BelletristikErlegt oder erledigt: Martin Mosebachs „Taube und Wildente“

Belletristik / Erlegt oder erledigt:  Martin Mosebachs „Taube und Wildente“

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In der Sommerresidenz der Familie Dalandt-De Kesel hängt der Haussegen schief: Ehefrau Marjorie möchte ein Bild verkaufen, das ihr Partner Ruprecht für genial hält. Hinter der bröckelnden Fassade kommen noch andere Dinge ans Licht.

Mittags die einlullende Hitze, abends das zirpende Konzert der Zikaden und all das sicher umschlossen von der mediterranen Macchie, die aussieht, als ob Paul Cézanne sie persönlich hingemalt hätte: die Sträucher und Felsformationen, alles wie überbelichtet und von messerscharfen Sonnenstrahlen zu annähernd kantigen Formationen zerschnitten.

So kann man sich das malerisch-wilde Setting von Martin Mosebachs neuem Roman „Taube und Wildente“ vorstellen. Hier gerät die Ehe von Ruprecht Dalandt und Marjorie De Kesel auf den Prüfstand; hier droht das Schicksal der ganzen Familie einen anderen, katastrophalen Lauf zu nehmen. Warum? Weil das Netz aus wohlgehüteten Geheimnissen, schauderhaften Tabubrüchen, verschwiegenen Liebschaften und neu entbrennenden Machtkämpfen die Figuren tragisch zusammenkettet – und ihnen langsam die Luft wegbleibt.

Dabei dreht sich der Konflikt, wie auch im wahren Leben so oft, vordergründig ums Geld. Marjorie ist durch ihr Erbe an eine Stiftung gebunden, sie kann also nicht frei über das riesige Vermögen verfügen, das durch ihren Großvater, Besitzer von kolonialen Bergwerken, in den Besitz der Familie gelangte. So muss sie selbst die Summe aufbringen, um den Dachschaden an der Chaumière, dem Sommerhaus der Familie, zu reparieren.

Marjorie fehlen die dafür nötigen 60.000 Euro – wobei es hier schon zu differenzieren gilt, denn Marjorie verfügt schon über beträchtliche Geldanlagen, sie möchte diese nur nicht anfassen. So bleibt ihr nach eigener Überzeugung nichts anderes übrig, als das einzige Bild zu verkaufen, das ihr in der Chaumière selbst gehört: Otto Scholderers „Tote Feldtaube und Wildente“.

Für Marjorie eigentlich kein großer Verlust, denn den „alten Holländer“ – „ein schlechtes Bild“ – straft sie ohnehin mit deutlichen Worten ab. Anders denkt aber ihr Angetrauter Ruprecht Dalandt, Besitzer des prestigereichen Verlags Papyros Press, der in dem Jagdstillleben ein Werk von bahnbrechender Genialität sieht.

Tauziehen um Überlegenheit

Schnell befinden sich die Ehepartner in einem kalten Krieg, in dem es nicht mehr nur um dieses Bild, sondern auch um ihre kippelnde Beziehung geht. Beide flüchten sich in die Umarmung eines anderen und erliegen zumindest zeitweise dem damit einhergehenden neuen Glücksversprechen; beide wissen aber auch die diskrete Freiheit zu schätzen, die diese Ehe ihnen seit jeher ermöglicht. Das Kartenhaus gerät weiter ins Wanken, als der Verleger Ruprecht Gelder veruntreut, um das Gemälde in seinen Besitz zu bringen.

„Tote Feldtaube und Wildente“ wird somit zum zentralen Dingsymbol, welches das Los der beiden Hauptfiguren treffend spiegelt. Das Stillleben zeigt, wie sein Name nahelegt, eine Feldtaube und eine Wildente, die beide an den Füßen aufgehängt wurden und nun kopfüber nebeneinander baumeln – übergroß und auffallend realistisch gezeichnet.

Ein starkes Sinnbild für den Ehebund zweier Menschen, die sich beide immer mehr in einem Geflecht aus Unwahrheiten und obskuren Geheimnissen verstricken, bis sie schließlich an ebenjenen Fäden strampeln, die sie anfangs zu ziehen glaubten.

Dass „Taube und Wildente“ trotzdem mit einer schwebend-positiven Note endet, gibt Anlass zur Hoffnung, dass sich zumindest die Menschen aus einer ausweglos scheinenden Situation wieder befreien können. Mosebachs neuestes Werk ist ein spannender, aufgeweckter Kunstroman, dessen Sprache von einer eleganten Prägnanz ist, die niemals ins Aufdringliche ausschlägt.

Info

Martin Mosebach: „Taube und Wildente“, Roman, dtv, München 2022, 336 S., 24 Euro