Luxemburg-Stadt„Wir lassen niemanden im Regen stehen“: Hilfe für Jugendliche im „Péitrusshaus“

Luxemburg-Stadt / „Wir lassen niemanden im Regen stehen“: Hilfe für Jugendliche im „Péitrusshaus“
Eine Oase der Ruhe abseits vom Stress Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Der Boulevard de la Pétrusse ist eine der begehrtesten Adressen in der Hauptstadt. In einer der dortigen Villen, auf der Nummer 43, befindet sich das „Péitrusshaus“, ein Zufluchtsort für Jugendliche, die wegen Konflikten zu Hause nicht mehr wissen, wohin. Hier können sie sich beraten lassen; auch eine Unterbringung ist möglich.

Zu Hause ist der Konflikt mit den Eltern so eskaliert, dass der Jugendliche es nicht mehr aushält und woanders hin möchte. Seit 2012 gibt es für ihn mit dem „Péitrusshaus“, einem Projekt von „Solidarité jeunes“, eine Alternative.„Jugendliche, die spontan zu uns kommen und an die Tür klingeln, sind eher die Ausnahme“, sagt der Direktionsbeauftragte Gilles Gerges. 2022 machten sie rund 14 Prozent der Fälle aus. „Meistens nahmen die Jugendliche schon vorher über unsere App oder per Telefon Kontakt zu uns auf, oder sie wurden von anderen Sozialdiensten oder der Polizei geschickt oder gebracht.“ Die Gründe, warum Jugendliche sich ans „Péitrusshaus“ wenden, sind in der Mehrheit der Fälle Konflikte in der Familie sowie körperliche und psychische Gewalt ihnen gegenüber.

Das „Péitrusshaus“ auf 43, Boulevard de la Pétrusse
Das „Péitrusshaus“ auf 43, Boulevard de la Pétrusse Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Jugendliche im Alter von 12-21 Jahren erhalten Beratung und Betreuung in Krisensituationen. Für Minderjährige besteht zudem die Möglichkeit einer Unterkunft. Voraussetzung ist allerdings, dass sie gewillt sind, mit dem Betreuungspersonal zusammenzuarbeiten. Die Unterkunft erfolgt auf Wunsch des Betroffenen. Stimmen die Betreuer einer Unterbringung zu, dann müssen die Eltern oder Erziehungsberechtigten noch ihr Einverständnis geben. In der Regel bleiben die „Gäste“ fünf bis zehn Tage, bei Bedarf kann es auch länger sein. Die Jugendlichen können das Hilfsangebot jederzeit unterbrechen und später wieder aufnehmen. Es gibt allerdings auch rote Linien, bei deren Übertretung ein Rausschmiss droht, wie z.B. bei Gewalt gegen andere Personen. Nach dem Aufenthalt werden sie weiterhin ambulant betreut. 18- bis 21-Jährige können allerdings nur auf die ambulante Hilfe zurückgreifen, wie z.B. Unterstützung bei der Suche nach betreuten Wohnformen, oder familiäre Krisenbewältigung.

Gilles Gerges
Gilles Gerges Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Sechs Zimmer stehen zur Verfügung, zwei Einzel- und vier Doppelzimmer. Das Erste, was dort auffällt, ist die Ruhe. „Die ist sehr wichtig, sagt Gerges, die Jugendlichen sollen Abstand gewinnen vom Stress und Geschrei zu Hause.“ Sie und ihre Familien werden dabei unterstützt, ihre Krise schnell zu überwinden. Zudem wird mit dem Jugendlichen und seiner Familie ein Lebensprojekt erstellt. „Wir reden immer mit beiden Seiten.“

Tier- und Musiktherapie

„Wir begleiten und unterstützen die Jugendlichen und zeigen ihnen Möglichkeiten, doch wir helfen nicht. Von dieser Sozialromantik sind wir weg. Ein Jugendlicher, der auf der Straße ist und ich, der einen regelmäßigen Lohn erhält, wir bewegen uns in verschiedenen Realitäten. Ich kann versuchen, ihn so gut wie möglich zu verstehen, aber ich kann niemandem einen Platz in einem Foyer versprechen“, sagt Gerges

