DänemarkWo die Schulen bereits im April öffneten, vieles gut läuft – sich aber fast alles verändert hat

Dänemark / Wo die Schulen bereits im April öffneten, vieles gut läuft – sich aber fast alles verändert hat
Lehrerin Marie Kaas-Larsen unterrichtet ihre Schüler in einem Kopenhagener Park – und erfüllt damit eine Vorgabe der dänischen Regierung Foto: AFP/Thibault Savary

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Dänemark steht in der Corona-Krise gut da. Die Zahl der Neuansteckungen sinkt stetig. Und das, obwohl das Land seine Kindergärten und Grundschulen bereits am 20. April wieder öffnete. Was aber bleibt, sind Schulen, die nicht mehr viel mit dem zu tun haben, wie sie vor zwei Monaten noch waren.

Während alle Welt auf Schweden schaut, tut sich beim kleineren Nachbarn Dänemark Beachtliches. Das Land scheint die Verbreitung des Coronavirus im Griff zu haben, alle relevanten Faktoren sprechen dafür. Dabei sind Kindergärten und Grundschulen seit dreieinhalb Wochen wieder geöffnet. Die älteren Kinder und Jugendlichen bleiben bis zum kommenden Montag im Heimunterricht, erst dann müssen auch sie wieder zur Schule.

Es ist der umgekehrte Weg, den Luxemburg und so viele andere Europäer gegangen sind, die mit den älteren Kindern, vor allem mit den Abschlussklassen und den Oberstufen begonnen haben. Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, die selbst zwei Kinder im Teenageralter hat, erklärte diese bewusste Entscheidung bei der Ankündigung der Öffnungen am 15. April. „Das braucht ihr. Das brauchen wir alle“, sagte Frederiksen. Schulen und Betreuungsangebote für die Kleinen zu öffnen bedeute, dass „mehr Eltern mehr Ruhe bei der Arbeit zu Hause bekommen“.

„Einfach wird das nicht“: Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, Sozialdemokratin, 1977 geboren und selber Mutter, stimmte ihre Mitbürger auf schwierige, aber nötige Schritte ein 
„Einfach wird das nicht“: Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, Sozialdemokratin, 1977 geboren und selber Mutter, stimmte ihre Mitbürger auf schwierige, aber nötige Schritte ein  Foto: AFP/Philip Davali

Für insgesamt 650.000 Kinder in dänischen Schulen endete der wie in Luxemburg am 16. März auferlegte Lockdown damit am 20. April. Gleichwohl fanden die Kinder an diesem Montag eine neue schulische Realität vor. Ohne strenge Hygiene, Händewaschen und Abstandhalten ging gar nichts. Eltern verabschieden ihre Kinder seitdem in „Kiss and Go“-Zonen vor den Schulen. Maria Becher Trier, Journalistin bei der Fachzeitschrift Folkeskolen, zeigt sich gegenüber dem Tageblatt vor allem darüber überrascht, dass fast alle Eltern ihre Kinder gleich in die Schulen oder Kindergärten geschickt hätten. Vor der Öffnung hätten die meisten gedacht aus, nur jedes zweite Kind würde erscheinen. Dann seien fast alle gekommen. „Das war wirklich erstaunlich.“

Alles hat sich geändert, es ist in keiner Hinsicht mehr dieselbe Schule

Maria Becher Trier, Journalistin

Erstaunlich vor allem deshalb, weil sich das ganze Umfeld verwandelt hatte. Die Kinder gehen auch nur vier oder fünf Stunden am Tag in den Unterricht. „Alles hat sich geändert, es ist in keiner Hinsicht mehr dieselbe Schule“, sagt Maria Becher Trier. Eltern geben ihre Kinder im Zwei-Minuten-Rhythmus in Zelten vor der Schule ab, von da an sind sie auf sich alleine gestellt in diesem neuen Schulleben mit all seinen Restriktionen. „Die Eltern konnten ihnen nicht helfen, sie mussten es selber lernen“, sagt die Journalistin, die die Schulöffnungen in Dänemark von nahem begleitet hat. 

Andere Schulen, anderer Unterricht

Auch für die Lehrer begann damit ein veränderter Alltag. Weil wegen der Klassenteilungen mehr Personal gebraucht wurde, musste anderweitig rekrutiert werden. So unterrichten seit dem April teilweise Gymnasiallehrer morgens kleine Kinder in der Schule und die Oberstufen mittags noch kurz von zu Hause vom Laptop aus. Viele Lehrer hätten sich unwohl gefühlt im Hinblick auf eine mögliche Ansteckung, sagt Maria Becher Trier. Lehrer aus Risikogruppen hätten auch meist von daheim aus weiter unterrichten können. Aber immer sei das nicht gegangen, erzählt die Journalistin von einigen Fällen, die trotz begründeter Sorge in die Schule mussten.

Eltern müssen ihre Kinder, auch die kleinsten, bereits vor den Schulgebäuden in „Kiss and Go“-Zonen in die Obhut ihrer Lehrer übergeben 
Eltern müssen ihre Kinder, auch die kleinsten, bereits vor den Schulgebäuden in „Kiss and Go“-Zonen in die Obhut ihrer Lehrer übergeben  Foto: AFP/Thibault Savary

Um leichter Abstand zu halten, sollten Kindern in Kindertagesstätten jeweils sechs Quadratmeter zustehen. Eine Vorgabe, die nicht alle Gemeinden des Landes umsetzen konnten. Doch auch damit ist es nun vorbei. Nach drei Wochen wurden diese Regelungen gekippt. Was beibehalten wird, ist der Aufruf, den Unterricht so oft es geht nach draußen zu verlegen. Experten gehen davon aus, dass sich das Virus vor allem in geschlossenen Räumen einfacher verbreitet.

