Dienstag28. Oktober 2025

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„Wir sollten uns nicht selbst kleinreden“LuxDefence-Präsident André Wilmes über Verteidigung made in Luxembourg

„Wir sollten uns nicht selbst kleinreden“ / LuxDefence-Präsident André Wilmes über Verteidigung made in Luxembourg
Das Interview mit LuxDefence-Präsident André Wilmes bildet den Auftakt zu unserer Artikelserie über die luxemburgische Verteidigungsindustrie Montage: Tageblatt/Grafik

Die Verteidigungsausgaben steigen rasant und wenn es nach der Regierung geht, soll ein großer Teil in die heimische Wirtschaft fließen. Aber was ist das überhaupt, die luxemburgische Verteidigungsindustrie? Zum Auftakt unserer neuen Artikelserie: ein Gespräch mit André Wilmes, Präsident von LuxDefence, über die Vielfalt einer „stillen“ Branche und die Frage nach der „Goldrauschstimmung“.

Tageblatt: Was ist LuxDefence? Und was sind Ihre zentralen Aufgaben?

André Wilmes: Die LuxDefence wurde im Juni dieses Jahres gegründet als ein Ergebnis des Berichts „Lux4Defence“ der Handelskammer, zusammengestellt von Expertinnen und Experten aus dem Sektor. Am Ende standen zehn Empfehlungen und eine davon war, dass man auch hierzulande eine Föderation braucht von der Industrie, die im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich arbeitet, eine „National Defense Industry Association“. Andere Länder haben das auch, das ist gang und gäbe. Gegründet wurde LuxDefence von einer Gruppe an Leuten, die auch an diesem Bericht mitgearbeitet haben. Seitdem geht es zügig nach oben. Wir haben jetzt mehr als 65 Mitglieder. Unsere Mission war auch, uns breit aufzustellen. Unsere Unternehmen decken ein breites Spektrum ab: von klein bis groß, von jung bis sehr etabliert, von national bis international, von Techno-Start-ups bis zu Wartung, Transport und Logistik. Das ist eine Chance, aber auch eine Herausforderung, alles einigermaßen homogen unter einen Hut zu bekommen.

Serie: „Verteidigung made in Luxembourg“

Das Interview mit LuxDefence-Präsident André Wilmes bildet den Auftakt zu unserer Artikelserie über die luxemburgische Verteidigungsindustrie. In dieser Reihe wollen wir in regelmäßigen Abständen Unternehmen porträtieren, die in einem Bereich der Wirtschaft aktiv sind, über den gerade viel gesprochen wird, aber wenig bekannt ist.

Warum sollte ein Unternehmen Teil der LuxDefence werden? Was bringt das dem Unternehmen?

Wir haben uns drei Missionen, drei kurzfristige Aufgaben gesteckt. Es gibt noch mehr, aber das sind die dringlichsten. Erstens wollen wir die Interessen, die Belange, aber auch die Problematiken bündeln und repräsentieren, die Unternehmen vor Ort haben. Es gibt schon heute wesentlich mehr Aktivitäten und Kapazitäten in diesem Sektor, als den meisten bekannt ist. Das ist erst mal nicht verwunderlich, es ist eher ein diskreter Sektor. Es ist sehr viel Arbeit, die Firmen zusammenzuführen und Lieferketten aufzubauen: Wer kann was? Wer macht heute schon was? Wer will unbedingt wohin? Der Austausch über Hürden und Problematiken, über Erfahrungen. Das geben wir auch an die Regierung weiter. Das ist eigentlich die größte Mission. Unsere zweite Mission besteht darin, bei der externen Repräsentation zu helfen. Wir können dazu beitragen, dass es Visiten von Schwesterassoziationen bzw. Austausch mit anderen industriellen Gruppierungen gibt. Wir wollen externe Expertenkonferenzen nach Luxemburg holen. Die dritte Aufgabe betrifft das „Upskilling“, die Fortbildung. Wir organisieren Workshops für die Mitglieder: Wie gehe ich mit Sicherheitszertifizierung von Leuten, von Gebäuden um? Welche Sicherheitsbedenken gibt es, wenn ich zu einer Messe gehe oder im Hotel bin? Wie schreibe ich Anträge für den European Defence Fund? Wir arbeiten jetzt schon an einem Programm für fast ein ganzes Jahr.

Sicherheit spielt gerade im Verteidigungssektor eine noch größere Rolle?

