UnternehmenZu Besuch im neuen Goodyear-Werk in Düdelingen

Unternehmen / Zu Besuch im neuen Goodyear-Werk in Düdelingen
Fertige Reifen am Ende der Produktionslinie in Düdelingen Foto: Goodyear

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Seit vielen Jahren verliert die Industrie in Luxemburg an Gewicht. Trotzdem bleibt der Sektor in Bewegung. Es wird innoviert und investiert. Unter anderem wurde dieses Jahr in Düdelingen eine Fabrik eingeweiht, wie es sie in der Welt nur ein zweites Mal gibt.

„In einer traditionellen Fabrik ist diese Flexibilität, diese Komplexität gar nicht möglich“, so Xavier Fraipont gegenüber dem Tageblatt. „Es ist die erste dieser Art in Europa.“ Der Elektromechaniker arbeitet seit 25 Jahren bei Goodyear. Heute ist er zuständig für den Bereich Produkt-Entwicklung.

Die durch und durch automatisierte und robotisierte Fabrik ist die einzige Produktionsstätte von Goodyear in Luxemburg, wo Autoreifen hergestellt werden. Insgesamt 77 Millionen Dollar hat das neue Werk in Düdelingen gekostet.

Mit Fabriken wie diesen will der Konzern auf die zunehmende Komplexität in der Reifenindustrie reagieren. „Allein für Europa hat Goodyear eine Produktpalette von über 4.000 unterschiedlichen Reifen“, erklärt Fraipont. Hintergrund ist die wachsende Zahl an Fahrzeugmodellen und Optionen, die den Verbrauchern zur Verfügung stehen.

Xavier Fraipont
Xavier Fraipont Foto: Goodyear

Der Produktionsprozess in Düdelingen ermöglicht es nun, hochwertige Reifen in kleinen Mengen herzustellen. Die Produktionsstätte soll so eine Nische bedienen und traditionelle Fabriken, die auf große Produktionsvolumen setzen, ergänzen. Die hier eingesetzte Technik erlaube es, schnell und flexibel auf Kundenwünsche zu reagieren.

77 Millionen Dollar investiert

„Als erstes bedeutendes amerikanisches Unternehmen, das sich in Luxemburg niederließ, markierte Goodyear 1951 einen Neuanfang in der Handelsgeschichte Luxemburgs“, sagte 2017 der damalige Wirtschaftsminister Etienne Schneider bei der Veranstaltung zum ersten Spatenstich. „Mit der Ankündigung des ‚Industry 4.0 Mercury‘-Projekts schreiben Luxemburg und Goodyear ein weiteres Stück luxemburgische Industriegeschichte und wirtschaftlicher Diversifizierung, indem sie in die neue Ära der digitalisierten Industrie eintreten.“

Nachdem die Halle selbst bereits 2019 fertiggestellt war, begann Goodyear mit dem Aufbau der in den USA entwickelten Technik. Mitte 2021 wurde der erste Reifen ausgeliefert. Die offizielle Einweihung, im Beisein von Großherzog Henri und Wirtschaftsminister Franz Fayot, war im Mai dieses Jahres.

Eine Fabrik mit vier Zonen

Die Räumlichkeiten der „Mercury-Plant“ in Düdelingen sind überschaubarer, kompakter als viele andere Fabriken. Die Produktionshalle besteht aus vier unterschiedlichen Zonen. Im ersten Bereich riecht es nach Gummi. Hierhin werden die Materialien für die Produktion angeliefert und warten auf ihre Verarbeitung. Es handelt sich um unzählige, rund ein Meter breite, ein Zentimeter dicke, und mehrere Meter lange Folien aus Gummi. Für das ungeübte Auge sehen alle gleich aus. Tatsächlich handelt es sich aber um viele unterschiedliche Arten.

Im zweiten Bereich der Werkshalle findet die eigentliche Reifenproduktion statt. Diese Technik „ist, was Düdelingen so einzigartig macht“, unterstreicht Xavier Fraipont. Die Maschinen, die hier stehen, dürfen nicht fotografiert werden. Es gilt, Kopieren und Industriespionage zu verhindern. Weltweit gibt es nur noch eine zweite ähnliche Fabrik, nämlich in den USA.

Philippe Risser, Direktor in Düdelingen
Philippe Risser, Direktor in Düdelingen Foto: Goodyear

Auf rund 100 Meter Schienen fahren mehrere „Roboter“. Jeder hat einen „Arm“, um den herum ein Reifen entsteht. Neben den Schienen stehen rund 20 Arbeitsstationen, an denen die Roboter Halt machen können.

Fotografieren ist verboten

An den ersten Stationen wird der Gummi aus dem Lager in dünne, lange Bänder gezogen. Diese werden dann um den Arm des Roboters gewickelt. An jeder weiteren Station kommen dann entweder eine zusätzliche Schicht aus Kautschuk oder andere Schichten, etwa aus Metall oder Nylon, hinzu. Je nachdem, welche Reifen-Qualität vom Kunden gewünscht wird.

