Abdulrahman ist zurzeit nicht nach Studieren zumute. Der 22-jährige Informatikstudent an der Universität Luxemburg hat Angst um seinen Bruder. Und er weiß um die Sorgen seiner Eltern. Nach jahrelanger Flucht und nachdem sie so lange voneinander getrennt waren, hatten sie es endlich geschafft, ihre acht Kinder – fünf Söhne und drei Töchter – im Zuge der Familienzusammenführung wieder um sich zu vereinen. Sie waren im Großherzogtum sogar Opa und Oma geworden. Die kurdisch-syrische Familie hoffte auf einen gemeinsamen Neuanfang in Luxemburg. Alle erhielten Aufenthaltsgenehmigungen – bis auf einen.
Der älteste Sohn Khalel war gerade volljährig geworden, als er vor fünf Jahren vor dem Bürgerkrieg in seiner Heimat floh. Damals war er in al-Hasaka aufgebrochen. Die Stadt war mehrmals von verschiedenen Gruppen angegriffen und teilweise besetzt worden. Noch im Januar 2022 hatte der Islamische Staat (IS) versucht, al-Hasaka zu erobern und ihre Kämpfer aus dem Gefängnis zu befreien. Mehr als 600 Menschen kamen bei der Schlacht ums Leben. Zu diesem Zeitpunkt war Khalel schon in Europa. In Bulgarien griff man ihn auf. Die Polizei dort ist nicht dafür bekannt, zimperlich zu sein. Er wurde misshandelt. Trotzdem stellte er einen Antrag auf einen internationalen Schutzstatus. Dieser wurde ihm gewährt.
Nichts lag ihm ferner, als in dem südosteuropäischen Land zu bleiben. Denn in Bulgarien haben Geflüchtete kaum eine Perspektive. Khalel floh weiter nach Deutschland, wo er im November 2022 einen weiteren Asylantrag stellte. In der Zwischenzeit war die gesamte Familie auf unterschiedlichen Routen in Europa unterwegs und bis nach Luxemburg gelangt. So auch Abdulrahman, der mit einem jüngeren Bruder auf der Flucht war. Es gelang seiner Familie, Khalel nachzuholen, wo dieser erneut einen Asylantrag stellte. Doch dieser wurde abgelehnt. Der junge Mann sollte nach einer Bestimmung der europäischen „Dublin III“-Verordnung, einem „Überstellungsbeschluss“, nach Bulgarien zurückgeschickt werden. Diese Entscheidung wurde vom Verwaltungsgericht bestätigt. Khalel gab auf Anraten seines Anwalts seinen bulgarischen Schutzstatus für den Fall auf, dass sein Asylantrag nochmals geprüft werden würde.
Per Dublin zurück nach Bulgarien
Khalel verfiel in Depressionen. Zu traumatisch waren die Erinnerungen an die Zeit in Bulgarien. Er dachte an Selbstmord. Einer Aufforderung, sich in der im vergangenen Jahr geschaffenen „Maison de retour“ einzufinden, die für freiwillige Rückkehrer vorgesehen ist, kam er nicht nach. Dann sollte eine Zwangsrückweisung nach Bulgarien bereits vergangenen Monat stattfinden, doch der 24-Jährige, zwischenzeitlich im „Centre de rétention“ auf Findel in Haft, erlitt eine so starke Panikattacke, dass sich der Pilot weigerte, ihn mitzunehmen. Das Sicherheitsrisiko sei zu hoch. Die Überstellung wurde erneut verschoben. Vonseiten der Regierung heißt es später, der Betroffene hätte ein „äußerst gewalttätiges Verhalten“ gezeigt, in dem er Drohungen gegen die Beamten der Immigrationsbehörde ausgesprochen und den Warteraum, in dem er sich befand, stark beschädigt habe.
Die mentale Gesundheit des Syrers verschlechtert sich von Tag zu Tag. Obwohl er „gewisse Pathologien aufweist“, sah das Innenministerium darin keinen Hinderungsgrund. Am Donnerstag vergangener Woche wurde Khalel abgeschoben. Das Verwaltungsgericht lehnte einen Antrag auf einstweilige Verfügung am 2. Juli ab. Die bulgarischen Behörden seien über seinen Gesundheitszustand in Kenntnis gesetzt worden, heißt es. Dies geht aus der Antwort von Innenminister Léon Gloden (CSV) auf eine parlamentarische Frage des Abgeordneten Marc Baum („déi Lénk“) hervor.
„So viele öffentliche Ressourcen werden mobilisiert, um einen jungen Mann und eine ganze Familie zu zerbrechen“, beklagte Marion Dubois, Leiterin der Hilfsorganisation „Passerell“, die zwei von Khalels jüngeren Brüdern vor vier Jahren bei ihrer Ankunft in Luxemburg begleitet hatte. Während eines Gerichtsverfahrens, mit dem Khalels Inhaftierung angefochten werden sollte, habe sich herausgestellt, so Passarell, dass die luxemburgischen Behörden ihre bulgarischen Kollegen nicht auf Khalels gesundheitliche Probleme hingewiesen hatten. Passerell weist in einer Pressemitteilung darauf hin, dass der Informationsaustausch über die Verletzlichkeit und die Bedürfnisse einer überstellten Person eine der in der Dublin-Verordnung enthaltenen Verpflichtungen sei. Das Verwaltungsgericht stellte den Verstoß der luxemburgischen Behörden fest. Die Überstellung hätte unter diesen Bedingungen nicht erfolgen dürfen. Das Ministerium legte Berufung ein – und gewann.
