StandpunktWo wird die Weltwirtschaft im Jahr 2024 landen?

Standpunkt / Wo wird die Weltwirtschaft im Jahr 2024 landen?
Diese Forderung der FDP auf einem Wahlplakat vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt scheint sich zu erfüllen: Die Inflation ging letztes Jahr stärker zurück als erwartet Foto: dpa/Boris Roessler

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Eine weiche, holprige oder gar keine Landung: In seinem Beitrag geht Nouriel Roubini auf die verschiedenen Szenarien ein, die Ökonomen und Marktanalysten für das Jahr 2024 entworfen haben, und erklärt, welches davon seiner Ansicht nach aktuell am wahrscheinlichsten ist. Doch geopolitische Entwicklungen spielen eine Rolle.

* Zum Autor

Nouriel Roubini, emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Stern School of Business der New York University, ist Chefökonom und Mitbegründer von Atlas Capital Team.

Vor einem Jahr um diese Zeit erwarteten rund 85 Prozent der Wirtschaftswissenschaftler und Marktanalysten – mich eingeschlossen –, dass die US- und die Weltwirtschaft eine Rezession erleben würden. Die sinkende, aber nach wie vor hartnäckige Inflation deutete darauf hin, dass die Geldpolitik gestrafft würde, bevor beim Einsetzen der Rezession eine rasche Lockerung erfolgt; die Kurse an den Aktienmärkten würden fallen, und die Anleiherenditen würden hoch bleiben. Stattdessen geschah meist das Gegenteil. Die Inflation ging stärker zurück als erwartet, eine Rezession wurde vermieden, die Aktienkurse zogen an und die Anleiherenditen fielen, nachdem sie gestiegen waren.

Jede Prognose für 2024 ist folglich mit Bescheidenheit anzugehen. Die grundlegende Aufgabe ist dennoch dieselbe: Man beginnt mit einem Basisszenario, einem Aufwärts- und einem Abwärtsszenario und ordnet dann jedem dieser Szenarien zeitlich variierende Wahrscheinlichkeiten zu.

Das derzeitige Basisszenario vieler, wenn auch nicht aller, Ökonomen und Analysten ist eine weiche Landung: Die fortgeschrittenen Volkswirtschaften – angefangen bei den Vereinigten Staaten – vermeiden eine Rezession, aber das Wachstum liegt unter dem Potenzial und die Inflation sinkt weiter in Richtung des Zwei-Prozent-Ziels bis 2025, während die Zentralbanken möglicherweise im ersten oder zweiten Quartal dieses Jahres mit einer Senkung der Leitzinsen beginnen. Dieses Szenario wäre das beste für die Aktien- und Anleihemärkte, an denen in Erwartung desselben bereits eine Rally eingesetzt hat.

Ein positives Szenario ist eines „ohne Landung“: Das Wachstum bleibt – zumindest in den USA – über dem Potenzial und die Inflation geht weniger stark zurück als von den Märkten und der US-Notenbank erwartet. Die Zinssenkungen würden später und langsamer erfolgen als von der Fed, anderen Zentralbanken und den Märkten derzeit erwartet wird. Paradoxerweise wäre ein No-Landing-Szenario trotz des überraschend stärkeren Wachstums schlecht für die Aktien- und Anleihemärkte, weil es bedeutet, dass die Zinsen länger etwas höher bleiben werden.

Ein moderates Abwärtsszenario ist eine holprige Landung mit einer kurzen, flachen Rezession, die die Inflation schneller als von den Zentralbanken erwartet nach unten drückt. Eine Senkung der Leitzinsen würde früher erfolgen und statt der drei von der Fed angekündigten Senkungen um 25 Basispunkte könnte es die sechs geben, die die Märkte derzeit einpreisen.

Stärkere Rezession heute unwahrscheinlich

Natürlich könnte es auch zu einer stärkeren Rezession kommen, die zu einer Kredit- und Schuldenkrise führt. Doch während dieses Szenario im vergangenen Jahr aufgrund des Rohstoffpreisanstiegs nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine und einiger Bankenpleiten in den USA und Europa recht wahrscheinlich schien, wirkt es heute angesichts der schwachen Gesamtnachfrage unwahrscheinlich. Besorgniserregend wäre es nur, wenn es zu einem neuen großen stagflationären Schock käme, wie etwa einem Anstieg der Energiepreise infolge des Konflikts im Gazastreifen, vor allem, wenn dieser zu einem größeren regionalen Krieg eskaliert, in den die Hisbollah und der Iran verwickelt sind und der die Ölproduktion und -exporte aus dem Golf unterbricht.

Andere geopolitische Schocks, wie etwa neue Spannungen zwischen den USA und China, würden sich wahrscheinlich weniger stagflationär (geringeres Wachstum und höhere Inflation) als vielmehr kontraktiv (geringeres Wachstum und niedrigere Inflation) auswirken, es sei denn, der Handel wird massiv gestört oder Taiwans Produktion und Export von Halbleitern werden beeinträchtigt. Ein weiterer großer Schock könnte im November mit den US-Präsidentschaftswahlen erfolgen. Dies wird sich jedoch eher auf die Aussichten für 2025 auswirken, es sei denn, es kommt im Vorfeld der Wahl zu größerer politischer Instabilität in den USA. Aber auch hier würden politische Turbulenzen in den USA eher zu Stagnation als zu Stagflation führen.

