Das grüne Kupferdach der Moschee teilen sich Christenkreuz und islamischer Halbmond. Wo einst Osmanen zu Allah beteten, halten Katholiken in der innerstädtischen Pfarrkirche Andacht. Am Hauptplatz streckt sich die Dreifaltigkeitssäule aus Habsburger Zeit empor, einige Meter weiter steht der Jugendstilbrunnen aus Zsolnay-Porzellan, ein ungarisches Kunstwerk. Die abgehende Fußgängerzone Király utca ist von deutscher Kultur geprägt, dem Nationaltheater von 1895 und der Mohrenapotheke am Jókai tér, seit 1697 in Betrieb.
Die seit dem 18. Jahrhundert angesiedelten „Donauschwaben“ kamen aus allen deutschen Regionen, im Lenau-Haus haben die noch rund 14.000 deutschstämmigen Einwohner der Region – vor dem Zweiten Weltkrieg waren es 150.000 – ihr kulturelles Zentrum mit deutschsprachigem Theater, Film und Literatur und deutschen Zeitungen.
Stadt ohne Grenzen
Auch die Kroaten haben ein Zentrum, Serben, Slowenen, Ukrainer, Bulgaren, Armenier und Griechen ihre Lokale. Die Roma, die sich selbst Zigeuner nennen, können ihre Kinder auf das einzige ungarische Roma-Gymnasium schicken. Und die 400 Juden – vor der NS-Zeit war jeder fünfte Pécser jüdisch – feiern ihren Sabbat in einer Synagoge mit prächtiger ockerfarbener Fassade. Alle Nationalitäten haben einen ungarischen Pass, hüten aber die eigene Kultur. Von den 35.000 Studenten der ältesten ungarischen Universität, 1367 vom Gelehrten Janus Pannonius gegründet, kommt ein Drittel aus dem Ausland. Deutsche Studierende haben den größten Anteil, es wird auch auf Deutsch gelehrt.
„Pécs, Stadt ohne Grenzen“ heißt das Motto des Kulturhauptstadtjahres. Selten war es so treffend. Während andere mittelosteuropäische Staaten sich schwer tun mit Minderheiten, ist in der Stadt mit ihrem mediterran-orientalischen Flair, in dem es Feigen- und Granatapfelbäume gibt und die eingelagert ist in die Hügel des Mecsek-Gebirges, Multikultur von jeher selbstverständlich. Als die Regionalhauptstadt Südwestungarns den Kulturhauptstadt-Zuschlag erhielt, begann das Buddeln. Auf dem Hauptplatz blieb kein Stein auf dem anderen. 140 Millionen Euro fließen in die innerstädtischen Umbauten, das meiste davon EU-Gelder.
Schwierige Finanzlage
Der resolute Eifer, mit dem der Stadtumbau betrieben wird, erstaunt. Ungarn ist von der Finanzkrise besonders hart betroffen, der Währungsverfall dramatisch, Steuerausfälle ebenso. Um 2,5 Prozent ist in diesem Jahr die Arbeitslosigkeit gestiegen (auf über zehn Prozent), mindestens 10.000 Firmen sind eingegangen und die nationale Fluglinie Malev trudelte in die Insolvenz. Aber Pécs baut unverdrossen seine Museumsmeile in der Káptalan utca, hat frühchristliche Grabkammern aus dem vierten Jahrhundert mit Glas überdacht, präpariert zwei Plätze für Großveranstaltungen, saniert sechs Hotels oder baut sie neu für den prognostizierten Besuch von 250.000 Menschen und schließt im März eine Lücke, indem es ans europäische Autobahnnetz angebunden wird.
„Wir holen den Balkan nach Europa“
„Wir bauen auf Kultur“, sagt Tamás Szalay, 38, Direktor des Kulturprojekts und zuständig für die Verteilung des Budgets von sechs Millionen Euro. „Wir haben zu wenig Geld, um Startenöre oder große Bands zu buchen“, erklärt er. „Aber wir zeigen nicht nur unsere vorhandene reiche Kultur und unsere Perspektive.“ Pécs, nahe der kroatischen Grenze, soll zur Drehscheibe zwischen dem Balkan und Zentraleuropa werden. „Unser wichtigster Beitrag für Europa. Unsere Stadt wird zum Kulturzentrum der Region, die bis nach Zagreb, Belgrad und Sarajevo reicht.“ Sie nennt sich Euroregion Donau-Drau-Save.
Das Lokale von A wie Archäologie über B wie Bauhaus – bedeutende Bauhaus-Künstler wie Marcel Breuer oder Andor Weininger stammen aus Pécs – bis zu Z wie Zsolnay-Porzellan und Zebrakunst von Victor Vasarely, dem Pionier der geometrischen Formen, dessen Geburtshaus musealisiert worden ist, werden mustergültig aufgepäppelt.
Aber bedeutender erscheint Szalay, dass serbische Künstler im Nador-Haus am Hauptplatz ausstellen, dass kroatische Schriftsteller lesen, bosnische Muslime trotz Visumspflicht bei Veranstaltungen der Off-Szene auftreten werden. „Die Kulturhauptstadt Pécs wird das herkömmliche Gefüge aufbrechen“, prophezeit er. „Pécs verändert die politische Karte Europas“, sagt Szalay. „Das wird fortgeführt, wenn Ungarn Anfang 2011 die EU-Präsidentschaft übernehmen wird. Wir holen den Balkan heim nach Europa.“
Pécs | Ungarn
Kulturhauptstadt 2010
www.pecs2010.hu
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