Lügen und andere Nettigkeiten

Lügen und andere Nettigkeiten
(TOL)

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"Sous la ceinture", eine groteske Komödie über Wahrheit und Trug, feierte vorgestern im "Théâtre ouvert Luxembourg" (TOL) Premiere.

„Nur die Lüge kann Hanrahan retten“, sagt der Chef zum Angestellten Dobbitt. Dass dieser Satz nun der Kernsatz des Stückes wäre, wollen wir nicht behaupten, allerdings gibt er die Aussage des Stückes treffend wieder.

In einer Fabrik irgendwo mitten in einer Wüste tritt ein Angestellter seine neue Arbeitsstelle an, wo er zusammen mit einem weiteren Kollegen und einem Chef arbeiten wird. Die Aufgabe der zwei Arbeiter ist es, die Produktion zu kontrollieren, die des Chefs, sie zu kontrollieren. Viel mehr erfährt der Zuschauer nicht über ihre berufliche Aktivität. Darum umso mehr über die zwischenmenschlichen Beziehungen, ihre Intrigen, die wechselnden Allianzen, die einer mit einem der anderen gegen den jeweils Dritten bildet. Der Zuschauer wird Zeuge, wie Mobbing zur Kunstform ausartet.

„Sous la ceinture“, auf Deutsch „Tiefschlag“, ist ein Begriff aus dem Boxjargon und bezeichnet Schläge unter die Gürtellinie, die in fast allen Kampfsportarten untersagt sind. Heißt dieser Kampfsport jedoch Mobbing, dann stellen sie den Hauptteil der Taktik dar: Tiefschläge werden hier besonders gern eingesetzt.
Bevorzugte Taktik der beiden „alten“ Angestellten ist dabei das Lügen. Der neue Angestellte, Dobbitt, (Jean-Marc Barthélemy), versucht nach seiner Ankunft in der Fabrik es jedem Recht zu machen, muss jedoch erkennen, dass die Wahrheit ihn nicht weiter oder besser nach oben in der Firmenhierarchie bringt. Eine Allegorie, die wohl keiner Erklärung bedarf.

Es sind Szenen vom Schlachtfeld Büro, die wohl so einige aus ihrem Berufsleben kennen. Die verbalen Attacken, die Hanharan und Merkit (Claude Frisoni) gegen den überraschten Dobbitt reiten, erinnern zeitweise an die Zeichentrickfigur Bugs Bunny: Mit ihren absurden Sophismen verwirren sie ihren Kollegen dermaßen, dass dieser des Öfteren nicht weiß, was er eigentlich sagen will oder gar denkt.

Analog zu der Grauzone, in der sich das Zuschauerwissen über die nicht näher definierte Fabrik befindet, ist das Dekor von der Bühnenbildnerin Jeanny Kratochwill fast ganz in Grau gehalten. Die Situation der Figuren wird so bildlich in Szene gesetzt. Kratochwill tut das auch mittels der Kostüme, für die sie ebenfalls verantwortlich ist. Die drei Angestellten tragen meistens Kittel, die sich lediglich durch ihre Farbe unterscheiden. Merkin, der Chef, trägt natürlich Weiß, der neue Angestellte trägt traditionelles Arbeitsblau, der zweite, schon länger dort arbeitende Hanrahan, Grau. Er verschmilzt quasi mit dem Dekor.
Hanrahan ist auch die Figur, an der das Groteske der Situation am sichtbarsten wird, nicht zuletzt durch die Darstellung von Hervé Sogne: Sein starrer Blick verleiht seiner Figur etwas mechanisch Roboterhaftes, fast Krankhaftes.

Alles ist falsch

Die Schlüsselszene des Stücks ist eine improvisierte Party, bei der alles nur Illusion, alles falsch ist. Unsere drei Angestellte feiern ihr eigenes Fest, weil sie nicht auf das offizielle Firmenessen eingeladen werden. Mit falschen Krawatten und Karnevalshüten feiern sie ein ebenso falsches Fest. In ihrer bereits surrealen Welt bauen sie sich ihre noch kleinere absurde Traumwelt. Die gewollte – oder ungewollte? – Ironie liegt in der Tanzszene der Party: Merkin und Dobbitt bewegen sich unbeholfen zur Musik (vielleicht sind es aber auch die Schauspieler, die sich nicht wohl beim Tanzen fühlen?). Der Einzige der dreien, der einigermaßen weiß, wie man sich zu Musik bewegt, ist Hanrahan, obwohl sich der Chef gerade über seine Tanzkünste lustig gemacht hat.
Regisseurin Fabienne Zimmer nimmt mit ihrer Inszenierung ausdrücklich Bezug auf Terry Gilliams groteske Komödie „Brazil“ aus dem Jahre 1985, in welcher der Rahmen ebenfalls ein absurdes Arbeitsfeld ist. Der Bezug wird durch das Lied „Brazil“ von Ary Barroso geschaffen, das jedes Mal zwischen den einzelnen Szenen erklingt.

Einmal erklingt John Lennons „Imagine“. Die Protagonisten erlauben sich dabei einen kurzen Augenblick zu träumen: die Welt, die das Lied beschreibt, ist nicht die ihrige, ein weit entfernter Wunsch, den sie aber offensichtlich alle hegen.
„Below the Belt“ war 1996 am Broadway ein Riesenerfolg. Das Wall Street Journal wählte es in dem Jahr zum besten Stück des Jahres. Lacher gab es vorgestern zwar genug, aber die Zuschauerreaktion hielt sich am Ende dann doch in Grenzen.