Klangwelten: Gemischte Gefühle

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Zweimal das gleiche Album, aber zwei unterschiedliche Meinungen – Musiktipps aus der Kulturredaktion.

An der Hotelbar

De Mënsch huet net gär Verännerungen, dat ass bekannt. Wa säi Liiblingsrestaurant zoumécht, da leit hien als éischt emol Honger, a wann eng Band, déi hie vill lauschtert, op emol de Musiksstil wiesselt, dann erkennt hie se net méi erëm an huet d’Tendenz, als éischt ze soen: Dat ass net méi meng Band.

Et kann ee sech virstellen, datt dat elo wäert geschéien, mat dem sechste Studioalbum vun den Arctic Monkeys, dee méi un dem Alex Turner, Frontmann a Sänger, seng Soloprojeten oder säi Sideprojet Last Shadow Puppets denken deet wéi un déi fréier Aarbecht vun der Band.

Roueg an jazzy

Fort vun de knaschtege Gittareriffer an de knëppelege Percussiounsasätz vu fréier, presentéiert Tranquility Base Hotel & Casino e méi rouegen, jazzege Sound mat vill Piano a Synthesizer, tëscht Glamrock a Lounge-Pop, mee dem Alex Turner seng selbstsécher an entspaante Crooner-Stëmm, déi sech elo komplett als Protagonist vum Album ervirhieft, vibréiert awer besser wéi jee, waarm, gemittlech.

An och wann d’Lyrics d’Halschent vun der Zäit wéi eng Zort arbiträre Stream of Consciousness wierken, deen awer ëmmer erëm Biller entstoe léisst („I just wanted to be one of those ghosts you thought that you could forget/And then I haunt you via the rear view mirror on a long drive from the back seat“ aus Star Treatment), huet ee Loscht, sech vun der Wäermt a Gemittlechkeet vun där Stëmm dreiwen ze loossen, wéi op engem long fleuve tranquille.

Fir mech ass deen Album eng logesch Konsequenz vun dem Wee, deen d’Arctic Monkeys säit hirem drëtten Album, Humbug, ageschloen hunn, sou wéi wa se hire Sound an de leschten zéng Joer geglätt hätten. Et denkt een e bëssen un de Bowie oder un dat, wat de Father John Misty an der Lescht ervirbruecht huet.

Tranquility Base Hotel & Casino ass e couragéierten Album: Et stellt ee sech d’Grupp op enger niddreger Bühn vir, an enger Hotelbar, gekleet an ale stëbsege Kostümer, spéit an der Nuecht, mat just nach puer verluere Geeschter ronderëm engem, deenen d’Schmink oder d’Gesiicht net méi riicht sëtzt. E richtege Glécksmoment.

Ian de Toffoli gibt Tranquility Base Hotel & Casino von den Arctic Monkeys 8 von 10 Punkten – und empfiehlt diesen Track:


Music for Elevators?

Manchmal ist sogar ein Gallagher ratlos: Am Mittwoch gab Noel Gallagher bekannt, dass er das neue Album der Arctic Monkeys merkwürdig finde. Bereits vorher hatte die Songsammlung über ein fiktionales Hotel, das sich nach der Kolonisierung des Mondes in einer Kraterwüste niedergelassen hätte, polarisiert.

Die Hipster-Institution Pitchfork ist zwar begeistert, hier setzt in meinen Augen aber wieder das ein, was ich den kulturellen Lethargie-Effekt getauft habe: Ein anerkannter Künstler veröffentlicht das erste mittelprächtige Werk seiner Karriere, da er aber Kritiker- und Publikumsliebling ist, versucht man, sich das Werk schönzureden, ihm mehr Tiefgang zu verleihen, als es eigentlich hat. Mit dieser Masche ist es z.B. M. Night Shyamalan in der Filmbranche sehr lange gelungen, sich durchzumogeln.

Ganz so schlimm wie ein Shyamalan-Film ist Tranquility Base Hotel & Casino zwar nicht, vergleicht man die elf geschmeidigen, leicht futuristischen Lounge-Nummern für hippe Cocktail-Bars mit den stürmischen Anfängen der Band, kann man aber durchaus skeptisch sein. Klar, Bands ändern ihren Stil. Es hapert hier aber nicht am Stil, sondern am Niveau der Songs.

Dass Sänger Alex Turner diese auf dem Klavier, das er speziell für diese Gelegenheit lernte, komponiert hat, hört man ihnen definitiv an: Sie klingen teils wie die bemühten Entertainment-Versuche eines nicht sonderlich talentierten Barpianisten. Speziell Opener „Start Treatment“ und „One Point Perspective“ irritieren durch ihre unauffällige Gemächlichkeit und monotone Belanglosigkeit – und erinnern mitunter an Father John Misty.

Das Konzept der Mondhotelband legitimiert zwar die schleppenden Rhythmen und das Midtempo, dass vieles hier aber nach (guter) Fahrstuhlmusik klingt, ist angesichts dessen, dass man fünf Jahre auf diese durchwachsene Songsammlung warten durfte, doch etwas dreist. Ab „American Sports“ kommt die Platte etwas in Fahrt, bis zur Auskopplung „Four Out of Five“ (mitsamt „Hotel California“-Plagiaten) ist das Album toll.

Dass es sich wie ein einziger langer Song anhört, ist hier nicht unbedingt ein Kompliment, sondern lediglich eine Konsequenz davon, dass aus dem schicken, eleganten Flow nicht wirklich viel herausragt.

