Ein bisschen Frieden

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Israel vor Zypern, Österreich, Deutschland und Italien: Das Schlussresultat des diesjährigen Eurovision Song Contest (ESC) erinnert stark an die Zeiten, als der Wettbewerb noch „Grand Prix Eurovision de la Chanson“ hieß und nicht von Popsternchen aus den ehemaligen Ostblockländern dominiert wurde. Was ist bloß geschehen?

Es war halb eins durch, als mit Israel endlich der Sieger des ESC 2018 feststand. Die Familie döste schon fast auf dem Sofa, nur die Spannung hielt sie bis zum bitteren Ende wach. Zumal sich dieses Mal bei der Punktevergabe – für nicht wenige seit Jahren das (einzige) Highlight dieser Veranstaltung – früh abzeichnete, dass die eigene Prognose über den Ausgang erstmals seit Jahren nicht mehr vollends daneben lag.

Seit der Einstellung von „Wetten, dass..?“ gibt es die großen TV-Familien-Abende kaum noch. Der „Grand Prix Eurovision de la Chanson“ bzw. der „Eurovision Song Contest“ ist ein Relikt der Kategorie „große Samstagabend-Unterhaltung“. Um den Nachwuchs vor dem Fernseher von Handy und Tablet fernzuhalten, werden bei uns während des ESC Listen erstellt und Punkte verteilt. Das übernimmt der Nachwuchs mit großem Enthusiasmus, so dass sich die Erwachsenen den wichtigeren Sachen hingeben können.

Diesmal war es eine Flasche Gran Reserva Carménère, denn ohne die wohltuende, leichte Betäubung mithilfe eines schweren Roten war der ESC in den letzten Jahren kaum mehr zu ertragen. Der Carménère kommt aus Chile, was natürlich nichts mit Eurovision zu tun hat. Doch das hat Australien auch nicht, weshalb Jessica Mauboy mit „We Got Love“ auch nur den 20. von 26 Plätzen belegte (Letzter wurde übrigens peinlicherweise ausgerechnet Gastgeber Portugal).

Love all Colors!

Israel blickt dagegen auf eine lange Tradition beim Musikwettbewerb zurück. Auch im Sport tritt man wegen der explosiven Gemengelage in Nahost in den Europagruppen an. Beim ESC sorgte Israel 1998 mit der transsexuellen Dana International zumindest in der Region für einen handfesten Skandal. Aber man gewann und über die Siegerin 20 Jahre später regt sich kein Mensch mehr auf. Weder über die schrille Sängerin Netta noch über den seltsamen Stil-Mix in der Musik und schon gar nicht über die „Me Too“-Botschaft von „Toy“: Nehmt Euch an, so wie Ihr seid und seid stolz auf Euch selbst, rät sie jungen Frauen. In anderen Worten: Love all Colors!

Da applaudiert im 21. Jahrhundert fast jeder … außer den Chinesen. Der übertragende Sender im Reich der Mitte zensierte im Halbfinale den Auftritt Irlands, weil dessen Hintergrundtänzer ein schwules Paar verkörperte. So etwas toppen eigentlich nur die Iraner, die unlängst bei dem Fußball-Bundesliga-Spiel zwischen Köln und Bayern München tatsächlich Zuschauer einblendeten, sobald das internationale TV-Signal Schiedsrichterin Bibi Steinhaus zeigte.

Für Ewiggestrige ist der ESC jedenfalls nichts. Die Zeiten, als der Wettbewerb in den Augen vieler einem Sündenpfuhl nahekam, sind vorbei. Schockieren tut nichts mehr. Schon gar nicht der sympathische Vampir aus der Ukraine, der wohl fest mit 12 Punkten aus Transsilvanien rechnete. Ungarn derweil schickte eine Metalcore-Band an den Start und schmierte ab (21. Platz). Was daran liegt, dass Metal auf einer pompösen ESC-Bühne in etwa genauso gut passt wie Helene Fischer auf der Center Stage in Wacken.

ESC ohne Politik?

Besser machte es das italienische Duo Ermal Meta & Fabrizio Moro. Der Song war zwar eher durchschnittlich, doch die Botschaft genau wie beim Gewinnerlied aus Israel durchaus ernst zu nehmen. Mit seinem Plädoyer gegen Krieg und Terror rollte Italien jedenfalls dank der Zuschauerstimmen das Feld von hinten auf. Da wehte ein Hauch von 1982 durch den Lissabonner Abend. Vor 36 Jahren hatte Nicole mit „Ein bisschen Frieden“ triumphiert. Die Saarländerin gewann in einer Zeit, als die Grand-Prix-Welt noch eine andere war. Damals zählten lediglich die Jury-Stimmen und Luxemburg war noch ein fester Bestandteil der Veranstaltung. Von der feucht-fröhlichen Jury aus der Villa Louvigny hatten die „houer Preisen“ prinzipiell keine Punkte zu erwarten. Auch Nicole nicht, und so war Luxemburg 1982 das einzige Land weit und breit, das dem Gewinner „zéro points“ gönnte.

Dass der fünffache Gewinner Luxemburg dem alljährlichen Showbusiness-Spektakel mit Musik seit 1994 aus unterschiedlichen Gründen (hauptsächlich finanziell, aber auch aus Mangel eines geeigneten Austragungsortes im Falle eines Sieges) fernbleibt, ist nur folgerichtig. Beim Hin- und Herschieben der Punkte zwischen den Ländern des ehemaligen Ostblocks hätte das Großherzogtum keine Chance auf eine faire Beurteilung gehabt.
Das scheint sich aber nun geändert zu haben. Wo waren am Samstag Aserbaidschan und Weißrussland, die ESC-Großmächte des vergangenen Jahrzehnts? Ausgeschieden im Halbfinale, genau wie Russland, das aber dennoch vom Publikum in der Lissabonner Halle bei der Schaltung zur Jury in Moskau mit Pfiffen bedacht wurde. Ganz ohne Politik geht es also auch nicht.

Bleibt zum Abschluss die Auflösung des familieninternen Rankings. Zwei von drei setzten auf den Sieger Israel, Deutschlands gute Platzierung sagten alle drei voraus. Das ist ganz und gar erstaunlich nach den Erfahrungen der letzten Jahre. Und nun freut sich der Nachwuchs schon auf die kommende Ausgabe (und natürlich auf die damit verbundene „nuit blanche“ bis nach Mitternacht). In der Hoffnung, Luxemburg möge doch endlich wieder teilnehmen. Die Hoffnung teilt nicht jeder in der Familie, es sei denn, wir werden in Tel Aviv von a) De Läb oder den Dëppegéisser oder alternativ von b) Desdemonia oder Tëschegas repräsentiert. Obwohl, Metal funktioniert ja nicht …