Die gute Frau

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Die deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert ist Bernhard Schlinks literarisches Thema, auch in seinem neuen Roman „Olga“ . Die Geschichte einer geradlinigen Frau in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts könnte zum Verkaufsschlager werden.

Von unserem Korrespondenten Roland Mischke

Olga Rinke liebt das Maßvolle in allem. Es soll nicht „zu groß“ sein. Das war schon so, als sie ein kleines Mädchen war und nicht mit anderen Kindern spielte, ihnen nur zuschaute. In Pommern, in einem kargen Dorf, das Kind hatte seine Eltern früh an Fleckfieber verloren. Ihre Erziehung ging an die stramme Großmutter, die kaum Liebe für sie hatte.

Dabei machte die Enkelin keine Probleme, schon früh zeichneten sich ihre Begabungen ab. Olga legte sich schon als Halbwüchsige fest, Lehrerin zu werden. Sie spürte, dass das ihre Bestimmung war, und kämpfte sich gegen alle Widerstände durch.

Bernhard Schlink erzählt in seinem neuen Roman von einem Frauenleben Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 70 Jahre. Der Stoff könnte ein Verkaufsschlager und verfilmt werden, wie schon Schlinks „Vorleser“ von 1995. Er handelt fast durchweg von einer geradlinigen Frau, die weiß, was sie will, und nicht von Zweifeln geplagt ist. Es ist Zeitgeschichte und Liebesgeschichte zugleich in der Bismarckzeit, der Weimarer Republik, der Periode des Nationalsozialismus und der Bundesrepublik. Das ist viel in einem Roman von nur wenig mehr als 300 Seiten.

Flucht ins Abenteuer

Herbert, der Sohn des Gutsherrn, ist die große Liebe des armen Dorfmädchens. Trotz des Klassenunterschieds kommen beide zusammen, Herberts reiche Eltern aber lehnen Olga ab. Die beiden treffen sich heimlich, eine gemeinsame Zukunft können sie nicht planen. Herbert durchbricht die unsichere Lage durch Flucht – er meldet sich zum freiwilligen Militäreinsatz in Deutsch-Südwestafrika. Er ist Patriot, aber in Wahrheit feige, weil er weiß, dass seine Eltern auf eine standesgemäße Frau hoffen. Herbert kann sich nicht entscheiden, will es auch nicht. Lieber geht er auf Abenteuerreisen und Exkursionen, die immer länger dauern. Auch im Ersten Weltkrieg ist er dabei, Olga schreckt das Militaristische ab. „Mein Lieber“, schreibt sie in einem Brief, „letztes Jahr wolltest du vor Weihnachten zurück sein, dieses Jahr wollten es die Soldaten. Auf euch Männer ist kein Verlass.“

Herbert nimmt schließlich überstürzt an einer unzureichend geplanten Expedition in die Arktis teil, aus der er jahrelang nicht mehr reagiert auf Olgas Briefe nach Tromsö in Norwegen, postlagernd. Dann steht fest, dass er in der Kälte nicht überlebt hat. Olga hat Herbert endgültig verloren.

Olgas Briefe an Herbert

Sie ist als Lehrerin nahe Tilsit in Ostpreußen versetzt worden. Herberts Tod ist ihr Eintritt in die Einsamkeit. 1945, sie ist inzwischen in einem schlesischen Dorf gelandet, muss sie in den Westen fliehen. Da ist Olga bereits taub und wird nie mehr unterrichten. Nach dem Krieg siedelt sie sich in der Neckarregion an, zu ihrer kleinen Rente verdient sie sich etwas hinzu durch Näharbeiten. Die Einsamkeit wird für einige Zeit unterbrochen, als Ferdinand, der Sohn einer Pfarrersfamilie, sich an sie hängt. Er spürt ihren Zustand, gibt ihr Wärme und sie lässt sich immer mehr freundschaftlich auf ihn ein. Ferdinand wird später derjenige sein, der Olgas Briefe an Herbert erhält. Dadurch gewinnt im dritten Teil des Buches, dem Abdruck der Briefe, ihre Figur erst wahrhaft an Kontur.

Schlinks Olga ist ein idealistisches Gegenbild zur deutschen Realität in diesen Jahren. Sie ist eine gute Frau, wird nie ausfällig. Mit enormer Empathie bringt der Autor sie durch alle Schwierigkeiten und hält ihr zugute, dass sie nie zur Mitläuferin des NS-Regimes wird. Sie hat ein klares politisches Gespür, verachtet Gewalt in jeder Form, ist treu, liebevoll und steht verlässlich zu den ihr nahestehenden Menschen. Das Makellose hat etwas Schablonenhaftes. Sie hat ihre Liebe verfehlt, ist darüber aber nicht untergegangen.