Nur eine Frage der Zeit

Nur eine Frage der Zeit
(© Andreas Mühe/courtessy Carlier/Gebauer, Berlin u)

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Der Europäische Monat der Fotografie findet dieses Jahr im Mudam, im Casino, im Cercle Cité und im „Musée national d’histoire et d’art“(MNHA) statt.

An den vier Orten ist jeweils ein Teil der Ausstellung „Memory Lab – Photography challenges History“ zu sehen. Nachfolgend einige Eindrücke von „Le passé du présent“ im MNHA.

Memory Lab II:
Le passé du présent

Fotografien von Antoine d’Agata (F), Silvio Galassi (L), Gábor Gerhes (HUN),
Andreas Mühe (D), Erwin Olaf (NL), Adrien Pezennec (F), Bettina Rheims (F), Lina Scheynius (SWE), Vee Speers (AU)

Wo? Musée national d’histoire et d’art, Fischmarkt
Tel.: 47 93 30-1

Wann? Noch bis den 13.9.
Di., Mi. Fr. – So.: 10 -18 Uhr
Do.: bis 20 Uhr
Mo. geschlossen
Am Samstag, dem 12. und Sonntag, dem 13. September ist der Eintritt zur Ausstellung frei.

www.mnha.lu

Die Nazis hatten sehr früh erkannt, wie wichtig es ist, gut in den Medien „rüberzukommen“. Nicht umsonst gab es damals ein „Propagandaministerium“. Was sie mit Handys gemacht hätten, zeigt der deutsche Fotograf Andreas Mühe in seiner Fotoserie „Obersalzberg“, in der er ausdrücklich Bezug auf den Fotografen Walter Frentz nimmt, der zahlreiche Nazi-Größen am Obersalzberg, Hitlers Sommerresidenz, fotografierte.

Persiflage

Er stellt Motive von Frentz allerdings nicht eins zu eins nach, sondern persifliert sie, indem er ihren Hang zur Selbstdarstellung aufs Korn nimmt. Das oben gezeigte Foto könnten zwei Jugendliche im Urlaub sein, die für ein Foto für die sozialen Medien posieren, wenn da nicht die Nazi-Uniformen wären, die dem Foto eine spöttische Note geben.

Ein Foto zeigt einen Offizier: langer Ledermantel und Kappe mit Totenkopfemblem. In der Hand hält er einen Gehstock. Das Bild daneben zeigt den gleichen Mann nackt. Uniformen machen den Herrenmenschen.

„Die Geschichte bildet die Bühne, den Rahmen“, schreibt das MNHA in der Einleitung zur Ausstellung, „das dort gegebene Theaterstück spielt jedoch eher in der Gegenwart (…)“. Andreas Mühes nachgestellte „Naziwerke“ unterstreichen zwar die Mediengeilheit der Nazis, werfen aber auch einen schelmischen Blick auf den Hang zur Selbstdarstellung etlicher Zeitgenossen. Mühes Spiel mit der Nazi-Ästhetik ist ein zweischneidiges Schwert. Ein voreiliger Beobachter könnte ihn allzu schnell rechter Propaganda verdächtigen. Doch Mühes Fotos sind im Gegensatz zu denen Frentzes inszeniert und die Posen übertrieben. Die Persiflage ist unübersehbar.

Gestörte Harmonie

Noch enigmatischer erscheinen die Bilder des niederländischen Fotografen Erwin Olaf. Auch seine Bilder befremden wegen der Inszenierung. In der „Freimaurerloge Dahlem“ zeigt ein adrett angezogener Junge mit schwarzen Handschuhen mit dem Zeigefinger auf einen Schwarzen, dessen Brust mit Medaillen behangen ist. Im Hintergrund ein Bild eines preußischen Offiziers, ebenfalls hoch dekoriert. Wohnung, Möbel und die Kleidung des kleinen Jungen scheinen gutbürgerlich. Mit Freimaurerei verbindet man zudem humanistische Ideale wie Gleichheit und Brüderlichkeit. Der sportliche Körper des Schwarzen bringt das ansonsten „harmonische“ Bild jedoch aus dem Gleichgewicht, weshalb der Junge mit dem Finger auf ihn zeigt.

Der einzige Luxemburger Künstler der Ausstellung ist der in Frankreich lebende, aber aus Esch/Alzette stammende Silvio Galassi. Er benutzt existierende Fotonegative, die er zu neuen Realitäten verarbeitet. Nicht das ursprünglich Abgebildete steht hierbei im Vordergrund, sondern der Effekt, den die Zeit auf die Fotos hat, und natürlich auch auf die abgebildeten Personen.

Gemeinsam ist allen Fotos, dass sie uns neue Interpretationsmöglichkeiten für vergangene Gegebenheiten bieten. Situationen, die wir heute ohne Weiteres akzeptieren – z.B. Selfies –, wirken in einem anderen Kontext, wie z.B. Nazizeit, befremdend. Die Sache selbst ist jedoch unverändert. Der Ausdruck „keine voreiligen Schlüsse ziehen“ wird durch die Arbeiten von „Memory Lab“ bildlich unterlegt: Die Zeit verwischt alle Spuren und legt neue.