Eine Stunde Seal mit Starallüren

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Seal hat es verpasst, den letzten der sechs Topstars-Auftritte in der Differdinger Arena zur krönenden Apotheose zu gestalten: Das Konzert am Samstag war gut, aber alles andere als umwerfend! Delia Pifarotti

Kurz (eine Stunde Show, plus zwei Zugaben), minimalistisch, kontaktarm … eine flott einstudierte professionelle Darbietung ohne richtige Wärme. Das Gänsehautfeeling, das man vom charismatischen Schmusesänger (mit vollem Namen: Seal Henry Olusegun Olumide Adeola Samuel) mit der souligen, samtenen Stimme erwartet hätte, kam bestenfalls vom Wettergott, der zwei Stunden vor dem Beginn des Konzertes eine gehörige Portion Regen auf die schon in der Arena versammelte Menge herabfallen und kurz darauf einen tröstenden Regenbogen erscheinen ließ.
Die ausgeteilten Plastikumhänge konnten nicht verhindern, dass viele Besucher feucht und in nassen Jeans weilten. Akustisch gesehen übertönten die verstärkten Instrumente oder die Musik vom Band die oft nur gehauchte, delikate, auch einige Male verstimmte Stimme von Seal.
Keine Vorgruppe, sondern ein junger DJ versuchte das lange Warten bis zu Seals Auftritt um 21.00 Uhr aufzulockern. Als endlich Schlagzeug und Mischpulte von ihren Plastikschutzhüllen befreit wurden, die drei Musiker in schickem, schwarzen Anzug und Krawatte auf die Bühne kamen, erklang auch schon die Intro zum Song „If it’s on my mind, it’s on my face“ aus dem neuem Album „System“.
Ganz in Weiß gekleidet und in goldenen Schuhen erschien Seal vor dem gigantischen LED-Bildschirm mit dem Coverbild seiner CD: Sein „systematisch“, mit quadratischen Blöcken aufgebautes Gesicht, auf dem nur seine Augen, mit ihrem penetranten Blick, nicht verfremdet wurden. Die Narben auf seiner Haut sind mittlerweile zu seinem Markenzeichen geworden und sind auf die Krankheit Lupus erythematodes zurückzuführen, die Seal in seiner Kindheit hatte.
Seal hat mit seinem neuen Album „System“, das er mit Madonnas letztem Erfolgsalbum-Produzent Stuart Price erarbeitet hat, ein kleines „back to the roots“ verwirklicht: Viele Tanzrhythmen und Disco-Reminiszenzen mit modernen elektronischen Sounds spicken hie und da die Songs. Diese kamen auch auf der Differdinger Bühne, zwischen soften, gefühlvolleren Balladen, voll zur Geltung. Das versammelte Publikum tanzte in der Arena mit, die Tribünen mit den Sitzplätzen waren sowieso fast leer.

Sexy Hüftbewegungen

Seal gab sich dabei nicht als sonderlicher Tänzer, beglückte aber seine Fans mit anmutigen, sexy Hüftbewegungen, einigen dynamischen Sprüngen und Händeklatschen zum Mitmachen. Beim Hit „Amazing“, griff Seal zur akustischen Gitarre, hielt sie dabei umgedreht, wie ein Linkshänder. Er begleitete sich ein paar Mal während des Abends. Allerdings spielte er nur drei verschiedene Akkorde darauf und gab den Anschein, sie nur zur coolen Show in den Händen zu halten oder für die Fotografen, denen nur gestattet war, alle zusammengepfercht, von der rechten Ecke der Bühne die ersten drei Songs im Bild festzuhalten.
Seal mit Starallüren? Hätte man nicht von ihm erwartet, abgesehen davon, dass das Management auch kein Interview gestattet hatte.
Jeder freute sich natürlich riesig auf Seals Mega-Hits „Love’s Divine“, „My Vision“, „Crazy“ und vor allem „Kiss from a Rose“, das 1996 Grammy Awards einheimste und durch den Film „Batman Forever“ zum Welterfolg wurde. Die ergreifenden Chöre, welche die Fans bei solchen Liedern zu schaffen vermögen und dem Konzert eine einzigartige Stimmung geben, ließ Seal aber fast nicht zur Geltung kommen, obschon er gerade vorgeschlagen hatte: „Now, you’ll sing with me!“ Er hielt dem Publikum nur sekundenlang das Mikro hin, anstatt die Performance seiner Fans, in fast religiöser Stille, selbst zu genießen.
Da halfen auch das einzige Gespräch, das Seal mit den Zuschauern führte nichts, ebenso wenig taten es die Kappe und die drei Handtücher, die er routinemäßig in die Menge warf. Schade, denn ein wenig mehr Einsatz seitens des Gastes hätte die Differdinger Hundert-Jahr-Feier noch prestigevoller gemacht!