
Philharmonie: Konzerte von Luxembourg Philharmonic und Solistes Européens
Seit seinem fulminanten Debüt beim Luxembourg Philharmonic mit Schostakowitschs 4. Symphonie im Mai dieses Jahres ist der russische Dirigent Tugan Sokhiev für viele der gewünschte Nachfolger von Gustavo Gimeno bei unserem Orchester. Auch bei seinem zweiten Konzert mit Robert Schumanns Klavierkonzert und Gustav Mahlers 1. Symphonie riss der Dirigent das Publikum von den Stühlen.
Schon bei Schumanns beliebtem Konzert für Klavier und Orchester wusste Sokhiev Akzente zu setzen. Einerseits schöpfte er aus dem Vollen, arbeitete aber immer wieder feine Linien und Nebenstimmen heraus. Vor allem ließ er den romantischen und durch und durch musikantischen Charakter des Werkes durchscheinen, ohne dabei auf ein nur gefälliges oder routiniertes Dirigat zu setzen. Dieser kunstvollen Interpretation, die zudem glänzend vom Luxembourg Philharmonic umgesetzt wurde, wusste der Pianist Jean-Frédéric Neuburger nicht viel entgegenzusetzen. Sein steifes, immer irgendwie unbeteiligtes Spiel stand sogar der emotionsgeladenen Interpretation von Sokhiev und seinen Musikern diametral gegenüber.
Neuburger, der zudem als Komponist tätig ist, schien sich hier nicht im rechten Repertoire zu befinden. Seine wenig emotionale, klare und sehr strukturiert wirkende Interpretation deutet eher auf eine Vorliebe für das zeitgenössische Repertoire, die französischen Impressionisten oder auch auf Bach hin als jetzt auf ein Konzert, das eine innere Beteiligung fordert. Spieltechnisch bleibt Neuburger brillant, differenziert allerdings sehr wenig. Alles wird auf der gleichen Linie gespielt, kaum interessante Phrasierungen, kaum Akzente lassen aufhorchen. Nur in den Kadenzen und in der Bach-Zugabe stellt Neuburger sein Talent wirklich unter Beweis. Das ist aber deutlich zu wenig.
Der Wunschkandidat kehrt zurück
Nach der Pause folgte dann die 1. Symphonie von Gustav Mahler, bei der Tugan Sokhievs Interpretation überraschte. Man muss seine Art der Gestaltung nicht mögen, aber Sokhiev schien sich hier eher der russischen Mahler-Tradition eines Swetlanov oder Kondrashin als der deutsch-österreichischen oder gar amerikanischen Sichtweise verpflichtet zu fühlen. Von Anfang an setzte Sokhiev auf Vielstimmigkeit, was ein eher ungewohntes Klangbild für Mahler ergab. Von der heiteren, farbigen Naturwelt, die hier ja gerne heraufbeschworen wird, war bei Sokhiev weniger zu spüren. Stattdessen drangen immer wieder düstere Töne durch, die Akzente waren oft hart, die Klarinetten klangen scharf, die Bläser oft grell.
Das ist kein Wohlfühl-Mahler, sondern eine sehr differenzierte und in jedem Sinne stimmige Leseart dieses Werks, dessen „melodiöser Seeligkeit“ übrigens auch der renommierte Mahler-Interpret Michael Gielen nie so recht traute. Das Luxembourg Philharmonic gab hier alles, um Sokhievs Interpretation ohne Fehl und Tadel umzusetzen. Dass es manchmal kurz zu Unstimmigkeiten kam, fiel bei dieser intensiven Aufführung nicht ins Gewicht, sodass am Ende die Orchestermusiker und Tugan Sokhiev vom Publikum lange mit Standing Ovations gefeiert wurden. Noch einmal. Dieser Dirigent, der sowohl von den Musikern als auch vom Publikum wegen seines Könnens und seiner unkonventionellen Interpretationen geschätzt wird, wäre jetzt genau der Richtige, um das Luxembourg Philharmonic auf die nächste Qualitätsstufe zu hieven.
Die SEL mit 35. Jubiläum
Eine Woche nach dem Orchestre de Chambre du Luxembourg starten nun auch die Solisten Européens Luxembourg mit einem Jubiläumskonzert in die Saison: Im September 1989 gegründet, feiert das Orchester in diesem Jahr seinen 35. Geburtstag. Zu dieser Gelegenheit hatte man den weltbekannten Geigenvirtuosen Vadim Gluzman eingeladen, der das 2. Violinkonzert von Sergej Prokofjew spielte, dies auf eine schier unvergleichliche Weise.

