Sonntag19. Oktober 2025

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Domaine TageblattWoher kommt der Rivaner? Die Suche nach der Urrebe führt uns in die Schweiz

Domaine Tageblatt / Woher kommt der Rivaner? Die Suche nach der Urrebe führt uns in die Schweiz
Jacqueline Achermann und Martin Wiederkehr nahmen uns mit auf die Spuren von Hermann Müller-Thurgau Foto: Chris Schleimer

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Als angehende Winzer beschäftigen wir von der „Domaine Tageblatt“ uns nicht nur mit der praktischen Arbeit im Weinberg, sondern auch mit der Geschichte unserer Rebsorte Rivaner. Hierfür haben wir uns in die Schweiz, auf die Spuren von Hermann Müller-Thurgau begeben. Entdeckt haben wir eine Geschichte über Pionierarbeit, Irrtümer und Schmuggel.

Eigentlich sieht er recht unspektakulär aus – eben wie ein alter Rebstock aussieht. Doch ein kleines Schild verrät seine besondere Geschichte: „Riesling x Sylvaner Urrebe Stock 58“. Hier, an diesem unscheinbaren Rebstock, begann die Erfolgsgeschichte des Rivaners – auch bekannt als Müller-Thurgau – und damit ein bedeutendes Kapitel des Weinbaus, das bis in die Tageblatt-Parzelle auf dem Remicher Galgenberg reicht. Wir befinden uns in der Schweiz, genauer gesagt in Wädenswil, einer kleinen Stadt an den Hängen des linken Ufers des Zürichsees.

Zwischen Häusern, Obstbäumen und Weinreben – darunter der berühmte Stock 58 – liegt das Weinbauzentrum Wädenswil. Die Forschungseinrichtung, gegründet im Jahr 1890, blickt auf eine lange Tradition zurück. Ähnlich wie das Institut viti-vinicole in Luxemburg entstand sie als Reaktion auf die großen Schäden, die Reblaus und Mehltau im 19. Jahrhundert in Europa verursachten, erklärt Martin Wiederkehr, Geschäftsführer des Weinbauzentrums Wädenswil. Erster Direktor war der Önologe, Pflanzenphysiologe, Botaniker und Rebzüchter Hermann Müller-Thurgau – der Vater des Rivaners. Deshalb ist die Sorte in der Schweiz und in Deutschland unter dem Namen Müller-Thurgau bekannt.

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Das Projekt ist ambitioniert und soll Einblicke in die Welt der Winzer verschaffen. Die Tageblatt-Redaktion wird in den kommenden anderthalb Jahren versuchen, ihren eigenen Wein herzustellen, in einer wöchentlichen Serie über Erfolg und Misserfolg berichten und dabei tiefere Einblicke in die Welt des Weinbaus geben.

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Traubenschmuggel nach Deutschland

Bevor Müller-Thurgau 1891 nach Wädenswil kam, arbeitete er an der Forschungsanstalt Geisenheim – jener Institution, an der heute viele luxemburgische Winzer ausgebildet werden. Bereits 1882 begann er dort mit den ersten Kreuzungsversuchen zwischen Riesling und dem vermeintlichen Silvaner, woraus sich später der Name Rivaner ableitete. Als er schließlich nach Wädenswil wechselte, brachte er 150 Setzlinge aus Geisenheim mit. „Darunter war auch der Stock 58, der sich durch seine herausragenden Eigenschaften unter den Setzlingen auszeichnete und später als Traubensorte Riesling-Silvaner die Welt eroberte“, erklärt die Winzerin Jacqueline Achermann, die aktuell am Projekt „Stock 58“ arbeitet, das sich mit der Geschichte des Müller-Thurgaus befasst.

Das „Objekt der Begierde“: die Urrebe Stock 58
Das „Objekt der Begierde“: die Urrebe Stock 58 Foto: Chris Schleimer

X oder -?

Auf dem Schild am Stock 58 steht immer noch Riesling x Silvaner geschrieben, so wie es früher genutzt wurde. Streng genommen ist es aber falsch. Denn das x steht für eine Kreuzung. Und da der Wein – wie seit 1998 bekannt ist – keine Kreuzung aus den Sorten Riesling und Silvaner ist. Heute ist der Wein deshalb in der Schweiz und in Deutschland vor allem unter dem Namen Müller-Thurgau bekannt. Allerdings darf laut EU-Sortenverordnung auch der Name „Riesling-Silvaner“ benutzt werden, da der Bindestrich im Gegensatz zum x für einen Eigennamen und nicht für eine Kreuzung steht.

Im Zentrum dieser Geschichte steht allerdings ein Irrtum. Denn obwohl die weiße Rebsorte unter dem Namen Riesling-Silvaner bekannt wurde – woraus sich auch der Name Rivaner ableitet –, enthält sie gar keinen Silvaner. Erst 1998 entdeckten österreichische Wissenschaftler durch eine DNA-Analyse des Stock 58, dass es sich tatsächlich um eine Kreuzung aus Riesling und Madeleine Royale handelt. Wie es zu dieser Verwechslung kam, lässt sich nicht mehr genau nachvollziehen. Achermann vermutet, dass es beim Transport der Setzlinge nach Wädenswil zu einer Verwechslung kam. Prof. Ernst H. Rühl von der Hochschule Geisenheim hält es für möglich, dass Madeleine Royale zur gleichen Zeit im Gewächshaus blühte und es so zur Verwechslung kam.

