Alain spannt den Bogen: Bruckner und Tschaikowsky bei den Opernfestspielen Heidenheim

Alain spannt den Bogen: Bruckner und Tschaikowsky bei den Opernfestspielen Heidenheim

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Die Opernfestspiele Heidenheim haben dieses Jahr ihren Schwerpunkt auf Verdis Ernani, Tschaikowskys Pique Dame und verschiedene Konzerte gelegt. Wir berichten von Bruckners 8. Symphonie und Tschaikowskys Pique Dame in einer mutigen, jedoch nicht ganz überzeugenden Open-Air-Inszenierung.

Von Alain Steffen

Vom 26. Mai bis zum 28. Juli finden die Opernfestspiele Heidenheim, kurz OH genannt, statt. Obwohl es diese Festspiele schon seit 1964 gibt, konnte erst der rezente künstlerische Direktor und Dirigent Markus Bosch das Festival international positionieren.

Seit nunmehr zehn Jahren erlebt der Hörer hochinteressante Aufführungen in einem besonderen Ambiente. Zwei Opern und verschiedene Konzerte stehen jedes Jahr auf dem Programm, wobei Markus Bosch und das Festival Orchester Cappella Aquileia hier seit einigen Jahren sehr erfolgreich die frühen Verdi-Opern im sympathischen Festspielhaus aufführen. In diesem Jahr ist es die Oper Ernani.

Das andere Werk, Tschaikowskys Pique Dame, wird mehrmals open air im Rittersaal von Schloss Hellenstein gespielt. Und sollte es regnen, kann die Inszenierung durch eine intelligente Planung ohne großen Zeitverlust quasi 1:1 im Festspielhaus, das knapp 200 Meter von Schloss Hellenstein entfernt liegt, aufgeführt werden. Wir besuchten für das Tageblatt zwei Vorstellungen der OH.

Einer der interessantesten Dirigenten der Gegenwart

Am 24. Juli stand Anton Bruckners gewaltige 8. Symphonie auf dem Programm. Gespielt wurde in der Pauluskirche in Heidenheim, die sich als ein idealer Ort für Bruckners Klangwelt erwies. Festspielleiter Markus Bosch dirigierte die Südwestdeutsche Philharmonie Konstanz, ein Orchester, das eigentlich nur regionales Interesse besitzt, hier aber durch ein exzellentes Spiel auf sich aufmerksam machte.

Die akustischen Verhältnisse der Pauluskirche mit ihrem sehr direkten Klang und erstaunlich wenig Hall kamen dem Orchester sehr entgegen. Die Südwestdeutsche Philharmonie Konstanz ist ein eher klassisch besetztes Orchester und reiste auch in dieser „kleinen“ Besetzung an. Also keine klanggewaltige Hundertschaft, die Bruckners Symphonien zu einem Klangerlebnis der Sonderklasse macht.

Spannende Darbietung der 8. Symphonie

Das Klangpotenzial des Orchesters wurde aber durch die Akustik verstärkt, sodass man dem zahlreich erschienenen Publikum in dieser Hinsicht trotzdem nichts schuldig blieb. Spieltechnisch überraschte das Orchester aus Konstanz mit einer sehr engagierten und vor allem spannenden Wiedergabe der Achten. Markus Bosch, der großartige Orchestererzieher und Interpret, machte sich die gegebenen Verhältnisse zunutze und förderte dabei die dynamische Präsenz des Orchesters.

Mit relativ schnellen Tempi inszenierte er die Achte als einen virtuosen Ritt durch Bruckners Klangwelten und auch das wunderschöne Adagio vermochten Bosch und seine Musiker trotz zügiger Tempi sehr intensiv auszuleuchten.

Standing Ovations

Sicher, das Feierliche dieser Symphonie trat bei der Interpretation etwas in den Hintergrund. Und das war auch so gewollt. Bosch und die Südwestdeutsche Philharmonie Konstanz spielten das Werk mit ihren Möglichkeiten, klar strukturiert, akzentreich und lebendig, und boten eine Aufführung, die sich konzeptuell und interpretatorisch durchaus mit denen der Starorchester vergleichen konnte.

Markus Bosch, und das ist seit langem bekannt, ist ein Dirigent, der selbst aus regionalen „Provinzorchestern“ (das ist jetzt nicht abwertend gemeint) unerwartete Qualitäten und Spiellust hervorkitzeln kann, sodass man als Hörer das gleiche Vergnügen und die gleiche Intensität erleben kann wie eben bei den großen Symphonieorchestern mit ihren renommierten Maestri.

Und gerade das zeichnet in meinen Augen die Kunst eines guten Dirigenten aus. Für diese Achte verdienen Markus Bosch und die Süddeutsche Philharmonie Konstanz Hochachtung, und die lautstarken Standing Ovations am Schluss waren mehr als berechtigt.

Pique Dame open air?

Am folgenden Abend dann Pique Dame, die neben Eugen Onegin Tschaikowskys bekannteste Oper ist, allerdings nicht zu den Publikumslieblingen gehört. Natürlich gibt es open air besondere und nicht immer gute akustische Verhältnisse, aber dass Tschaikowskys Musik in keinem Moment zu packen wusste, lag in erster Line daran, dass Pique Dame als Konversationsoper nicht unbedingt für eine Open-Air-Vorstellung taugt.

Die Stuttgarter Philharmoniker, die bei den OH seit 2016 regelmäßig spielen, kommen mit diesen Verhältnissen sehr gut zurecht und boten eine lobenswerte Leistung. Am Pult diesmal nicht Markus Bosch, sondern der sehr junge Ukrainer Artem Lonhinov, der diese Aufführung als Gewinner eines von Markus Bosch initiierten Wettbewerbs dirigieren durfte. Souverän und gekonnt leitete er die Stuttgarter Philharmoniker und war den Sängern ein aufmerksamer Begleiter. Kein Zweifel, dieser junge Dirigent hat das Zeug zu einem guten Operninterpreten.

Wie immer mit dabei, der wundervolle Tschechische Philharmonische Chor Brünn unter der Leitung von Petr Fiala, der – seien wir ehrlich – der Hingucker dieser Pique Dame war, zumal die Choristen weitaus lebendiger und spielfreudiger agierten als die etwas behäbig wirkenden Solisten.

Sänger verzichten auf Mikrofone

Die Inszenierung stammte von Tobias Heyder, der bei den OH bereits 2016 für Verdis Oberto verantwortlich gezeichnet hatte, hier aber wenig Interessantes auf die Bühne zaubern konnte. Die Kostüme stammten von Verena Polkowsky und die eher karg und funktionell eingerichtete Bühne von Britta Tönne.

Von den Sängern, die ohne Mikrofon sangen, erlebten wir gute, wenn auch nicht herausragende Leistungen. Karina Flores sang eine insgesamt überzeugende Lisa und George Oniani einen soliden Hermann. Die Gräfin, deren Outfit an Cruella De Vil aus 101 Dalmantiner erinnerte, wurde von Roswitha Christina Müller rollendeckend gesungen, während Csaba Szegedi Fürst Jelezki Stimme und Profil verlieh.

Wie schon gesagt, Open-Air-Verhältnisse kommen Tschaikowskys zum Teil raffinierter Orchestration und den subtil zu gestaltenden Dialogen nicht unbedingt entgegen. Trotzdem ist dieser Versuch von Festspielleiter Markus Bosch zu begrüßen, einmal nicht die üblichen und allseits bekannten Opernschmankerl in einem solchen Rahmen aufzuführen. Und das zahlreich erschienene Publikum gibt Markus Bosch recht.