Philosophie unter dem Sonnenschirm

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Ein Büchlein über den französischen Philosophen Montaigne schafft es in Frankreich zum Bestseller. Autor Compagnon fasste die Erkenntnisse des Humanisten aus dem 16. Jahrhundert in kleine, gut verdauliche Dosen zusammen. Und traf damit den Zeitgeist.

Der Sommer geht auch in Frankreich zu Ende und die literarische Welt wundert sich. Wer dieses Jahr am Strand lag und schaute, was der Nachbar so unter seinem Sonnenschirm las, sah nicht nur Bestseller wie „Shades of Grey“ oder „Das beste Medikament sind Sie selbst!“ In sandigen Urlauberhänden schimmerte auch ein zitronengelbes Büchlein mit dem Titel: „Un été avec Montaigne – Ein Sommer mit Montaigne“.

Portrait des französischen Schriftstellers.

Die schönsten Bestseller sind die, mit denen keiner gerechnet hat. Bei denen die Mund-zu-Mund-Propaganda funktioniert und von denen in einem Sommer schon bald 100.000 Stück verkauft sind. Wie jetzt bei diesem Buch über Michel de Montaigne, den großen französischen Philosophen aus dem 16. Jahrhundert. Zeitweise schaffte es das kleine Werk unter die ersten fünf Plätze auf der Bestsellerliste.

Zeitlose Fragen zum Leben

Autor ist Antoine Compagnon (63), Professor am Collège de France, Montaigne- und Proust-Experte. Im vergangenen Jahr kommentierte er im Sommer Tag für Tag für den Radiosender France Inter Textstellen aus den „Essais“ von Montaigne, dem Hauptwerk des Philosophen und Humanisten aus der französischen Renaissance, dem die Menschheit heute die Gattung des Essays verdankt.

Montaignes Gedanken und Alltagsbeobachtungen gelten als komplexes Werk. Stückchen davon in aller Kürze im Radio zu interpretieren, war dem Experten ein Graus und eine Herausforderung zugleich. Letztlich wurde ein Buch daraus: Montaigne in 40 kurzen Kapiteln – mit Gedanken etwa über den Wandel der Welt, über das Altern und den Tod, Selbstkontrolle und Selbstzweifel, Reisen, Freundschaft oder gar Übergewicht. Über Fragen zum Leben eben.

Glücksbücher haben seit Jahren Konjunktur, und dass man mit Montaigne die heutigen Glückssucher und das eigene Portemonnaie beglücken kann, wusste schon die Britin Sarah Bakewell. Von ihr erschien vor einem Jahr das Buch „Wie soll ich leben? Das Leben Montaignes in einer Frage und zwanzig Antworten“.

Ein ratgebender Zeitgenosse

In Frankreich hat jetzt sicher auch der reizvolle Titel von Compagnons Buch zu seinem Erfolg beigetragen. Aber auch die Lust der Franzosen, einen ihrer Philosophen wieder zur Hand zu nehmen und ihn in kleinen Dosen verständlich, teils humorvoll und sommerleicht präsentiert zu bekommen. Mehr als fünf Jahrhunderte nach Montaignes Tod schafft es Compagnon, Montaigne als ratgebenden Zeitgenossen darzustellen.
Schließlich rief der Humanist dazu auf, den Moment zu genießen, Freude am Leben zu haben und sich diese nicht vom Wissen über den Tod nehmen zu lassen. Das bleibt aktuell für alle Rastlosen des 21. Jahrhunderts, in deren Köpfen die Gedanken rasen vor lauter Plänen.

Und viele Franzosen, die derzeit voller Sorgen in die Zukunft blicken, suchen vielleicht auch in dieser Krisenzeit ein wenig Halt in Frankreichs Kulturerbe und bei jahrhundertelang gereifter Weisheit.