Max Thommes lässt sich beschatten

Max Thommes lässt sich beschatten
(Tageblatt-Archiv)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Alternativ zur Berlinale gibt es die "Boddinale". Bei diesem Filmfestival ist Luxemburg duch Schauspieler Max Thommes vertreten.

Ungefähr sechs Kilometer von der glamourösen Berlinale entfernt findet zum gleichen Zeitpunkt die „Boddinale“ statt. Diese ist quasi eine Underground-Variante des Festivals, die aus den Tiefen der Counter-Culture entstand. Auch auf der Boddinale war Luxemburg via Schauspieler Max Thommes, der sich im Film „Nothing to Hide“ einen Monat lang über eine App beschatten ließ, vertreten. Tageblatt.lu hat sich mit ihm über diese Erfahrung unterhalten.

„Und dann saß ich da alleine in einem Kinosaal und diese beiden Unbekannten haben mir mithilfe von Tabellen und Statistiken Hypothesen aufgetischt über das, was ich im letzten Monat meines Lebens gemacht hatte – wen ich getroffen habe, wann ich wo war, welche Telefonate ich mit wem geführt hatte, welche Rolle und Funktion diese und jene Person wohl in diesem kurzen Lebensabschnitt angenommen hatte. Verrückt, oder?“

Ein Monat lang alles überwacht

Max Thommes lacht kurz auf. So wie man halt lacht, wenn man etwas erzählt, das eigentlich die Grenzen unseres Verständnisses überschreitet. Denn der luxemburgische Schauspieler, der sich zurzeit am Drehort von „Der Hauptmann“ von Robert Schwentke („der Typ der auch ‚R.E.D.‘, diesen Actionfilm mit Bruce Willis, gedreht hat“) befindet, hat vor kurzem an einem Projekt der besonderen Art teilgenommen.

Der Dokumentarfilm „Nothing to Hide“ basiert nämlich auf folgender Idee: Jemand lässt für einen Monat seine gesamten Aktivitäten auf dem Handy und Computer überwachen. Die Daten werden von einem Hacker und einer Datenanalystin gesammelt. Der Inhalt der Nachrichten – die via Facebook, E-Mail, WhatsApp, SMS etc. an ihre Empfänger geraten – soll nicht eingesehen werden, die Folgerungen der beiden Überwacher rein auf dem Auswerten der Metadaten beruhen.

Nur Metadaten werden ausgewertet

Wie das konkret abläuft? „Man lässt sich eine App auf dem Handy und auf dem Computer installieren, die alle Metadaten sammelt.“ Wie das Projekt zustande kam? „Mein Mitbewohner, der Journalist Marc Meillassoux, hat sich seit einiger Zeit für das Thema der Onlineüberwachung interessiert. Wie viele andere auch. Auslöser waren unter anderem Snowden und das Gefühl, dass sich trotz dieser Enthüllungen im konkreten Alltag eigentlich sehr wenig geändert hat. Er hat sich dann für Cryptopartys interessiert, also Events, wo Leute zusammenkommen, um sich Verschlüsselungstechniken beizubringen. Dann entstand diese Idee, einen Film daraus zu machen. Anfangs dachte ich, es würde eine Art Reportage werden. Aber die Regisseure Meillassoux und Mihaela Gladovic wollten ein richtiges Leben einbauen, ein Fallbeispiel sozusagen, um die Reportage greifbarer wirken zu lassen.“

Und wie wurdest du ausgewählt? „Marc wollte das Experiment eigentlich an sich selbst durchführen. Doch dann stellte er fest, dass er z.B. um 8.00 Uhr morgens schon aufstand, um der App vorzumachen, er wäre geschäftiger als er es eigentlich ist. Er log sich quasi selbst an. Als er dann merkte, dass das nicht hinhauen würde, suchte er jemand anderen. Und da kam ich ins Spiel.“

Selbsterkenntnis ohne Konsequenzen

Was erfährt man denn so über sich nach einem Monat? „Sehr vieles eigentlich. Ich habe z.B. gemerkt, dass ich nach der ‚Tatort‘-Premiere (wo Max Thommes kürzlich mitgespielt hat; d.Red.) auffällig viele Google-Recherchen gemacht hatte – wohl um die Kritiken zur Sendung zu lesen. Sie hatten auch eine Art Baum aufgestellt, wo all meine Kontakte in Kategorien aufgeteilt worden sind. Und sagten dann: Das hier sind deine Freunde, da sind die Kollegen aus der Filmbranche, da drüben mögliche Lover.“

