Die Mauer fällt

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„Die Geschichte wiederholt sich“, hat Karl Marx gesagt. Einmal als Drama, das andere Mal als Farce. Vor zwei Jahrzehnten konnte die Welt den dramatischen Fall des Sowjetblocks erleben. Heute zerbröselt in gleicher Schnelle die andere einstige Supermacht.

STEFFEN KLATT
ausland@tageblatt.lu

Statt Helden sieht die Welt gierige Banker, naive Hauskäufer, zynische Militärs und arrogante Diplomaten – und an der Spitze einen Präsidenten, der sich eben noch als Heilsbringer der Welt sah und heute nur noch wie ein Provinzprofessor wirkt. Ausgerechnet ein kaum der Pubertät entwachsener IT-Spezialist der US-Armee zieht nun den letzten Vorhang weg, der das Getriebe dieser ach! so mächtigen Politmaschine verhüllt hat.

So unterhaltsam die Farce ist, viel Zeit zuzuschauen bleibt nicht. Wo die einen Macht verlieren, sind die anderen schnell dabei, sie aufzuheben. Zu den Gewinnern gehört eine Gruppe, die gestern noch unisono ihr eigenes Totenlied gesungen hat: die Medien. Ohne den Spiegel, den Guardian und andere, die kollektiv die Dokumente gesichtet haben, hätte Wikileaks nicht diese Durchschlagskraft erhalten. Ohne die Tausenden anderen Zeitungen – auch diese –, Sender und Internetseiten, welche die Informationen nun in die Welt tragen, wäre die Enthüllung ein Thema der Elite geblieben.

Medien sind nur Zwischenträger, daher ihr Name. Eine Gruppe, die ebenfalls zu den Gewinnern gehören könnte, muss dies erst merken: die Bürger. Wie der Mauerfall schafft auch der Verfall der arrogant-neoliberalen Supermacht neue Freiheiten. Man muss sie nur nutzen. Statt am Morgen nach der Abstimmung verdutzt aufzuwachen und zu merken, dass man wieder mal seine Stimme nicht abgegeben hat.