Am Anfang war das Wort …

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Autoren beim Schreiben über die Schulter schauen

Seit nunmehr drei Jahren werden zwischen Ende Mai und Anfang Juni verschiedene Kulturstätten in Luxemburg-Stadt zu multidisziplinären Kreativ-Werkstätten umfunktioniert. Zehn Tage lang finden im Rahmen des „TalentLab“ u.a. Workshops, offene Proben und Rundtischgespräche in den Bereichen Theater, Tanz und Oper statt. Standen die vorigen Ausgaben noch im Zeichen aufstrebender Künstler und der Fortbildung, so hat sich die aktuelle Ausgabe im wahrsten Sinne des Wortes dem szenischen Schreiben verschrieben.Am Anfang war das Wort …

Das Format dient nicht nur dem Austausch zwischen Akteuren aus der heimischen Kulturszene, sondern auch der Dialog mit Kollegen aus dem Ausland soll gefördert werden. Dementsprechend erhielten drei junge Kunstschaffende, deren Arbeit in vielerlei Hinsicht mit den unterschiedlichen Aspekten des Theaters verwoben ist, nämlich Claire Thill, Olivier Garofalo und Rafael David Kohn, die Möglichkeit, für zwei Tage nach Birmingham zu reisen, um dort den Entstehungsprozess zeitgenössischer Eigenkreationen gemeinsam mit Künstlern des Birmingham Repertory Theatre genauer zu analysieren und in der Folge Texte zu verfassen, die sich für eine zehnminütige szenische Lesung eignen.

Im Fokus standen zwei verschiedene Thematiken: Zum einen sollte die sogenannte „Generation Z“ näher betrachtet werden. Zum anderen spielte psychische Gesundheit und die Pflege ebendieser eine essenzielle Rolle in den Gesprächen, die in Form von Workshops von Experten aus dem Fachbereich geleitet wurden. Bei Ersterem handelt es sich um eine nicht unumstrittene Typisierung, unter die jene jungen Menschen gefasst werden, welche zwischen 1995 und 2010 geboren wurden. Gemeinhin gelten diese auch als zweite Generation der „digital natives“, da ihre ersten Schritte nicht physisch, sondern digital erfolgt sind. Neue Technologien machen einen festen Bestandteil ihres Alltags aus, ja sie bestimmen diesen nicht selten sogar.

So vermag es wenig zu erstaunen, dass alle drei Autoren sich im Rahmen ihrer Recherchen nicht nur, aber vor allem auch im digitalen Raum bewegten. Claire Thill kam dieser thematische Schwerpunkt sehr gelegen, da sie sich derzeit ohnehin verstärkt mit diesem Themenfeld auseinandersetzt: „Ich beobachte sehr gerne, wie Geschichten quasi durch den digitalen Filter gehen.“ Ihr Augenmerk liegt also momentan auf einer Art digitalem Storytelling.
Im Kontext des zu schreibenden Texts schien Rafael David Kohn eine eingehende Sprachanalyse unumgänglich. Dafür durchforstete er online unter anderem verschiedene Blogs und untersuchte das vorgefundene Material auf linguistische Feinheiten. Offline ging Kohn etwas klassischer vor, um sich auch der Körpersprache zu widmen: „Sich auf eine Bank in einen Park zu setzen, um Menschen zu beobachten, ist eine der Basisübungen, die man an der Universität erlernt und regelmäßig wiederholen sollte. Man fängt bei den Füßen an, arbeitet sich langsam weiter und versucht, Bewegungsmuster zu erkennen. Das gehört einfach zu unserem Beruf dazu.“

Bei einem derartig komplexen Phänomen darf die Auseinandersetzung auf wissenschaftlicher Ebene auf keinen Fall fehlen. Wie Kohn beschäftigte sich auch Olivier Garofalo mit wissenschaftlichen Aufsätzen zum Thema. Obwohl es relevant sei, unterschiedliche methodische Zugänge und Thesen zu kennen, sei es wichtig, den verinnerlichten Stoff nicht 1:1 beim Schreiben umzusetzen, so Garofalo: „Man sollte nicht etwa eine Figur erschaffen, die dann wissenschaftliche Befunde herunter rattert. Vielmehr kann ihr Verhalten, ihr Handeln und ihre ganz eigene Psychologie subtile Spuren davon enthalten.“

Worte schaffen Realität

Dass die Recherche in Bezug auf das Thema nicht nur zu schönen Ergebnissen führen kann, dessen wurde sich Claire Thill bei den Vorbereitungen zu ihrem Text gewahr. Das von ihr verfasste Stück entstand nämlich mit der sogenannten „Bluewhalechallenge“ im Hinterkopf, auf die sie im Birminghamer Workshop gestoßen war und zu der sie dann weitere Nachforschungen angestellt hat. Hierbei handelt es sich um ein Internetphänomen, dessen drastische Auswirkungen sich Medienberichten zufolge wohl zuerst in Russland bemerkbar machten: Bei diesem „Spiel“, das auf sozialen Netzwerken stattfindet, erhält der Teilnehmer 50 Tage lang jeweils eine Aufgabe täglich. Was am Anfang harmlos daherkommt, soll mit dem Suizid als finalem Auftrag enden. Während man anfangs noch annahm, die Challenge sei nur ein Hoax, so wurden wohl mehrere tote Jugendliche aufgefunden, welche sich den namensgebenden Blauwal in die Haut geritzt hatten.