Wenn ein geopolitischer Schock einen weiteren Inflationsschub auslöst, werden die Zentralbanken gezwungen sein, Zinssenkungen zu verschieben. Es bräuchte keine große Eskalation des Konflikts im Nahen Osten, um die Energiepreise in die Höhe zu treiben und die Zentralbanken zu zwingen, ihren derzeitigen Ausblick zu überdenken.

In Bezug auf die Weltwirtschaft sehen sowohl ein Szenario ohne Landung als auch ein Szenario einer harten Landung derzeit wie Extremrisiken mit geringer Wahrscheinlichkeit aus, auch wenn die Wahrscheinlichkeit eines ausbleibenden wirtschaftlichen Abschwungs (keine Landung) für die USA höher ist als für andere fortgeschrittene Volkswirtschaften. Ob es eine weiche Landung oder eine holprige Landung gibt, hängt vom jeweiligen Land oder der Region ab.

In den USA und einigen anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften sieht es so aus, als könnten sie durchaus eine weiche Landung erreichen. Trotz einer strafferen Geldpolitik lag das Wachstum 2023 über dem Potenzial und die Inflation ging weiter zurück, da die negativen Angebotsschocks aus der Pandemiezeit abklangen. In der Eurozone und im Vereinigten Königreich hingegen lag das Wachstum in den letzten Quartalen aufgrund des Inflationsrückgangs unter dem Potenzial nahe null oder negativ und ihnen könnte 2024 eine kräftigere Entwicklung entgehen, wenn die Faktoren anhalten, die zum schwachen Wachstum beitragen.

Erheblich höhere Schuldendienstkosten möglich

Ob die meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften eine weiche oder holprige Landung erleben werden, hängt von mehreren Faktoren ab. Zunächst einmal könnte sich eine geldpolitische Straffung, die mit einer gewissen Verzögerung einhergeht, im Jahr 2024 stärker auswirken als im Jahr 2023. Außerdem könnte die Refinanzierung von Schulden viele Unternehmen und Haushalte in diesem und im nächsten Jahr mit erheblich höheren Schuldendienstkosten belasten. Und wenn ein geopolitischer Schock einen weiteren Inflationsschub auslöst, werden die Zentralbanken gezwungen sein, Zinssenkungen zu verschieben. Es bräuchte keine große Eskalation des Konflikts im Nahen Osten, um die Energiepreise in die Höhe zu treiben und die Zentralbanken zu zwingen, ihren derzeitigen Ausblick zu überdenken. Und viele stagflationäre Megabedrohungen könnten mittelfristig das Wachstum senken und die Inflation ansteigen lassen.

Und dann ist da noch China, das bereits eine holprige Landung erlebt. Ohne Strukturreformen (die nicht in Sicht zu sein scheinen) wird sein Wachstumspotenzial in den nächsten drei Jahren unter 4 Prozent liegen und bis 2030 eher auf 3 Prozent sinken. Die chinesischen Behörden mögen es für inakzeptabel halten, dass das tatsächliche Wachstum in diesem Jahr unter 4 Prozent liegt, aber eine Wachstumsrate in Höhe von 5 Prozent ist ohne massive makroökonomische Impulse, die den bereits hohen Verschuldungsgrad auf ein gefährliches Niveau ansteigen lassen würden, einfach nicht zu erreichen.

China wird höchstwahrscheinlich ein moderates Konjunkturprogramm auflegen, das ausreicht, um das Wachstum bis 2024 leicht über 4 Prozent zu steigern. Derweil werden die strukturellen Wachstumsbremsen – die Alterung der Gesellschaft, der Schulden- und Immobilienüberhang, die Einmischung des Staates in die Wirtschaft und das Fehlen eines starken sozialen Sicherheitsnetzes – fortbestehen. Letztendlich könnte China eine harte Landung mit einer schweren Schulden- und Finanzkrise vermeiden, doch es dürfte eine holprige Landung mit enttäuschendem Wachstum bevorstehen.

Das beste Szenario für Vermögenswerte, Aktien und Anleihen ist eine weiche Landung, auch wenn dies inzwischen teilweise eingepreist sein dürfte. Ein Szenario ohne Landung ist gut für die Realwirtschaft, aber schlecht für die Aktien- und Anleihemärkte, weil es die Zentralbanken daran hindern wird, die Zinsen zu senken. Eine holprige Landung wäre schlecht für Aktien – zumindest bis die kurze, flache Rezession ihren Tiefpunkt erreicht zu haben scheint – und gut für Anleihekurse, da sie frühere und schnellere Zinssenkungen impliziert. Ein schwerwiegenderes stagflationäres Szenario wäre sowohl für Aktien als auch für Anleiherenditen offenkundig das Schlimmste.

Derzeit scheinen die ungünstigsten Szenarien am unwahrscheinlichsten. Doch vielerlei Faktoren, nicht zuletzt geopolitische Entwicklungen, könnten die diesjährige Prognose vermasseln.


Von Sandra Pontow aus dem Englischen übersetzt./ © Project Syndicate, 2024