Vergangene Woche wurde die Resilienzstrategie publiziert. Das sind natürlich Thematiken, die uns nicht unbekannt sind und uns auch am Herzen liegen. Cybersicherheit, aber auch physischer Schutz von Firmen, von Gelände, wo Sachen produziert werden, die vielleicht ein bisschen kritischer Natur oder strategisch interessant sind. Auch hier helfen wir mit Aufklärung und Unterstützung. Was kann ich machen? Worauf muss ich aufpassen?

Es werden aber auch tagtäglich mechanische Bauteile hergestellt in Luxemburg

Sie sind nicht nur Präsident von LuxDefence, sondern CEO der Firma Rafinex, die auch in dem Sektor arbeitet. Lässt sich das gut vereinbaren?

Das ist schon auch eine Herzenssache für mich, mich für den Sektor einzusetzen und ihn gut strukturieren zu wollen. Die Firma Rafinex kommt aus dem Physik- und Mathematikbereich, wir schreiben Software für Ingenieurkunden, die Produkte designen oder entwickeln. Wir schreiben Programme, die optimale Bauformen berechnen für mechanische Bauteile. Im zivilen Bereich reden wir da von Automobilchassis-Teilen, Radaufhängungskomponenten, Flugzeugbauteilen bis hin zu Satelliten. Vor vier, fünf Jahren ist die Luxemburger Verteidigung auf Rafinex zugekommen, ob wir uns nicht bei diesen europäischen kollaborativen Forschungsprojekten miteinbinden wollen. Wir arbeiten oftmals im Verbund mit anderen Firmen, die entweder eine neue oder spezielle Materialart haben oder ein neues Herstellungsverfahren oder einen neuen Prototyp, der gebaut werden muss. Das bedeutet, wir sind oft ein kleines Kernstück in einem weiteren Verbund. Deshalb kenne ich aber viele Firmen, ich weiß, welche Maschinen sie haben, was sie herstellen können und wollen. Rafinex ist zwar von der Größe her ein kleinerer Player, aber wegen unserer Rolle relativ gut vernetzt überall. Deshalb habe ich auch bei „Lux4Defence“ mitgeholfen. Alles, was Innovation, Tech-Transfer, Prototypenentwicklung betrifft, sind meine persönlichen Steckenpferde.

Doppelrolle als Verbinder in der Verteidigungsindustrie: André Wilmes, Präsident von LuxDefence und CEO von Rafinex
Doppelrolle als Verbinder in der Verteidigungsindustrie: André Wilmes, Präsident von LuxDefence und CEO von Rafinex Foto: Editpress/Julien Garroy

Sie sprachen eben von einem „stillen Sektor“, der nicht so oft in die Öffentlichkeit tritt. Wie sieht die luxemburgische Verteidigungsindustrie konkret aus?

Ob die Firmen jetzt sichtbar sind oder nicht, hängt sehr von deren internen Strategien ab. Manche wollen sehr laut sein und manche sind sehr prominent in der Presse vertreten. Andere sind eher stiller, weil das ihre Kunden so erwarten. Alles, was zu Space und Space Communication gehört, ist öffentlich sehr bekannt. Es werden aber auch tagtäglich mechanische Bauteile hergestellt in Luxemburg, von Saturne Technology zum Beispiel. Die machen mechanische Bauteile, die in den Triebwerken der Rafale verbaut sind (Anm. d. Red.: französisches Kampfflugzeug). Es gibt auch Firmen, die Ausrüstung für Soldaten herstellen. Neben dem Cyberbereich und Software Data Processing werden hier Bauteile hergestellt, die in Flugzeugen und Schiffen installiert sind. Insgesamt sollten wir uns also nicht selbst kleinreden.

Die Ausgaben für Verteidigung wachsen immer weiter, sie sollen auch in die heimische Wirtschaft fließen. Gibt es eine „Goldrauschstimmung“ in der Branche?

Das wird von außen oft vermutet. Die riesigen Budgets, die sie ansprechen, sind ja in dem Sinn aktuell nur angekündigt. Auch die Hunderte Milliarden von europäischer Seite. Diese Summen sind angekündigt, aber noch nicht umgesetzt und auch noch nicht real. Man muss sehr vorsichtig sein mit diesen großen Summen. Viele Budgets betreffen Märkte, da ist es nicht realistisch, als luxemburgisches Unternehmen heranzukommen. Da wollen wir unseren Mitgliedern und Neuzugängen helfen, den Unterschied zu machen zwischen dem, was angedacht ist, und dem, was auf dem Gelände tatsächlich realistisch ist.