Von Luxemburg in den „Horrorknast“
Zum Hintergrund: Seit das Migrations- und Asylpaket der Europäischen Union im vergangenen Jahr beschlossen wurde, das bis Juni 2026 umgesetzt werden soll, drückt die EU-Kommission auf das Tempo. Spätestens seitdem haben die einzelnen Staaten ihre Asylpolitik bereits verschärft. Die Zahl der Anträge in Luxemburg auf einen zeitweiligen internationalen Schutz ist von Januar bis Mai zurückgegangen, meldete die „Direction de l’immigration“. Innenminister Gloden war im Dezember unter anderem von Passarell kritisiert worden, nachdem er angekündigt hatte, die Entscheidungen über syrische Asylanträge auszusetzen, von denen etwa 825 Syrer betroffen waren. Ähnliches hatte das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) angeordnet – bis das Verfassungsgericht in Karlsruhe am 23. Mai mit einem Verweis auf die ungewisse Lage in Syrien entschied, das BAMF sei nicht berechtigt, eine Entscheidung über Asylanträge von Syrern aufzuschieben.
Bezüglich des Familiennachzugs für Geflüchtete mit eingeschränktem Schutzstatus hat die Ankündigung der deutschen Bundesregierung, diesen für zwei Jahre auszusetzen, Wellen geschlagen. Ende Juni stimmte eine Mehrheit im Bundestag für den entsprechenden Gesetzentwurf. Einen Nachzug für Menschen mit eingeschränktem Schutzstatus – anders als für anerkannte Flüchtlinge – soll es nur noch in Härtefällen für Ehepartner, minderjährige Kinder und im Fall unbegleiteter Minderjähriger für deren Eltern geben. Hilfsorganisationen befürchten, dass das deutsche Beispiel Schule macht. Dabei „hapert es hierzulande bereits bei der Familienzusammenführung, der Bereitstellung von Unterkünften und im Zugang zum Arbeitsmarkt bereits“, entnimmt Serge Kollwelter vom „Ronnen Dësch“ dem jüngsten „Migrant Integration Policy Index“ (MIPEX), einer bei der „Association de soutien aux travailleurs immigrés“ (ASTI) kürzlich vorgestellten Studie über die Integration von Migranten in der EU und drei weiteren Ländern.
Ein deutlich strengerer Kurs von Innenminister Gloden war zwar im ersten Jahr seiner Amtszeit noch nicht zu erkennen: Im ersten Jahr seiner Amtszeit war die Zahl der Abschiebungen nur leicht von 113 (2023) auf 120 (2024) gestiegen. Allerdings hatte sich die Zahl der Anträge 2024 bereits von 2.446 auf 2.018 verringert. Zudem sank die Zahl der Fälle, in denen internationaler oder subsidiärer Schutz gewährt wurde. Die der abgelehnten Anträge stieg ebenso wie die Ausweisungen von Asylbewerbern, die wie Khalef schon in einem anderen EU-Land einen Antrag gestellt hatten, sowie die der Schnellverfahren. Mit der „Maison de retour“ wurde im September 2024 eine neue Struktur geschaffen, mit deren Hilfe abgelehnte Asylbewerber dazu bewogen werden sollen, freiwillig in ihre Heimat zurückzukehren. In dieser Einrichtung sind auch Dublin-III-Fälle untergebracht. Wie Khalef.
Wir machen uns ernsthaft Sorgen um ihn
Nach seiner Abschiebung befindet er sich wieder in einem „Centre de rétention“ – und zwar im bulgarischen Busmantsi. „Wir machen uns ernsthaft Sorgen um ihn“, sagt sein Bruder Abdulrahman. „Er ist in einem Raum mit 32 anderen Männern eingepfercht.“ Das Zentrum in dem zu Sofia gehörenden Ort wurde ursprünglich für die vorübergehende Unterbringung von Migranten ohne Papiere konzipiert. Heute ist es eine Art Abschiebeknast, in der manche Insassen monate- oder gar jahrelang gefangen gehalten werden. Bulgarische Medien veröffentlichten den Brief eines aus Saudi-Arabien stammenden Mannes, der dort lange Zeit inhaftiert war: „Busmantsi ist kein offizielles Gefängnis, aber wir sind Gefangene.“ Und es diente bereits als Drehort für einen besonders trashigen Horrorfilm mit dem Titel „Wrong Turn 3“.
De Maart

@ Pin Mac / Deem stëmmen ech 100% zou !
@pinmac
Können Sie auch auf eine andere Weise kommentieren als mit stumpfem, aggressivem und intolerantem Stammtisch-Gezetere? Denn auch wenn Ihnen jegliche Empathie für diese Menschen fehlt, so bleiben in Angelegenheiten der Flüchtlingsfragen auch noch die Prinzipien eines Rechtsstaates. Und die wollen Sie ja nicht in Frage stellen, oooder...??
Ab mit Lotchen..........awer seier.
8 Kinder? In Kriegsgebieten?
Niemand braucht um sein Leben in Bulgarien bangen, sic...oder?