Wer in diesen Tagen über den Krieg in der Ukraine diskutiert, über die Sicherheit und Zukunft Europas und seine transatlantischen Beziehungen, der steckt in einem Wettlauf mit der Zeit, den man eigentlich nur verlieren kann. So geht es auch Jean Asselborn, Sigmar Gabriel und Sylvie Bermann auf der Bühne der Abtei Neumünster. Es ist Montagabend, das Institut Pierre Werner hat drei außenpolitisch versierte Polit- und Diplomatiegrößen zu einem Gespräch geladen: „Ukraine 2025 – une année décisive?“ Kurze Zeit später wird Donald Trump die US-Militärhilfe für die Ukraine stoppen und die aktuell rasende Ereignisspirale noch ein Stück weiter eskalieren. Asselborn, Gabriel und Bermann wissen zu diesem Zeitpunkt noch nichts davon.
Es ist eine entscheidende Woche für die Ukraine und Europa, in der die drei Europäer in Luxemburg zusammenkommen: der ehemalige deutsche Wirtschafts- und Außenminister Sigmar Gabriel, sein luxemburgischer Parteigenosse Jean Asselborn, fast 20 Jahre Außenminister, und die französische Diplomatin Sylvie Bermann, einst Botschafterin in London, Moskau und Peking. In vielen, wenn nicht gar den meisten Knackpunkten sind sich die Drei an diesem Abend einig. Europa muss aufrüsten, Europa muss seine Verteidigung stärken, Europa muss die Ukraine unterstützen, Europa muss eine Lücke füllen, die die USA hinterlassen. Beim Wie jedoch, da lohnt es sich genauer hinzuhören, auf die Nuancen zu achten.
London wichtiger als Brüssel
Zunächst einmal aber zu einer der größten und wichtigsten Gemeinsamkeiten: Vom Sondergipfel der EU-Staatschefs am Donnerstag erwartet sich keiner der drei Experten ein kleines oder großes Wunder. „Ich kenne kein EU-Ratstreffen, das nicht schon vorher als historisch bezeichnet wurde“, sagt Asselborn. Alle sind sich einig: Der Prozess, der vergangenen Sonntag in London gestartet wurde, unter Führung von Frankreich und Großbritannien, dieser Prozess sei momentan wichtiger als das, was in Brüssel entschieden werde. Eine „Koalition der Willigen“ halten Asselborn und Gabriel für reaktiver und agiler als die 27 Staats- und Regierungschefs. Für den ehemaligen deutschen Außenminister könnte diese zwei Aufgaben erfüllen: die gemeinsame Unterstützung der Ukraine koordinieren – im Zweifel ohne die USA – und den Nukleus einer gemeinsamen europäischen Verteidigungsinitiative bilden.
Dass diese – in Anbetracht der Politik der Administration Trump – notwendig ist, auch darüber herrscht Einigkeit. Für Sylvie Bermann existiert der Westen im Sinne einer gemeinsam verteidigten Wertegemeinschaft mit den USA nicht mehr. Gabriel öffnet die Perspektive und erinnert daran, dass es viele Länder auf der Welt gibt, die sich darüber freuen, dass die USA ihre Rolle als Ordnungsmacht aufgeben. Die Idee des Westens, geboren aus der amerikanischen und der französischen Revolution, die „Stärke des Rechts“ … – für den Globalen Süden stelle dieser Westen die alten, doppelmoralischen Kolonialherren dar, so Gabriel. Die Abwendung der USA von Europa und die Hinwendung zum pazifischen Raum, so der Deutsche weiter, habe sich schon zu Zeiten von Präsident Obama abgezeichnet.
Jean Asselborn setzt sich dafür ein, dass Europa die „Fahne der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit“ hochhalte. Die nächsten Wahlen in den USA kämen in zwei Jahren, die nächsten Präsidentschaftswahlen in vier. Hier offenbart sich eine Differenz unter den Diskutanten. Bermann kontert, die Trump-Administration sei keine Phase, sondern die neue Norm. Eine Norm, an der Europa sein Handeln ausrichten müsse. Man spürt an diesem Abend, Asselborn will die USA nicht abschreiben, er betont die Freundschaft der Völker, hofft, dass Trump zurück auf den Weg des Friedensschlusses findet. Die entscheidende Frage lautet für ihn: Sieht Selenskyj noch die Möglichkeit für ein Abkommen mit Trump? Der Druck auf den ukrainischen Präsidenten ist nach dem Hilfe-Stopp aus der Nacht mit Sicherheit nur weiter gestiegen.
Wer garantiert in Zukunft die Sicherheit?
„Die USA haben nicht nur den Hut des Weltpolizisten an den Nagel gehängt, sondern gleich die Seiten gewechselt“, resümiert Sigmar Gabriel. Was bedeutet das ganz konkret für die aktuelle Situation, in der sich Europa befindet? Die EU müsse ihre wirtschaftliche Stärke nutzen, um politische Größe zu erreichen, sagt Bermann. Der deutsche Ex-Minister Gabriel sieht ohne die Amerikaner jedoch nicht viele verbleibende Machthebel. „Ich sehe keine gute Lösung des Konflikts“, sagt Gabriel. Die Möglichkeiten Europas in der aktuellen geopolitischen Lage beschränkten sich auf die Überwachung eines Waffenstillstands und damit einhergehende Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Das weckt bei allen Beteiligten Erinnerungen an die OECD-Beobachtermission in der Ost-Ukraine, die die täglichen Brüche des damaligen Waffenstillstands dokumentierte. „Wir dürfen auf keinen Fall auf das Minsk-Abkommen zurückkommen“, sagt Bermann. Selenskyj habe „Minsk“ einst als „Hochverrat“ bezeichnet, führt Gabriel an. Heute stünde die Ukraine bei einem neuen Abkommen mit noch schlechteren Bedingungen da als damals.
Die europäischen Sicherheitsgarantien werden zu einer zentralen Frage des Abends. Eine Vollmitgliedschaft der Ukraine in der EU schließt Gabriel zum aktuellen Zeitpunkt aus. Ebenso eine NATO-Lösung. Wer kann dann nach einem Friedensschluss Sicherheit garantieren, den Waffenstillstand durchsetzen? „Ein robustes UN-Mandat, wer sonst?“, sagt Gabriel. Auch Asselborn sieht europäische, nicht-kämpfende Truppen auf dem Territorium der Ukraine.
Dass die russische Bedrohung mit einem Frieden in der Ukraine endet, daran glaubt keiner an diesem Abend. „Putin führt Krieg gegen den Westen, nicht gegen die Ukraine“, sagt Gabriel. An einen russischen Angriff auf ein NATO-Land glaubt keiner der drei Experten. Wohl jedoch auf weitere Aktionen in der Ukraine oder im Kaukasus. „Nur durch Stärke hindern wir Putin daran, uns ständig zu testen“, sagt Gabriel. Er argumentiert an diesem Abend am stärksten für Aufrüstung und Kriegsvorbereitung als Abschreckung. Im vergangenen Dezember wurde Gabriel für den Aufsichtsrat des deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall nominiert, im Mai soll er Mitglied werden.
De Maart

Europa geht bis zum Ural, es bleibt viel zu tun den Russen zu vertreiben! Wird bestimmt nicht funktionieren! 😜😕