Was sagen Sie Unternehmen, die in die Verteidigungsindustrie einsteigen wollen?

Wenn man in den Verteidigungssektor einsteigt, ist das kein „quick win“. Verträge brauchen länger als anderswo. Es gibt konkrete Herausforderungen. Mein Rat an Firmen, die zu uns kommen: Überlegt euch besonnen, wenn ihr einsteigt, weil dies ist dann ein Commitment für fünf, zehn, sogar 15 Jahre. Es braucht einiges an Investitionen, Arbeitszeit und Kapital. Es gibt Spezifikationen im Sektor, die respektiert und umgesetzt werden müssen. Natürlich sind die Märkte gerade am Wachsen, aber unsere Aufgabe als LuxDefence ist auch, mit Hilfestellungen Betriebe zu begleiten, falls diese in die Verteidigung einsteigen wollen, um diesen zu helfen, nicht unnötige Ressourcen zu investieren oder den falschen Hoffnungen hinterherzulaufen.

Zivile Produkte einfach so umzupolen und in die Verteidigungsbranche reinzubringen, ist nicht so einfach, wie sich das anhört

Bislang war „Dual Use“ immer das Stichwort, wenn es um den Aufbau der luxemburgischen Verteidigungsindustrie ging. Wird „Single Use“ in Zukunft eine größere Rolle spielen?

Das ist heute schon der Fall. Es gibt Firmen, die haben Produkte, die nicht für die zivile Anwendung gedacht sind. Das ist eine kleine Untergruppe. „Dual Use“ ist auch ein Thema, bei dem man aufpassen muss, was man sagt oder wie man es umschreibt. Es gibt noch keinen klaren Konsens bei den Begriffen: Was heißt denn „Dual Use“? „Civilian first, military second“? Oder umgekehrt? Die Sprache und das Verständnis sind noch dabei, sich zu entwickeln. In Luxemburg haben wir „Dual“ und „Single Use“ heute schon. Aber auch hier ein Wort der Vorsicht. Zivile Produkte einfach so umzupolen und in die Verteidigungsbranche reinzubringen, ist nicht so einfach, wie sich das anhört. Auch bei vermeintlich einfach zu übertragenden Dingen wie Software gibt es Sicherheitsanwendungen, Zertifizierungen und so weiter. Aber wenn Sie dann von Hardware sprechen, müssen Ihre Bauteile plötzlich Stanag-NATO-Standards entsprechen.

Die Herstellung von Waffen ist in Luxemburg gesetzlich nicht möglich. Verteidigungsministerin Backes hat angekündigt, dieses Gesetz genauer unter die Lupe zu nehmen. Setzt sich LuxDefence für eine Änderung ein?

Das Problem wurde aufgeworfen im Bericht „Lux 4Defence“. Das wurde von der Politik aufgenommen und daran wird aktiv gearbeitet. Wir als Industrie sind jetzt nicht blockiert, wir sind nicht im Stillstand. Für verschiedene Betriebe ist es tatsächlich ein Anliegen. Und da wird auf diese Lösung gewartet. Aber es ist nicht unser Anliegen, solchen komplexen Problematiken jede zweite Woche hinterherzujagen. Die Politik braucht ein bisschen Zeit und Raum. Dieses Gesetz ist ein Stein, der wichtig ist. Der ganze Sektor aber besteht aus 100 Steinen. Es ist ein Stein von vielen. Und der ist in guten Händen.

Mit welchen Herausforderungen sehen Sie sich in naher Zukunft konfrontiert?

Die Erwartungen sind hoch. Wenn Sie sich die Zeitschienen der EU von „Readiness 2030“ oder jüngst „Eastern Flank Watch“ und „European Drone Wall“ anschauen, dann ist das sehr, sehr ambitioniert gesteckt. Die Herausforderung, die nun kommt, ist die nächste Phase der Umsetzung, so schnell es geht, ohne zu übereilen. Die Zeit drängt, aber es braucht auch Zeit, um vor Ort Personal aufzubauen, Hallen aufzubauen, Produktionsstätten. Einige Zulieferer haben Lieferzeiten von zwei Jahren, wenn ich heute bestelle. Wir geben uns Mühe. Aber wenn ich Ankündigungen lese, dieses oder jenes soll 2027, 2028 operational sein: Für uns ist das morgen Abend. Vielleicht nicht morgen früh, aber morgen Abend oder übermorgen. Das ist echt eine Herausforderung.