Weiß, frühreif, reichtragend, angenehmer Geschmack

Hermann Müller-Thurgau

Dieser Irrtum hinderte den Rivaner jedoch nicht daran, zur erfolgreichsten Weißweinneuzüchtung der Welt zu werden. Keine andere moderne Rebsorte ist so weit verbreitet wie der Müller-Thurgau. Vor allem in Europa wird er angebaut, doch auch in Japan, den USA und Russland findet er seinen Platz, erklärt Achermann.

Heute steht der Rivaner für eine typische westeuropäische Weißweinsorte. Doch vor rund 130 Jahren sorgte der Müller-Thurgau für eine kleine Revolution. „Weiß, frühreif, reichtragend, angenehmer Geschmack“, notierte Hermann Müller-Thurgau 1894 in seinem Rebbuch. „Bereits die ersten Weine, die daraus gekeltert wurden, zeichneten sich durch eine milde Säure aus – ein Merkmal, das man bis dahin eher von importierten Weinen aus dem Süden kannte. Plötzlich gab es eine Schweizer Sorte mit dieser Milde und Gefälligkeit.“ Müller-Thurgau erkannte das Potenzial seiner Neuzüchtung früh, betont Achermann.

Kulturgut hochhalten

Dieses Potenzial sah vor genau 100 Jahren auch der Winzer Johann Baptiste Röhrenbach aus Deutschland. Am Bodensee befand sich der Weinbau aufgrund von Missernten in der Krise. Als Röhrenbach in der Schweiz den Müller-Thurgau kostete, war er davon überzeugt, dass diese Rebe die Rettung sein könnte. Allerdings bekam er die Einführung der Reben nicht gestattet und so entschloss er sich gemeinsam mit seinem Sohn Albert und zwei weiteren Komplizen 400 Rebstöcke mit dem Boot über den Bodensee nach Deutschland zu schmuggeln. Ein Jahr später wiederholten sie die Tour und Röhrenbach verteilt die Reben an interessierte Winzer. Erst 1949 wird der Müller-Thurgau offiziell in Deutschland angebaut und trägt zum Weinboom in unserem Nachbarland bei, wie Rainer Schäfer 2012 im Weinmagazin Vinum schreibt.

In Wädenswil beschäftigt man sich derzeit intensiv mit dem Vermächtnis Hermann Müller-Thurgaus, denn 2025 wäre sein 175. Geburtstag. Martin Wiederkehr freut sich über die neue Aufmerksamkeit für die Rebsorte: „Ich bin seit 42, 43 Jahren in diesem Geschäft. Es ist großartig zu sehen, dass man sich wieder für eine Sorte interessiert, die unsere Kultur widerspiegelt. Ein solches Kulturgut sollte man nie vergessen.“ Durch den Müller-Thurgau habe sich das gesamte Niveau der einheimischen Weine verbessert, so Wiederkehr. „Der Stock 58 wird auch heute noch genutzt. Wir machen immer noch die Weine daraus. Und wir haben aus diesem Stock in den letzten zwei, drei Jahren weitere 300 Stöcke veredelt und werden das auch weiterhin machen.“

Büste von Hermann Müller-Thurgau vor seinem Geburtshaus im schweizerischen Tägerwilen
Büste von Hermann Müller-Thurgau vor seinem Geburtshaus im schweizerischen Tägerwilen Foto: Wikicommons

Hermann Müller, Pionier und Vater des Rivaner

Hermann Müller kam vor 175 Jahren, am 21. Oktober 1850, im Schweizer Kanton Thurgau zur Welt. Er gilt nicht nur als Vater der Rivaner-Rebsorte, die in Deutschland und der Schweiz auch seinen Namen Müller-Thurgau trägt, sondern war ein Visionär, dessen Leistungen bis heute oft unterschätzt werden, wie Lukas Bertschinger, Präsident der Müller-Thurgau-Stiftung und des Vereins ErlebnisMüllerThurgau in der Januarausgabe der Zeitschrift Obst und Wein schreibt. Eine Zeitschrift, die es seit 161 Jahren gibt und deren Chefredakteur Müller-Thurgau zwischen 1891 und 1925 war. Für Bertschinger war Hermann Müller-Thurgau (den Zusatz seines Heimatkantons legte er sich bei seiner Rückkehr von Geisenheim in die Schweiz zu) ein Pionier der Pflanzenbauwissenschaften. Seine Arbeitsweise sei bereits vor 130 Jahren interdisziplinär gewesen. Er entdeckte unter anderem die Ursachen der alkoholischen Gärung in Fruchtsäften. Er verfeinerte das Verfahren der Pasteurisierung und ermöglichte so die Haltbarkeit von Fruchtsäften. Zudem trug er zum Verständnis der Epidemiologie von Rebkrankheiten bei und nutzte als Erster gezielt Hefekulturen, um den Geschmack des Weines zu beeinflussen. Müller-Thurgau starb am 18. Januar 1927 in Wädenswil. Sein Vermächtnis geht weit über die Züchtung des Rivaners hinaus. Aus diesem Grund finden in der Schweiz und in Deutschland das ganze Jahr über Veranstaltungen zu seinen Ehren statt. Mehr dazu lesen Sie hier