Klangwelten: Nicht nur das Wetter, auch diese Alben sind ziemlich heiß

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Intensität und Komplexität – Ryles Walker: Deafman Glance

Ha, da ist er wieder: der Einfluss von Van Morrison! „Astral Weeks“ ist mit Sicherheit eins der Lieblingsalben Ryley Walkers, der mit „Deafman Glance“ sein drittes und bislang vollkommenstes Werk abliefert.

Doch auch Jeff Buckleys Opus „Grace“ scheint der experimentierfreudige Singer-Songwriter viel gehört zu haben; vielleicht ist ihm die Musik der stark von Jazz-Einflüssen geprägten US-Indie-Band Karate sogar ein Begriff. Jedenfalls erinnert Walkers Musik stark an deren Meisterwerk „Unsolved“ aus dem Jahr 2000.

All diese Einflüsse – der ätherische Flow und die ungewöhnliche Instrumentierung mit Querflöte Morrisons, die Eindringlichkeit von Vater und Sohn Buckley, die jazzigen Moll- und Septimen-Akkorde des Karate-Chefs Geoff Farina – werden hier zu einem homogenen Ganzen vermengt, dessen Subtilitäten sich einem erst nach mehrmaligem Hören allmählich erschließen.

Nein, der 28-jährige Amerikaner macht dem Hörer kaum Angebote, einen leichten Zugang zu diesen düsteren, komplexen Songs zu finden. Hier prallen klassische Folk-Elemente auf Grunge, Progressive Rock, Fusion, Spoken-Word-Passagen sowie schräge, disharmonische Töne und verblüffende Taktwechsel, die Frank Zappa mit Sicherheit amüsiert hätten.

Der Mann ist ein Ass an der elektrischen Gitarre, beherrscht aber auch souverän das Picking an der Akustik-Klampfe. Hinzu kommen eine mittlerweile sehr reife Stimme, deren Timbre wiederum Eddie Vedder in Erinnerung ruft, sowie skurrile, verschrobene Texte, die bezeugen, dass dieser bärtige Schluffi mit den zotteligen Haaren aus Illinois über ein gesundes Maß an Selbstironie verfügt. In „Telluride Speed“ wirft er in der Nacht einen Stein ans Fenster der Angebeteten, die ihn postwendend zurückschmeißt, und zwar dem Schützen voll in die Fresse. An anderer Stelle meint er ein bisschen defätistisch: „Whenever I do my best, I spoil with the rest.“

Der Albumtitel geht übrigens auf ein Theaterstück Robert Wilsons zurück, dessen Projektion Walker im Museum für zeitgenössische Kunst in Chicago als Kind zu Tode erschreckt hat. Wir bedanken uns für die tolle Vergangenheitsbewältigung! Gil Max


Ach, Jungs – Caamp: Boys

Caamp sind drei Jungs aus Ohio und machen genau die Sorte Musik, die man als unwissender Europäer von drei Jungs aus Ohio erwarten würde. Ja, das heißt Banjo – und zwar nicht zu knapp. Nachdem Mumford & Sons das Instrument am Anfang der Dekade wieder mainstreamtauglich gemacht haben, sind zahlreiche Bands auf den Zug des Folk-Revivals aufgesprungen. Caamp sind da keine Ausnahme.
Das Album Boys, dessen A-Seite und B-Seite zeitlich versetzt als EP erschienen sind, ist der zweite Wurf nach dem selbstbetitelten Debüt von 2016. Und leider spielt Leadsänger Taylor Meier seine größte Stärke, nämlich seine Stimme, nicht mehr so aus wie auf dem Vorgänger. Folk lebt nicht selten von den charakteristischen, rauen Stimmen der Sängerinnen und Sänger, die ihre Geschichten in Liedern erzählen, und Meier ist in der Hinsicht wahrlich begnadet. Weshalb er dieses Talent auf dem neuen Album versteckt und dem Sound der Band dadurch eine bemerkenswerte Beliebigkeit verpasst, ist entweder einer fragwürdigen Produktionsentscheidung oder einer vollkommenen Fehleinschätzung der eigenen Stärke geschuldet – bedauerlich ist es auf jeden Fall.
That said, ist „Boys“ immer noch ein solides Album. „Hey Joe“ hat nichts mit dem gleichnamigen Hendrix-Klassiker zu tun, ist trotzdem ein fetziger Opener. Juwelen wie das Lied „26“ bestechen durch ein zauberhaftes Banjo-Riff, das man so auch im Folk selten findet. Und spätestens „Strawberries“ auf der B-Side fängt die Melancholie so treffend ein, dass es einem fast die Tränen in die Augen treibt – definitiv das traurigste Liebeslied, das ich dieses Jahr hören durfte.

Auch auf die Schreibfeder sind die Jungs aus Ohio nicht gefallen – die Lyrics heben sich wohltuend vom Einheitsbrei ab, der inzwischen auch im Mainstream-Folk Einzug hält, jedes Lied arbeitet mit unterschiedlichen Wortfeldern, das Storytelling ist gerade bei Songs wie „Common Man“ jenseits von gut und böse. Hier könnten sich einige, die sich Singer-Songwriter nennen, noch eine dicke Schreibe abschneiden – oder zumindest ein paar Seiten aus dem Songbook klauen. Hier liegt die große Stärke des Albums und sie lässt einen etwas über die stimmlichen Einbußen von Meier hinwegsehen. Tom Haas


Nebeldämmerung – Masayoshi Fujita: Book of Life

Es gibt viele Menschen, die diesen Sommer nicht verreisen konnten. Sei es aus finanziellen Gründen oder schlicht und ergreifend wegen der Hitze, die einen davon abhält, freiwillig mehr als zwei Schritte zu gehen. Das braucht man mit dem japanischen Vibraphonisten Fujita auch gar nicht, denn dieser hüllt die Zuhörer in einen kühlen Nebel (eines seiner Pseudonyme lautet übrigens „El Fog“), in dem man sich zu keinem Moment verloren fühlt. Ganz ohne esoterisch zu sein, schafft er mit seinem Instrument eine mystische Grundstimmung, die sich wie eine Käseglocke über den eigenen Kopf setzt und eine knappe Stunde sanfte, fast schon meditative Gedankenreisen erlaubt.

Dabei legt eer keinen konventionellen Umgang mit dem Vibraphon an den Tag, sondern belegt beispielsweise die Klangplatten mit unterschiedlichen Materialien, um seinen eigenen Sound zu erschaffen. Auch die Schlägel kommen nicht in gewohnter Form zum Einsatz, sodass eher Vibraphon-inaffine Menschen einen anderen Zugang zu diesem Instrument bekommen. Während manche Musiker sich einen Spaß daraus machen, sehr kryptische Titel für ihre Lieder zu ersinnen, passen Masayoshi Fujitas Titel haargenau zu jenem Hörerlebnis, das einen erwartet. So kann man sich also schon vor dem Hören bildlich vorstellen, wie Tracks wie „Cloud Of Light“, „Misty Avalanche“, „It’s Magical“ oder „Sadness“ wirken können. Ans