Fantastisch der warme und offene Klang seiner Ex-Leopold-Auer-Stradivari, der die beiden ersten Sätze in wunderbare Farben tauchte. Zudem machten die großzügige Phrasierung des Solisten, seine ebenso intelligente wie mitreißende Interpretation diese wunderbar lyrischen und expressiven Sätze zu einem Erlebnis. Dass Vadim Gluzman ein überragender Techniker und fingerfertiger Virtuose ist, stellte er in dem kantigen und den beiden ersten Sätzen gegenüber sehr modernen, fast kubistischen Finale unter Beweis. Dass diese Aufführung zu einem wirklichen Erlebnis wurde, ist aber auch dem Orchester zu verdanken, das unter Christoph König zur Hochform auflief.
Müdes Publikum, hervorragende Musik
Enttäuschend dagegen war der verhaltene Applaus eines müden Publikums, das diese Leistung wohl nicht so richtig zu schätzen vermochte. Eine Zugabe gab es trotzdem: eine sehr zart gespielte Serenade des ukrainischen Komponisten Walentyn Sylwestrows. Nachdem das Konzert mit der Freischütz-Ouvertüre von Carl Maria von Weber romantisch und mit Naturklängen begonnen hatte, hörten wir Antonín Dvoráks 8. Symphonie, dessen Symphonie ebenfalls sehr naturbezogen ist. Mit pastoralen, freundlichen und optimistischen Klängen ist diese Symphonie wohl eine der schönsten des Komponisten.
Herausragend auch die Interpretation des SEL unter einem sehr dynamischen Christoph König. Volltönend und präzise, farbenfroh und lebendig, satt im Klang und alles mit hörbarem tschechischen Ambiente; Königs Interpretation und das Spiel der SEL verbanden sich an diesem Abend zu einer in allen Punkten herausragenden Meisterleistung. Und wieder einmal bewies diese Aufführung, dass ein klassisch besetztes Orchester ein Werk wie Dvoraks 8. Symphonie oft wendiger, differenzierter und raffinierter spielen kann als ein groß besetztes Symphonieorchester.
Ein mehr als nur gelungenes Jubiläumskonzert, an dem auch Erbgroßherzog Guillaume teilgenommen hatte. Am Ende des Konzerts wurde die Bratschistin Ana Bela Chaves geehrt, die ihr letztes Konzert mit den SEL gespielt hatte. Blumen gab es auch für den Flötisten Imre Kovacs, der als einziger Musiker des Orchesters seit 35 Jahren, also von Anfang an, unterbrochen dabei war.
Weltpremiere in Düdelingen
In der St.-Martin-Kirche in Düdelingen findet zurzeit ein interessantes Projekt im Rahmen des „Festival international d‘orgue“ statt. Hier werden nämlich weltweit zum allerersten Mal Anton Bruckners 11 Symphonien, also auch die Nullte und Doppelnullte, in den Orgeltranskriptionen von Eberhard Klotz bis dem 2. November aufgeführt. Jede Symphonie wird dabei von einem anderen Organisten gespielt. Inzwischen ist das Festival bei Bruckners 4. Symphonie angelangt. Diese wurde am letzten Samstag auf der berühmten und international renommierten Düdelinger Stahlhutt-Jan-Orgel aus dem Jahr 1912 von der slowakischen Organistin Bernadetta Sunavska aufgeführt.
Im Mittelpunkt stand natürlich die Transkription von Eberhard Klotz, die durch Nuancenreichtum und ihre besonderen Farben überzeugt, ohne dabei den mächtigen Klang des Komponisten zu vernachlässigen. Natürlich kommt ein Organist in einer solchen Transkription zu einem ganz anderen Ergebnis als ein Symphonieorchester mit einem Dirigenten. Das ist aber nicht schlimm – im Gegenteil. Bernadetta Sunavska ließ das Werk in prächtigen Farben erklingen.
Ihre Tempi waren insbesondere im 1. Satz zwar für meinen Geschmack etwas zu langsam. Ansonsten konnte man sich an ihrem detailfreudigen und sehr lebendigen Spiel erfreuen. Und vor allem erhielt der aufmerksame Bruckner-Freund ein komplett neues Bild von dieser wohl beliebtesten Symphonie des Komponisten, und dies eben aus einer ganz anderen Perspektive. Am Samstag geht es dann weiter mit der 5. Symphonie: Diesmal spielt Mathias Lecomte, der den erkrankten Alexander Kuhlo ersetzt. Mehr Details gibt es unter www.orgue-dudelange.lu.
De Maart
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