Das Evangelium nach Jaco

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Das Porträt eines Jungen, der bis ins hohe Alter glaubt, er sei bei der Geburt vertauscht worden, fasziniert die Jury in Cannes. Dafür bekam der belgische Regisseur Jaco van Dormael die Goldene Kamera.

In der Folge kam noch ein César hinzu, vier Europäische Filmpreise und zahlreiche andere Preise. Seit 1991 hat Van Dormael nur vier Filme gedreht, was sicherlich auch daran liegt, dass seine Projekte über Jahre wachsen und die Drehbücher immer wieder neuen Ideen verdauen müssen.

Nach dem Flop seines vorletzten Films Mr Nobody am internationalen Boxoffice (trotz Jared Leto, Sarah Polley, Diane Krüger und Rhys Ifans) kehrt Van Dormael für seine nächste Story nach Belgien zurück. „Le tout nouveau testament“, eine belgisch-luxemburgische Koproduktion, erzählt von Gott, der mit Frau und Tochter in Brüssel wohnt. Der Sohn JC wohnt schon länger nicht mehr zu Hause.

Gott am PC

Tagsüber sitzt Gott am Computer und lässt sich immer wieder neue Gemeinheiten einfallen, mit denen er die Menschen quälen kann. Seine Tochter mag das nicht länger mit ansehen, verschafft sich Zugang zum göttlichen Computer, verschickt an alle Menschen auf der Welt eine SMS mit ihrem jeweiligen Todesdatum. Dann steigt sie in die Waschmaschine (nur so kommt man zur Erde) und macht sich auf den Weg, sechs neue Apostel (unter ihnen Catherine Deneuve, François Damiens und Laura Verlinden) zu finden, um mit deren Hilfe das ganz neue Testament zu schreiben.
Der belgische Cineast, geboren 1957, hat eine ganz eigene raffinierte visuelle Handschrift, die sich deutlich von allen anderen absetzt. Sehr oft arbeitet er mit Kindern und er vermag deren naive und unverbrauchte Ansichten hervorragend in Szene zu setzen, natürlich mit großer Farbenpracht und zahlreichen surrealistischen Zutaten.

Eine weitere Eigentümlichkeit seiner Filmsprache sind Tableaus, Momente der Ruhe, in denen die Handlung im Stillstand verharrt und dem Zuschauer die Möglichkeit gibt, sich philosophischen Gedanken hinzugeben. Vielleicht eine Hommage an die neunte Kunst, die „Bande dessinée“.

„La Mer“

Nicht unerwähnt bleiben darf auch der wie immer subtile Einsatz der Musik. Nach dem Tod seines Bruders, seines Zeichens Komponist, setzt Van Dormael hier auf bereits existierende klassische Stücke und populäre Songs. Mit dabei auch diesmal wieder Charles Trenet, nicht mit Boum, aber dem Klassiker „La Mer“.

Abgesehen von der optischen Pracht legt Van Dormael auch in puncto Drehbuch und Dialoge die Latte ganz schön hoch. Selten haben wir in den letzten Monaten so herzhaft und so oft gelacht und ganz am Ende kam uns der Gedanke, dass wir diesen Film unbedingt noch einmal sehen wollen, und zwar am liebsten sofort.

Ganz unserer Meinung war auch das Premierenpublikum, das dem Regisseur mit einer zehnminütigen Standing Ovation dankte. Die gute Nachricht machte schnell die Runde und hier in Cannes wurden die Schlangen vor den Kinos, in denen „Le tout nouveau testament“ lief, immer länger.

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