Einige hatten Angst vor der Öffnung 

Nicht nur Lehrer waren besorgt. Auf Facebook hatte sich rasch eine Gruppe gebildet, die übersetzt „Mein Kind soll kein Versuchskaninchen für Covid-19 sein“ heißt und mittlerweile rund 40.000 Mitglieder hat. Einen ersten Infektionsfall gab es dann doch in der Lehrerschaft. Kritik regte sich anschließend an der Informationspolitik der Schule und der Gemeinde, da nur Schüler und Personal informiert wurden, die engen Kontakt mit dem Lehrer hatten, und nicht die ganze Schule.

Auch der Körperkontakt sollte vermieden werden. So gut das nun einmal unter Kindern und zwischen Kindern und Lehrern geht. Dass das vor allem bei den Kleinsten fast unmöglich scheint, stritt die staatliche Gesundheitsbehörde von Beginn an nicht ab. Von offizieller Seite wird empfohlen, den Kontakt mit Kindern nicht zu vermeiden, da er schlichtweg nicht vermeidbar ist. Der körperliche Kontakt soll beschränkt werden, wenn das möglich ist, lautet die Empfehlung an die Erzieher in den Tageseinrichtungen.

In den Schulgebäuden musste vieles umgebaut und neu gedacht werden, um die Hygiene-Anforderungen zu erfüllen 
In den Schulgebäuden musste vieles umgebaut und neu gedacht werden, um die Hygiene-Anforderungen zu erfüllen  Foto: AFP/Thibault Savary

Maria Becher Trier betont das pragmatische Anpassen der Regeln an die Umstände. Anfangs hätten auch die Kleinsten Rutschen oder Schaukeln nicht anfassen dürfen. „Aber es sind kleine Kinder, die machen das, das war unmöglich“, sagt die Journalistin. Also ging man zu einem häufigeren Händewaschen über. Was jedoch ein neues Problem aufkommen ließ. Das viele Händewaschen führte bei vielen Kindern zu extrem trockener Haut, Ausschlägen und Risswunden. Woraufhin die Regeln für die Handhygiene wieder gelockert wurden.

Dänemarks kleinere Kinder gehen weiterhin in die Schule, ein normaler Unterricht ist das aber nicht. Trotzdem war es ein Kraftakt – vor allem in den beiden Wochen vor der Öffnung. Die Schulen mussten schließlich vollkommen neu hergerichtet werden. Möglichkeiten zum Händewaschen mussten aufgebaut werden, teilweise wurde neues Mobiliar gebraucht, um die anfangs geltenden zwei Meter Abstand zu garantieren, alle Räume mussten umfunktioniert werden.

„Bislang laufen die Dinge gut“, sagt der Epidemiologe

Dreieinhalb Wochen nach diesen Öffnungen sieht sich Dänemark in der Lage, die nächsten Schritte zu gehen. Neben den weiteren Schulöffnungen kommen ab Montag auch Restaurants und Cafés an die Reihe. Kleinere Geschäfte hatten in dem Land mit 6,8 Millionen Einwohnern durchweg geöffnet – vorausgesetzt die Hygieneregeln wurden eingehalten. Weiterhin gilt die Regel, dass Zusammenkünfte nur bis zu zehn Personen erlaubt sind. Die in kleinere Gruppen aufgeteilten Schulkinder müssen auch in den Pausen unter sich bleiben. Ebenfalls empfohlen wird, dass sich in der Freizeit nur Kinder aus einer Gruppe zum Spielen treffen. 

„Wir haben das Land klug geschlossen, nun müssen wir auch beim Öffnen klug handeln“, sagte Mette Frederiksen am Dienstag auf einer Pressekonferenz und kündigte eine „offensive Teststrategie“ an. Vor einer Woche hatte die Sozialdemokratin auf ihrer Facebook-Seite noch einmal betont, wieso das Land mit den kleineren Kindern begonnen hat. „Durch die Eröffnung der Tagespflege und Schulen für die Kleinkinder haben wir vielen Familien einen großen Teil des Alltags zurückgegeben“, schreibt Dänemarks Regierungschefin. Und auch die Eltern im Homeoffice seien entlastet.

Inzwischen sehen die Zahlen gut aus. Die Reproduktionszahl ist seit der Öffnung von Schulen und Einkaufszentren, die am 11. Mai aufsperrten, von 0,9 auf 0,7 gesunken. Die Zahl der nachgewiesenen Neuinfektionen geht seit einem Höchststand von 466 am 3. April mehr oder weniger kontinuierlich zurück – am 11. Mai waren es nur noch 30 –, obwohl inzwischen viel breiter getestet wird. Auch der dänische Epidemiologe Jens Lundgren sieht gegenüber dem Tageblatt keinen Grund zur Sorge. Bei keinem der Übertragungsindikatoren gebe es eine Zunahme, „bislang laufen die Dinge gut in Dänemark“, sagt der Wissenschaftler von der Universität Kopenhagen. Die Regierung hat für den 8. Juni neue, noch weitreichendere Öffnungen verkündet. Insgesamt wurden in Dänemark bislang 10.865 Ansteckungen festgestellt, 533 Menschen sind an Covid-19 verstorben.