Luc Spadas Tourette-Poesie

Luc Spadas Tourette-Poesie
(Photo: AlainRischard/Editpress)

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Vor langer Zeit stellte Marcel Duchamp ein Pissoir in ein Museum und revolutionierte die Kunst. 2017 veröffentlicht Luc Spada Verse wie „ein schönes haus hast du/du hast da/ABER WIRKLICH" – und versetzt der zeitgenössischen Poesie damit einen möglicherweise fatalen Todesstoß.

Was passierte dazwischen? Nun, Duchamps subversive Hinterfragung der Natur und der Definition der Kunst öffnete leider auch den Raum für solche Scharlatane, die nach dem Urinal wohl dachten, ihre Zahnbürste, ihr Mundwasser oder ihr Rasierapparat würde auch ins Museum gehören. Das Sprengen der Regeln der Kunst zieht allerdings nach sich, dass es nur ein einziges Mal für Aufruhr sorgt.

Denn Subversion ermüdet an der Wiederholung, sowohl in der Synchronie wie in der Diachronie. In der Poesie ist dies nicht unähnlich. Auch hier geht mittlerweile sehr viel. Und wenn Luc Spadas „Fass mich an“ etwas gelingt, dann ist es das Hinterfragen der Grenze zwischen Poesie und Prosa, zwischen Avantgarde und, verzeihen Sie, gequirlter Scheiße. Zwischen Literatur und aneinandergereihten Wörtern. Denn bloß/Weil ich in Versen schreibe/Bedeutet dies nicht/Dass ich Poesie betreibe/Oder etwa doch?(1)

Kontextloser Dadaismus

Was einen auf diesen 180 Seiten erwartet? Nun, Spada kündigt es schon an: Beats, Punchlines, Bitchmoves. Es gibt also wieder die ewigen Spada-Themen: die Kritik am bösen Bürgertum (verstehe: bürgerlich und spießig ist jeder, der nicht mindestens vier Gin Tonics zum 17-Uhr-Frühstück trinkt), der absolut keine proletarische Aufmüpfigkeit, sondern höchstens eine Portion Selbstzweifel und Teenage Angst zugrunde liegt. Geschmückt wird dies mit den üblichen Tourette-Einlagen und den pseudo-existenziellen Überlegungen über Leben, Tod und Libido.

Die Verse eignen sich letztlich trotz einiger guten Ansätze aber hauptsächlich dazu, sich einer Art Spada-Bingo oder einem Spada-Trinkspiel (bestenfalls beidem) hinzugeben: Bei jedem erwähnten Geschlechtsorgan ein Schlückchen Wodka, und man ist im ersten Drittel des Buches schon betrunken – was für die Lektüre vielleicht gar nicht mal so schlecht ist. Denn das Problem ist nach wie vor, dass Spada eigentlich nichts zu sagen hat – abgesehen von seinem eigenen Narzissmus, ganz gleich, ob der jetzt Attitüde, Realität oder beides ist.

Spadas Narzissmus

Und dieser Narzissmus spiegelt sich so sehr in Spadas Auftreten wider, dass seine Bücher zur bloßen Begleitung werden, zur reinen Requisite. Eigentlich könnte der listige Spada seinen Verleger auch dazu bewegen, seine Bücher an Ikea zu verkaufen – da würden sie ihrer Funktion noch am ehesten gerecht werden. Oder, um es in Spadas Worte zu fassen: „dann/naja/dann/doch/dann war es auch schon vorbei/sie waren/genau so und/sind/nie.“ Naja dann/Gute Nacht.
Schuld an diesem Machwerk ist wohl auch der Verleger.

Ihr werte Damen und Herren von „éditions Guy Binsfeld“: Gibt es bei euch so etwas wie ein Lektorat? Liest da irgendjemand irgendwas, bevor es aufs Papier gedruckt wird? Sind bei euch die Türen so weit offen, dass jeder selbsternannte Nachwuchspoet bei euch veröffentlicht werden kann? Wieso sagt niemand Spada, dass er mit mehr Arbeit und weniger Logorrhö vielleicht irgendwann mal was Gutes raushauen könnte? Kann ich nächstes Jahr bitte meine Einkaufsliste bei euch veröffentlichen? Die ist meist relativ poetisch.

Leere Stellen

Immerhin gibt es in „Fass mich an“ sehr viele leere Stellen. Oft ist ein Gedicht nur wenige Verse lang, diese sind dann auch immer schön verschwenderisch auf mehrere Seiten verteilt. Das lässt viel Eigenraum: Man kann sich im Buch ganz toll Notizen machen, Skizzen zeichnen oder sogar seine Einkaufsliste aufschreiben. Wer weiß, vielleicht seid ihr, liebe Leser, nächstes Jahr auch dabei, im sehr demokratischen Binsfeld-Katalog. Spada wird diese Kritik wohl als Bitchmove ansehen – auch wenn sie eher eine überlange Punchline ist. Beim nächsten gemeinsamen Gin Tonic gibt’s dann wohl wieder den Mittelfinger.

(1) Das ist kein Spada-Gedicht, sondern ein formalsemantischer Beweis meines Ergusses.