Jeff Schinker gibt Tranquility Base Hotel & Casino von den Arctic Monkeys 5 von 10 Punkten – und empfiehlt diesen Track:


Bach im modernen Gewand

Bei Ankündigung eines neuen Albums von Brad Mehldau kann man meist ohne zu zögern in Vorfreude schwelgen. Als einer, wenn nicht sogar DER Pianist, der das moderne Jazz-Klavier richtungsweisend beeinflusst hat, bringt es Mehldau fertig, seine Zuhörer trotz enormen Wiedererkennungswerts und homogener musikalischer Sprache immer auf ein Neues zu überraschen. Zweifellos gehört er zu den größten Künstlern, bedingt durch seine fast übermenschliche Unabhängigkeit beider Hände, die sein Piano-Solo-Spiel zu einer von orchestralem Denken geprägten Über-Performance heranwachsen lässt. Auch ohne unnötige Virtuosität behält Mehldau dennoch einen unbiegsamen Sinn für Einfachheit, Melodie und eleganter Melancholie.

Explosiv

Beginnen seine Stücke oft sehr minimalistisch und aufs Elementare bedacht, entwickeln sie sich zu explosiven Klangarchitekturen weiter, die von Ideenreichtum, harmonischen sowie melodischen Spitzfindigkeiten nur so strotzen, aber trotzdem nie den roten Faden und die Logik verlieren. Man denke nur an seine Arrangements von bekannten und weniger bekannten Popsongs, ob von Massive Attack, Nick Drake, Oasis oder Radiohead, die sich live zu improvisierten Sinfonien am Klavier entwickeln, die einen nur noch staunen lassen.
Mit After Bach setzt er sich eine neue Herausforderung: Einerseits interpretiert er textgetreu eine Auslese favorisierter Bach-Werke aus dem „Wohltempertierten Klavier“, andererseits erweitert er das Repertoire um eigene Kompositionen und Improvisationen über diese bestehenden Stücke. Und das mit einer Ausgewogenheit, die einen ohne Problem das Album in kompletter Länge hören lässt.

Eigentlich greift er dabei eine ureigene Idee des Aufführungspraxis der Barock-Ära auf: Bach selber hat Fugen improvisiert, mit wenig Material und Themen spontan Großes geschaffen, nur herrschten vor 300 Jahren noch strengere Regeln. Mehldau schafft es, diese Idee ins Jahr 2018 zu transferieren, und kreiert somit einen weiteren Meilenstein des Solo-Klaviers, der keinem Musikbegeisterten entgehen sollte.

„After Bach“ von Brad Mehldau erhält von Pol Belardi 8 von 10 Punkten. Er empfiehlt diesen Track: 


What’s the Deal?

Der Deal besteht darin, dass die Breeders ihr erstes Album seit zehn Jahren veröffentlicht haben – und das in der Original-Besetzung ihres „Last Splash“-Albums, des Soundtracks für das Indie-Rock-Amerika jenseits von Grunge, mit dem sie 1993 dank des Überhits „Cannonball“ Platin einheimsten.

Die ehemalige Bassistin und Backup-Sängerin der Pixies Kim Deal hat sich also erneut mit ihrer Zwillingsschwester Kelley zusammengetan, mit der sie sich die Gitarrenarbeit und die Vocals teilt, sowie mit Bassistin Josephine Wiggs und Schlagzeuger Jim Macpherson.
Die Songs, die sie aufgenommen haben, klingen, als wären seit „Last Splash“ keine 25 Jahre, sondern nur fünf Tage vergangen. Das Album hat denselben Sound, atmet denselben Spirit und Kim Deal singt mit 56 Jahren immer noch wie ein leicht gelangweiltes Teenie-Gör.

Als ich die beiden Songs „Wait in the Car“ und „MetaGoth“ zum ersten Mal im Radio hörte, war ich mir sicher, es müsste sich um verschollene Aufnahmen aus den 90er Jahren oder um Outtakes von „Last Splash“ handeln. Voll danebengehauen! Kim hat sich ihre Les Paul und den guten alten Marshall Amp geschnappt und macht damit herrlichen Retro-Krach, der wunderbar mit ihrer eher lieblichen Stimme kontrastiert.
Garagen-Band dreht auf

Wenn sie im erstgenannten Track in die Rimshots ihres Schlagzeugers ein beherztes „Good Morning“ hineinplärrt, ist man schon verkauft. Alle poltern los, dass es ein Genuss ist. Man muss nur noch die Anlage schön aufdrehen, damit es am Ende auch ordentlich in den Ohren pfeift.

Doch es gibt auch leisere und eindringliche Songs, wie zum Beispiel „Dawn: Making an Effort“, in dem sich die Gitarren nach und nach zu einem Crescendo aufbäumen, während uns Kim etwas von lächelnden Totenschädeln erzählt.

Nach einem Hit à la „Cannonball“ sucht man allerdings vergeblich und die Coverversion „Archangel’s Thunderbird“ der Krautrocker Amon Düül II, der man nichts Neues abgewinnen kann, hätte man sich vielleicht sparen können.

Ansonsten darf man auf die Live-Auftritte im Sommer gespannt sein.

Gil Max gibt der neuen Breeders-Platte „All Nerve“ 7 von 10 Punkten und empfiehlt diesen Track: