Wie erschieße ich meinen Chef?

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Auch wenn die Handlung über weite Strecken in der Picardie angesiedelt ist, sollte man sich von „Louise Michel“ keinesfalls eine Neuauflage der „Ch’tis“ erwarten. Denn die rabenschwarze Komödie von Benoît Delépine und Gustave Kervern überschreitet bewusst sämtliche Grenzen dessen, was gemeinhin als guter Geschmack bezeichnet wird. Susanne Jaspers

Als kleine Aufmunterung in Krisenzeiten bekommen die Arbeiterinnen in einer picardischen Textilfabrik von der Firmenleitung hübsche neue Kittel geschenkt. Doch als sie tags darauf zur Arbeit erscheinen, sind die Werkshallen leer und die Firma ist ins billiger produzierende Ausland umgezogen. Während die verzweifelten Frauen im Café darüber diskutieren, was sie mit ihrer lächerlich geringen Abfindung anstellen sollen, hat die, gelinde gesagt, etwas grobschlächtige Louise eine Idee, die auf einhellige Begeisterung stößt: Wenn alle ihre Abfindungen zusammenlegen, müsste die Summe reichen, um den abtrünnigen Chef durch einen Auftragskiller ermorden zu lassen.
Louise, die von ihren Kolleginnen mit der Ausführung des Vorhabens beauftragt wird, gerät an den dicken Michel, der gerne Frauenkleider trägt und sich bereit erklärt, die Erledigung der Chefsache zu übernehmen. Allerdings ist Michel bereits mit der Ermordung eines dauerkläffenden Köters überfordert. Und so verfällt er auf einen recht ungewöhnlichen Weg, um doch noch an sein Kopfgeld zu kommen.

Preis für das beste Drehbuch

Als „Louise Michel“ beim diesjährigen Festival im baskischen San Sebastián der Preis für das beste Drehbuch verliehen wurde, trug diese Auszeichnung Benoît Delépine und Gustave Kervern neben heftigem Applaus auch etliche Buhrufe ein. Das lag weniger daran, dass Festivals in der Regel ausschließlich Dramen prämieren, als an der Tatsache, dass der in bester belgischer „Flibustier“-Manier gedrehte Film gezielte Tabubrüche begeht, die das Humorverständnis so manchen Kinobesuchers überschreiten dürften.
Dabei ist es auch für ein breites Publikum durchaus amüsant, wenn die beiden Protagonisten mit der Suche nach dem Chef eines globalisierten Unternehmens so ihre Probleme haben und aufgrund dessen mehrere Male versehentlich den falschen Entscheidungsträger umlegen. Dem einen oder anderen könnte das Lachen hingegen im Halse stecken bleiben, wenn Louise und Michel beim finalen Showdown in einen wahren Blutrausch geraten, in dem sie neben vielen anderen auch einen Säugling erschießen. Am fragwürdigsten allerdings dürften die „Waffen“ sein, derer sich Michel bedient, bevor er schließlich selbst den Finger an den Abzug hält. Er beauftragt nämlich sterbenskranke Bekannte und Verwandte damit, den Mord für ihn auszuführen. Diese an sich gute Idee, da die Täter ja ohnehin nichts mehr zu verlieren haben, mündet in so manch bizarre Szene, wie beispielsweise jene, in der eine todgeweihte Krebspatientin, die sich kaum noch auf den Beinen halten kann, in karnevalesker Verkleidung einen Festsaal betritt und dort zunächst – natürlich den falschen – Firmenchef und dann sich selbst erschießt.
Auf der die Vorführung von „Louise Michel“ in San Sebastián folgenden Pressekonferenz wurden die beiden Regisseure und Drehbuchautoren von den teils recht erbosten Medienvertretern dann auch kritisch befragt, ob es erlaubt sei, mit menschlichem Leid derart respektlosen Unfug zu treiben. Für Delépine und Kervern gibt es diesbezüglich keine Grenzen. Und vielleicht haben sie sogar recht; schließlich hat der 11. September einiges von seinem Schrecken verloren, seit der Musiker Eminem Osama Bin Laden in einem Videoclip rappen ließ. Und auch das Grauen im Dritten Reich wird durch herrliche Hitler-Verballhornungen wie etwa in der Comedy „Obersalzberg“ um einiges erträglicher. Wer also über einen ausgeprägten rabenschwarzen Humor verfügt, sollte seine moralischen Bedenken vergessen und sich mit der umwerfend agierenden Yolande Moreau in der Rolle der Louise köstlich amüsieren.
Übrigens: Den 11. September darf man in „Louise Michel“ auch noch einmal erleben. Allerdings zeichnet diesmal nicht Al Kaida, sondern Benoît Poelvoorde dafür verantwortlich.