„Ähnlich wie beim Prozess eines 3D-Druckers entsteht so nach und nach, Schicht für Schicht, der Reifen“, erklärt Philippe Risser, Direktor des Werks. Alles ist hochautomatisiert und miteinander vernetzt.

Die wenigen Mitarbeiter im Raum greifen kaum in den Produktionsprozess ein. „Man braucht nichts mehr anzufassen“, so der Direktor. Nur die Maschinen müssen am Laufen gehalten werden. „Dazu braucht man spezialisiertes Personal, das im Zweifelsfall alles sofort reparieren kann“, so Philippe Risser. „Echte Fachkräfte.“

Diese Technik bewirkt, dass selbst die Produktion von sehr kleinen Reifenserien möglich ist, so Xavier Fraipont. Und trotzdem geht nichts von heute auf morgen: Noch befindet sich das Werk in der Anlauf- und Taktungsphase. „Mit der Herstellung von 20 unterschiedliche Reifen haben wir begonnen. Jetzt sind wir bei über 50“, so der gebürtige Belgier. Bis 2025 will man in der Lage sein, mehr als 200 unterschiedliche Reifen hier herstellen zu können.

Es brauche halt Zeit für die Umsetzung der Standards und Qualitätskriterien eines jeden Reifens, erklärt er. Die Wichtigkeit der Reifen sei nicht zu unterschätzen. „Es ist der einzige Teil des Autos, der mit der Straße in Verbindung kommt. Da müssen sehr viele Faktoren beachtet werden.“ Etwa die Abnutzung. Der Reifen kommt mit Kälte, Hitze, Sand, Schlamm, Wasser und Glatteis in Kontakt. „In seiner Lebenszeit werden die rund zwei Meter Umfang sich im Schnitt 30 Millionen Mal auf der Straße drehen – bei Lastwagen-Reifen noch viel öfter“, so Fraipont. Entwickelt und getestet werden die Reifen übrigens in Colmar-Berg.

Kleine Roboter sammeln die Reifen ein

Doch zurück zum Werk in Düdelingen: Am Ende der Produktionslinie im zweiten Bereich ist der Reifen fertig zusammengesetzt. Er ist jedoch noch weich und hat auch noch kein Profil.

In der dritten Zone wird dann gekocht. Der Fabrikdirektor vergleicht den Prozess mit einem Kuchen, der vorbereitet wird und bei dem das gewünschte Ergebnis erst durch die richtige Backdauer, Temperatur und Backform entsteht.

Kleine Roboter, die autonom herumfahren, sammeln jeden einzelnen fertigen Reifen in der zweiten Zone ein und bringen ihn dann zu der für ihn vorgesehenen „Backform“ nebenan. Etwa zehn Öfen gibt es hier. In jedem gibt es Platz für zwei „Backformen“. Im betreffenden „moule“ wird der Reifen dann von innen an die Wände gepresst und erhält so seine endgültige Form mit dem gewünschten Reifenprofil. Nach etwas mehr als zehn Minuten ist der „Back“-Prozess abgeschlossen und der Reifen ist fertig produziert.

Im vierten Bereich spielt dann zum ersten Mal ein Mensch eine direkte Rolle im Produktionsprozess – und zwar bei der Sichtkontrolle der Reifen. Es sieht alles aus wie Einzelprodukte, die nach und nach übers Fließband laufen: Auf ein Winter- folgt ein Sommerreifen, auf einen größeren folgt ein kleinerer.

Nach bestandener Kontrolle bringt ein weiteres Fließband sie zu einem kleinen Lager, wo sie gestapelt werden und auf das Abholen durch einen Laster warten. Voll automatisiert werden die Reifenstapel dann aufgehoben und eingeladen. Ein großes Lager wird nicht benötigt, da nur auf Kundenwunsch produziert wird.

Das neue Werk in Düdelingen aus der Vogelperspektive
Das neue Werk in Düdelingen aus der Vogelperspektive Foto: Goodyear
Kleine Roboter, die autonom herumfahren, sammeln jeden einzelnen fertigen Reifen in der zweiten Zone ein und bringen ihn dann zu der für ihn vorgesehenen „Backform“ nebenan
Kleine Roboter, die autonom herumfahren, sammeln jeden einzelnen fertigen Reifen in der zweiten Zone ein und bringen ihn dann zu der für ihn vorgesehenen „Backform“ nebenan  Foto: Goodyear
In den Öfen erhalten die Reifen ihre endgültige Form mit dem gewünschten Reifenprofil
In den Öfen erhalten die Reifen ihre endgültige Form mit dem gewünschten Reifenprofil Foto: Goodyear


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LINK Goodyear: der größte industrielle Arbeitgeber des Landes

Grober J-P.
6. Dezember 2022 - 9.44

Merci! LG

cmuller
5. Dezember 2022 - 11.15

@Grober J-P Die Arbeitsplatz-Zahlen stehen in diesem Artikel: https://www.tageblatt.lu/headlines/goodyear-der-groesste-industrielle-arbeitgeber-des-landes/ LG

Grober J-P.
5. Dezember 2022 - 9.36

H. Müller: Belegschaft, Arbeitsplätze???