Das Ende des Dichterfürsten

Das Ende des Dichterfürsten
Autor Hans Pleschinski. Foto: dpa

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In "Wiesenstein" erzählt Hans Pleschinski packend vom letzten Jahr des Literaturnobelpreisträgers Gerhart Hauptmann.

Von unserem Korrespondenten Roland Mischke

In „Wiesenstein“ erzählt Hans Pleschinski packend vom letzten Jahr des Literaturnobelpreisträgers Gerhart Hauptmann. Das Buch ist aber auch eine Klage über den Untergang Schlesiens und seiner Kultur.

Jeder Deutsche kennt Gerhart Hauptmann. Sein Drama „Die Weber“ wurde im Deutschunterricht behandelt. Es beschreibt den Aufstand ausgebeuteter Menschen 1844 in Schlesien. Als es 1892 zum ersten Mal in Berlin aufgeführt wurde, gab es Tumult und die Polizei verhängte ein Aufführverbot. Es war eines der bedeutendsten Werke von Gerhart Hauptmann (1862-1946), der dadurch populär wurde und um 1930 sogar Chancen hatte, zum Reichspräsidenten gewählt zu werden.

Ein schlesischer Patriot

1912 hatte Hauptmann den Nobelpreis für Literatur erhalten, „vornehmlich für seine reiche, vielseitige, hervorragende Wirksamkeit auf dem Gebiete der dramatischen Dichtung“, hieß es in der Begründung der Schwedischen Akademie. Der Dichterfürst war ein schlesischer Patriot, er residierte in der Villa Wiesenstein auf einer Berganhöhe, die im Roman von Hans Pleschinski als „mystische Schale seiner Seele“ bezeichnet wird. Dort war er umgeben von Gattin Margarete und dienstbaren Geistern: Köchin, Krankenschwester, Masseur, Gärtner, Archivar und Sekretärin. Abends machte man es sich gemütlich, schlürfte Champagner, der vom livrierten Diener serviert wurde, und plauderte. Der Autor über Hauptmann: „Er gewahrte behagliches Feuer im Kamin.“ Stets dabei sein Butler, der die Eingebungen des Dichters mit dem wehenden weißen Haar aktenkundig zu notieren hatte.

Untergang nach dem Krieg

Das ist ein enorm ehrgeiziger Roman. Sieben Jahre hat Hans Pleschinski, 61, daran gearbeitet, konzentriert ist die Erzählung auf Hauptmanns letztes Lebensjahr in Agnetendorf. Das Buch ist aber auch eine Klage über den Untergang Schlesiens und seiner Kultur. Es passt in unsere Zeit, in der es wieder um Flüchtlinge geht, die aus ihrer Heimat fliehen. Pleschinski hat sich tief in die tragische Zeit des Kriegsendes hineinversetzt, er zitiert Hauptmann und schildert das altertümliche Leben des Dichters. Er wurde nach seinem Tod im Juni 1946 mit den Füßen voraus aus dem Haus getragen, so wie er es sich gewünscht hatte.

Im Winter Anfang 1945 droht Unheil. Der Geistesfürst paktiert nicht mit den Nazis, verhält sich ruhig und wartet ab. Goebbels kann ihm nichts antun, Hauptmann ist schließlich weltberühmt. Der Krieg wendet sich, die Front nähert sich Schlesien. Währenddessen kurt der greise Dichter in Dresden, nach dessen Zerstörung kehrt er zurück nach Wiesenstein – damit beginnt der Roman. Hauptmann ist von seiner Entourage umgeben, er ahnt noch nicht, dass seine Villa keine feste Burg mehr ist. Im Ort liegen Leichen, an Bäumen hängen Hingerichtete. Kinder betteln an der Tür um Brot, Frauen suchen Schutz vor Vergewaltigungen durch russische Soldaten.

Auf Hiddensee

Hauptmann kann nicht helfen, er hat keine Macht mehr, doch ein Sowjetoffizier schützt sein Haus. Von einem Moment auf den anderen wird Hauptmann aus allem herausgerissen, was sein Dasein ausmachte. „Mein Schicksal ist nun deutscher, als ich es je wollte“, lässt der Autor ihn sagen. Und lange unterdrückte Polen sinnen währenddessen auf Rache.

Der Dichter endet traurig. Johannes R. Becher reist an und bietet ihm an, in die Ostzone zu kommen. Ein Sonderzug steht bereit. Doch Gerhart Hauptmann erreicht ihn nicht mehr lebendig. Beim Heraustragen soll der Verwirrte – sein letztes Wort – gefragt haben: „Bin ich noch in meinem Haus?“ Kurz danach ist er tot. Der Zug bringt den Leichnam auf die Ostseeinsel Hiddensee, wo Hauptmann ein Sommerhaus und viele Gäste empfangen hatte, unter anderem Einstein.

Das ist durchweg packend geschrieben, geschildert wird eine untergehende Welt. Hans Pleschinski hat eine altväterliche Sprache gewählt, Leser müssen sich darauf einlassen, mitunter fällt das schwer. Wiesenstein wird als Arche Noah des freien Geistes gefeiert, die im Furor des Kriegsfinales ruckartig zusammenbricht. Das hat etwas Gespenstisches.

Hans Pleschinski: „Wiesenstein“, C.H. Beck, München, 549 S., 24 Euro