Es wird schnell klar, dass der Textinhalt längst nicht nur aus Träumen, sondern auch den Albträumen einer Generation besteht. Dies lässt die Autoren nicht unberührt zurück, wie Claire Thill erläutert: „Das, was bisher an Textideen zusammenkam, erinnert ein wenig an die doch eher pessimistisch angehauchte Serie ‚Black Mirror‘. Es hat etwas sehr Surreales und Düsteres. Es könnte aus Charlie Brookers Gehirn stammen. Aber es spiegelt die Realität wider und das jagt einem irgendwie Angst ein. Nicht zuletzt auch, weil es einem bewusst macht, was neue Medien ermöglichen, wenn man sie falsch nutzt.“

Man habe bei den Workshops aber auch erfahren dürfen, wie man welche Apps konstruktiv, quasi therapeutisch bei psychischen Problemen einsetzen könne, wirft Olivier Garofalo ein. Ihn hat in Birmingham vor allem der enttabuisierende Umgang mit dem Thema beeindruckt, welcher sich nicht nur auf sozialer Ebene, sondern eben auch beim Verfassen von Texten niederschlagen kann. In Luxemburg vernehme man allein schon durch die allgemeine Wortwahl eine starke Wertung vor, die der Lösung der Schwierigkeiten nicht zuträglich sei: „Spricht man im Falle von psychischen Erkrankungen davon, ‚geckeg‘ zu sein oder ins ‚Irrenhaus‘ zu kommen, dann schwingt das Stigma automatisch mit. Wenn man hingegen kommuniziert, dass es sich dabei um etwas handelt, bei dem man einen Arzt aufsuchen und Hilfe finden kann, dann beeinflusst das auch das Selbstverständnis vieler Menschen und deren Umgang mit dem Thema.“

Alle drei sehen keinen direkten oder zumindest keinen zwingenden Zusammenhang zwischen psychischen Krankheiten und der Generation Z. Zudem ist man sich einig, dass der hohe Technologisierungsgrad bei Weitem nicht als einziges Charakteristikum einer doch sehr heterogenen Gruppe gelten kann. Eher noch scheint das Thema der Unsicherheit immer wieder aufzutauchen. „Die Babyboomer haben in guten Zeiten auf manches nicht geachtet, was Konsequenzen verursacht hat, mit denen wir heute leben müssen. Es handelt sich dabei teils um Dinge, die man nicht mehr rückgängig machen kann. Das Klima ist nur eines von vielen Beispielen. Dieser älteren Generation wird häufig vorgeworfen, dass sie nicht genug an die Zukunft dachte, während das heute ein omnipräsentes Thema unter den neuen Generationen ist. Es geht nicht mehr nur um Zukunftspläne, sondern auch um Zukunftsängste“, so Thill.

Entgegen dem, was vielerorts verlautbart wird, halten alle drei die „Z-er“ keineswegs für entpolitisiert. Laut Rafael David Kohn kam es jedoch zu einer Veränderung in Bezug auf die gewählte Protestform: „Mir ist aufgefallen, dass diese Altersspanne im Gegensatz zu den Generationen davor für sich entschieden hat, Probleme tendenziell eher individuell anzugehen, sie sucht sich nicht unbedingt eine Gruppe, um dies im Verbund zu tun.“ Wie auch seine Kollegen betont Olivier Garofalo, dass es sich um eine Generation handelt, die es noch zu erforschen gelte in den kommenden Jahren. Für ihn steht lediglich fest: „Sie zeichnet sich durch Widersprüche aus; auf der einen Seite werden viele Freiheiten verlangt, auf der anderen aber auch Sicherheiten. Zudem ist sie es gewohnt, mitten in Krisen zu leben und hat den Glauben an große Systeme verloren. Das Glück wird eher im Privaten als in der Arbeit gesucht. Die große Frage, die sich hierbei stellt, ist, wo sich das Ganze hinentwickelt und welcher Typ politischer Menschen dadurch entsteht.“

Die nun entstandenen Texte bieten mehrere Identifikationsmöglichkeiten, da sie nicht nur auf eine Generation zugeschnitten sind, sondern beispielsweise auch Generationen-Konflikte thematisieren. Man darf gespannt sein, wie die Autoren die nun beschriebenen Themen eingebunden und textlich umgesetzt haben. Die Stücke werden von Samstag bis Mittwoch im „Théâtre du Centaure“ präsentiert. Mehr Infos unter: www.theatres.lu.