, müssen wir es vermeiden, die Herausforderung im Bereich der kritischen Rohstoffe isoliert zu betrachten. Alle mit der Gewährleistung der Versorgungssicherheit verbundenen Initiativen sollten im Rahmen einer umfassenden Strategie zusammengeführt werden, so wie wir das im Kampf gegen den Klimawandel getan haben. Dabei bedarf es einer klarsichtigen europäischen Außenpolitik, die darauf zielen sollte, strategische Partnerschaften aufzubauen und zu vertiefen und die Investitionen in Europa und in Partnerländern auszuweiten.

Mit der diesjährigen EU-Verordnung zu kritischen Rohstoffen wurden bereits die nötigen politischen Änderungen eingeleitet. Wie die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der EU in diesem Monat angemerkt hat, sind viele Länder weltweit begierig darauf, bei der Absicherung der globalen Lieferketten zusammenzuarbeiten.

Es ist klar, dass Europa mehr tun muss, um den Zugriff auf kritische Rohstoffe sicherzustellen. Die EIB-Gruppe unterstützt dies mit vollster Überzeugung und hat in den letzten sieben Jahren bereits drei Milliarden Euro zur Stärkung der Lieferketten für Rohstoffe bereitgestellt. Doch ist uns auch bewusst, dass Europas bestehendes Instrumentarium dafür nicht ausreicht. Um sicherzustellen, dass sie diesen Zielen gerecht werden kann, arbeitet die EIB-Gruppe bereits an einer Initiative für kritische Rohstoffe, und wir ermutigen andere, dasselbe zu tun – von der Ebene der Regulierung bis hinunter zu spezifischen, konkreten Projekten.

Der Zugriff auf strategisch wichtige Rohstoffe war im gesamten Geschichtsverlauf eine Determinante des wirtschaftlichen Wohlstands und der Entwicklung. Um unsere Zukunft zu sichern, müssen wir die Initiative ergreifen und die Sicherung des Zugriffs auf die neuen lebenswichtigen Rohstoffe dieses Jahrhunderts zu einer Spitzenpriorität machen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan / © Project Syndicate, 2023