Laut Thommes waren die meisten Schlussfolgerungen, die über ihn erstellt wurden, sehr akkurat. „Manche Sachen entgingen ihnen aber. Sie konnten z.B. nichts über meinen Vater herausfinden, da ich dessen Nummer immer manuell eingebe.“

Was man dann wohl „statistical noise“ nennt. Wobei das Auswerten der Metadaten ja wohl auch dazu dient, diese Zufälligkeiten wieder in ein Raster einzubauen und zukünftig auszuschließen – was David Foster Wallace in seiner Kurzgeschichte „Mister Squishy“ auf eine erschreckend beeindruckende Art und Weise gezeigt hat. Denn so langweilig das Thema Statistiken auch klingt, zeitgenössische Kunst täte wohl gut daran, mehr auf dieses Thema einzugehen.

Belanglos? Verrückt?

Die Algorithmen, denen solche Empfehlungen zugrundeliegen, erlauben es glücklicherweise dann doch nicht, unser Leben total zu erfassen. Was aber vielleicht auch daran liegt, dass jemand wie Max Thommes als Schauspieler ein Leben außerhalb der konventionellen Raster führt.

Wie das Experiment wohl ausgefallen wäre, wenn man die Existenz eines biederen Bürokraten als Fallbeispiel benutzt hätte? „Ja, dann hätte man wahrscheinlich noch viel genauer erfassen können, was diese Person in diesem Monat so getrieben hat. Man erfährt aber auch so einiges über seine Art und Weise, zu leben. Wenn ich mir den Film anschaue, sage ich mir, dass er eigentlich einen ziemlich belanglosen Monat meines Lebens einfing. Andere würden mich nach Anschauen des Films im Gegenteil wohl als total verrückt bezeichnen.“

Ich erinnere mich daran, dass Facebook mir vor kurzem vorgeschlagen hat, eine Party für oder mit einer Person zu organisieren, die gleich Geburtstag feiert und mit der ich wohl laut Metadatenauswertung überdurchschnittlich viel in Kontakt bin. Als ich dies Thommes erzähle, zeigt er sich schockiert.

Zwischen Paranoia und Gleichgültigkeit

Das Faszinierende liegt ja eigentlich darin, dass wir mehr oder weniger ahnen, was mit all diesen Daten passiert, und uns weiterhin munter auf diversen Netzwerken profilieren und Nachrichten auf Plattformen zuschicken, die wir als unsicher empfinden. Der Mensch scheint hier, sage ich Thommes, zu schwanken zwischen einer extremen Paranoia, die ihn skeptisch gegenüber allem und jedem macht, und einer Art unangebrachter Gleichgültigkeit, die sich dadurch übersetzt, dass man denkt, das eigene Leben wäre so uninteressant/beliebig, dass es sowieso niemanden interessieren könne. „Stimmt. Denn auch nach dieser ganzen Erfahrung habe ich im Endeffekt sehr wenig an meinem Leben geändert. Ich benutze kein WhatsApp mehr, sondern Telegram. Und ich bin mir einfach bewusster, was mit all den Daten passiert oder passieren könnte. Ich glaube, wir sind schon so tief in dieser Sache drin, dass man ja eigentlich seinen ganzen Lebensstil ändern müsste, um sich dieser ganzen Überwachung zu entziehen.“

Und da spielen dann viele Faktoren mit, die dazu führen, dass wir uns trotzdem manipulieren lassen – die Angst, nicht mehr dazuzugehören, wenn wir Internet und Facebook, dieses universale Dorf, verlassen. Die Sucht, die dieses Gefühl des Vernetztseins auslöst – denn soziale Netzwerke vermitteln eine trügerische, schnelllebige Illusion der Gemeinschaft. Und diese verdammte Einsamkeit, die Facebook und seinesgleichen mit einer Scheinempathie überpinseln.

Weniger elitär

„Nothing to Hide“ wurde am Donnerstag im Rahmen der Boddinale ausgestrahlt. Was das für Max Thommes bedeutet? „Die Boddinale ist halt dieses Underground-Festival, das die Berlinale seit einiger Zeit begleitet. In einigen Kneipen werden Filme zeitgleich ausgestrahlt, eine davon war früher ein Bordell. In einer dieser Bars werden dann auch Gespräche mit den Filmemachern geführt. Jeder darf da vorbeischauen, das Ganze ist viel alternativer, viel weniger elitär als die Berlinale. Einige der ausgestrahlten Filme sind auch wirklich sehr, sehr trashig.“

In Luxemburg wird der Film am 3. März im „Gudde Wëllen“ gezeigt.