Es könnte dauern

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Ausgerechnet Egon Bahr, Intimus des früheren deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt, Minister für besondere Aufgaben und maßgeblich an der deutschen Ostpolitik und somit an der späteren deutschen Wiedervereinigung und Öffnung der Grenzen im Osten beteiligt, hat Europa nun als Lachnummer bezeichnet.

Allerdings nur aus amerikanischer Sicht betrachtet. Europa nämlich spreche heute immer noch nicht mit einer Stimme. Damals, in den Siebzigern, seien die Politiker davon ausgegangen, dieser Zustand würde früher eintreten, so Bahr.

Serge Kennerknecht skennerknecht@tageblatt.lu

Es sind also Dinge nicht so gelaufen, wie sie erwartet wurden. Und somit ist Bahrs dick aufgetragener Unmut sicher verständlich. Es ist schon komisch, dass wenn ein amerikanischer Präsident mit „Europa“ zusammenkommt, er ziemlich alleine in der Mitte steht, umringt von sechs, sieben oder auch mehr Politikern, die Europa vertreten sollen. Dabei bräuchte er eigentlich nur drei: die Vertreter von Großbritannien und Frankreich, den beiden ständigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrates in außenpolitischen und geostrategischen Fragen, und den Vertreter Deutschlands in Wirtschaftsfragen. Eine gemeinsame EU-Außen- und Verteidigungspolitik gibt es ohnehin nicht und auf finanzieller Ebene steht man vor dem ungewöhnlichen Tatbestand, dass bislang nur 17 der 27 Länder beim Euro dabei sind. Verständlich demnach, dass sich aus amerikanischer Sicht viele Fragen ohnehin unkomplizierter auf NATO-Ebene oder auf einem G20-Treffen regeln lassen.

Generationswechsel

Die Gründe, warum Europa nicht so schnell vorangekommen ist wie gewünscht, scheinen in großen Linien einfach. Zum einen war und ist da der Streit um die Ausrichtung der Europäischen Union, Freihandelszone „à l’Anglaise“ oder wirkliche politische Union mit dem Abgeben von Souveränitätsrechten. Die Briten und wenige ihnen nahe stehende Länder beharren auf ihrer Sicht der Dinge. Der Gedanke einer wirklichen Union seinerseits ist seit dem Öffnen der Grenzen ins Stocken geraten, weil die „neuen“ Länder alles gerne abgeben wollen, um Mitglied der Union zu werden, nur eben nicht ihre neu gewonnene Souveränität. Beides führte zu phasenweisem institutionellen Stillstand. Was mit sich gebracht hat, dass ein neues Phänomen einsetzen konnte, bevor alles geregelt war: der Generationswechsel. Immer weniger der heute in der Verantwortung stehenden Politiker kennen die europäische Entwicklung aus eigener Erfahrung. Und immer weniger kennen die Geschichte der EU und ihre bisherigen Akteure. Es ist schon erstaunlich, wie ein europäischer Politiker feststellen musste, dass bei einer Ehrung von Hans-Dietrich Genscher über die Hälfte der anwesenden Staats- und Regierungschefs der 27 den deutschen Politiker nicht einmal kannten, der, als er 1992 von seinem Amt zurücktrat, der dienstälteste europäische Außenminister war.

Kein Wunder, dass grundlegende Zielsetzungen verwässert scheinen, in Zeiten, in denen vor allen Dingen die wirtschaftliche Komponente dominiert. Wobei der Umgang einiger Länder mit anderen von diesem europäischen Identitätsverlust zeugt.

Doch auch dort, wo es ein Weiterkommen gegeben hat, auf der Ebene des Europaparlaments z.B., tun sich Abgründe auf. Wenn ein Parlament eine Kandidaten-Anhörung, wie im Falle Mersch, in eine gesellschaftspolitische Frage wie die der Gleichstellung von Frau und Mann umzumünzen sucht, zeugt dies eher von politischer Unreife als von gestandener Werte-Vertretung.

Die Zeiten der ersten Generationen sind also vorbei. Damals galt das politische Wort, die Wertegemeinschaft war enger verknüpft, die Zahl der Länder geringer, die Nachkriegsgeschichte fast identisch. Was dazu führte, dass man glaubte, teilweise auf festgeschriebene Regeln verzichten zu können. Und somit dazu, dass sich die zweite Generation, wenn auch vielleicht nicht in einer Art institutionellem Leerraum, so doch auf schwachem Untergrund wiederfindet. Erst wenn dieser gefestigt ist, ist Schluss mit der Lachnummer. Das Problem: Die jetzige Generation soll es richten. Es könnte dauern.