„Kollisionszonen“ am Rande der Festung Europa

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Die Künstler Nadine Hilbert und Gast Bouchet, die in den 80er Jahren mit ihren fixen und bewegten Fotos eine visuelle Welt schufen, die sie nun auch vertont haben, werden Luxemburg vom 7. Juni bis 22. November 2009 bei der 53. Kunstbiennale in Venedig vertreten. Carlo Kass

Die Ausstellung findet wie gewohnt in der dezent prachtvollen Ca‘ del Duca am Canale Grande auf der venezianischen Hauptinsel San Marco statt, die seit 1999 den Luxemburger Pavillon beheimatet und nach Adam Riese dann auch ihr zehntes Jubiläum feiern dürfte.
Wie Kulturstaatssekretärin Octavie Modert bei der gestrigen Pressekonferenz im „Casino Luxembourg – Forum d’art contemporain“ betonte, stellt Luxemburg sich seit 1988 nicht so sehr als Land, sondern eher die Werke seiner Künstler in Venedig aus. Erst seit dem freundlichen Nutzungsrecht der Villa Ca‘ del Duca, die der Familie des früheren Botschafters Luxemburgs in Washington, Hugues Le Gallais, gehört, hat der Luxemburger Pavillon eine feste Bleibe in der Lagunenstadt gefunden.
Der zum Kommissar des Luxemburger Pavillons bestellte Christian Mosar hat sich die Talente von Enrico Lunghi und Jo Kox gesichert, um den organisatorischen Teil der Ausstellung abzustimmen. Zu diesem Zweck wurde der junge Kevin Muhlen zum Kurator berufen.
Wie Christian Mosar erklärte, sei Luxemburg mit diesem Projekt sehr gut in Venedig vertreten, weil es nicht vorrangig von Luxemburg handelt. Es ist die ton- und bildhaft dokumentierte Wanderschaft eines Künstlerpaares über die tektonischen Ränder der europäischen und afrikanischen Platten, die sich über- respektove untereinander schieben.

Engagierte Kunst

Mit Aufnahmen an den Schnittstellen der europäischen und afrikanischen Kontinente wie in der Meerenge von Gibraltar oder an den Südküsten Siziliens haben beide Künstler eine nicht nur ästhetische, sondern vor allem soziopolitische Arbeit abgeliefert.
Gast Bouchet sieht die gemeinsame Arbeit als europäischer Blick auf Europas Grenzen, die seit dem Schengen-Abkommen nicht gerade durchlässiger geworden sind. So wie die afrikanische Platte sich, fast schon im vorauseilenden Gehorsam, unter die europäische schiebt, so drohen auch die afrikanischen Einwanderer unterdrückt zu werden. Doch ähnlich wie in der Geologie spielt sich dieser Prozess auf verschiedenen Ebenen ab, deren jeweiligen Bedeutungen festzustellen ein wacher und kritischer Geist erfordert. Auch wenn man schon moralische Positionen einnimmt, wolle man nicht missionieren.
Mit einem humanistischen, radikal poetischen Hintergrund wolle man diese Projektionen als Darstellung verstanden wissen, mit denen sich der Betrachter auseinandersetzen muss. Man will ihm den Spiegel vorhalten, so Gast Bouchet bei der anschließenden Fragestunde. Dabei dient die aus der Geologie entliehene Metapher mit ihren Erdbeben und ihrem Schwefelgeruch dazu, die einzelnen Immigrationsschicksale in der Brandung vor den europäischen Felsen zu verdeutlichen, die allzu oft als „faits divers“ abgetan werden.
Dabei wäre es doch schön, wenn eines Tages alle Menschen auf dieser Erde an dem Ort, an dem sie geboren wurden, würdig, dezent und eigenmächtig überleben könnten. Geburt und Tod, diese hundertprozentigen Prämissen der Menschheit, wären so oder so gratis, doch vielleicht nicht umsonst.
Leider muss man in dieser Sache Frantz Fanon zustimmen, der in seinem Buch „Les damnés de la terre“ (Ed. François Maspero, 1981) schrieb: „L’Europe s’est refusée à toute humilité, à toute modestie, mais aussi à toute sollicitude, à toute tendresse.“ 

BIENNALE:
Die Biennale di Venezia ist eine seit 1895 zweijährlich stattfindende
internationale Kunstausstellung in Venedig. Der Hauptschauplatz
sind die Giardini im Stadtteil Castello. Zur Biennale gehören auch
die Filmfestspiele von Venedig, die Festivals für Musik, Theater
und Tanz, sowie die zweijährlich alternierend zur Kunstbiennale
stattfindende Architekturbiennale. (Quelle: Wikipedia)