Der normale Alltag der Jugendlichen – Schule, Freizeitaktivitäten – läuft während ihres Aufenthaltes im „Péitrusshaus“ weiter. Den Jugendlichen werde nichts aufgezwungen, doch Routinen seien wichtig. Es gebe z.B. je nach Alter bestimmte Bettzeiten, dann muss auch das Handy abgegeben werden. Und es gibt gemeinsame Essenszeiten. „Wir haben zwar Richtlinien, aber alles ist je nach Situation verhandelbar; wir wissen ja nie, wo die Jugendlichen herkommen, was sie erlebt haben.“

Im „Péitrusshaus“ arbeiten Sozialarbeiter, Sozialpädagogen, Erzieher und Psychotherapeuten. Und zwei Hunde: ein Golden Retriever und ein Australian Shepherd. Die Tiere werden eingesetzt, wenn die Bindungsarbeit problematisch ist; und wenn sie trotzdem nicht gelingt, werden die Jugendlichen an das Team von „op de Patten“ weitergeleitet, eine auf Tierpädagogik spezialisierte Einrichtung, die ebenfalls ein Projekt von „Solidarité jeunes“ ist.

In der Ecke eines Gemeinschaftsraumes steht ein Klavier, das eine Therapeutin für Kunsttherapie benutzt. „Wir versuchen über alle möglichen Wege, eine Verbindung zum Jugendlichen aufzubauen.“ In aussichtslosen Fällen würden die Jugendlichen an die Jugendschutzbehörden weitergegeben.

Zukunftspläne

„Wir wollen noch mehr präventiv arbeiten. Es wird u.a. eine Person benötigt, die mehr Werbung für uns macht, damit die Betroffenen früher kommen. Oft tun sie es erst, wenn sie schon tief in einer Krisensituation stecken.“
Aktuell arbeite man nach dem Fail-First-System. „Bis dass dem Betroffenen geholfen wird, muss er schon sehr laut schreien, bis jemand reagiert.“ Die angebotene Hilfe fange bei kostengünstigeren Modellen an – und gehe dann zu kostenintensiveren über.

Dringend nötig sei ein Krisenmanager, wie er in einigen anderen Ländern existiere, der beim ersten Warnsignal zu den Jugendlichen nach Hause geht und schaut, wo das Problem ist. Eine frühzeitige Intervention würde Schaden vermindern und langfristig Kosten sparen, weil weniger Personal benötigt würde.

Es sei auch schon darüber nachgedacht worden, die Struktur zu regionalisieren: „Allerdings fehlt es an qualifiziertem Personal, welches in solchen Strukturen arbeiten will.“

Ähnliche Strukturen für ältere Jugendliche gibt es nicht. „Was fehlt, ist jemand, der dem 18- bis 21-Jährigen einfach nur mal zuhört“. Das Problem, weswegen junge Erwachsene am häufigsten das „Péitrusshaus“ aufsuchen, ist ein Wohnungsproblem. Oft bleibe für sie nur die Winteraktion oder das Foyer Ulysse, was aber nicht unbedingt die beste Adresse für sie sei, meint Gerges. Es herrsche diesbezüglich ein großer Mangel in Luxemburg. „Im ersten Semester dieses Jahres hatten wir schon 74 Anfragen von volljährigen Jugendlichen.“

Ein entsprechendes Konzept sei bereits lange ausgearbeitet, doch bis dato habe sich im zuständigen Bildungsministerium noch nichts getan. „Wir lassen aber hier niemanden im Regen stehen“, sagt Gerges. „Das Mindeste, was wir einem erwachsenen Jugendlichen mitgeben, ist eine Liste mit Adressen, wo er sich hinwenden kann.“

Das Projekt „Péitrusshaus“ wird vom Bildungsministerium finanziert, die Miete des Privathauses zahlt die Gemeinde. Weitere Informationen unter www.solina.lu; Tel.: 8002 6002

Der Gemeinschaftsraum wurde von Jugendlichen zusammen mit Schülern des „Lycée des arts et métiers“ gestaltet
Der Gemeinschaftsraum wurde von Jugendlichen zusammen mit Schülern des „Lycée des arts et métiers“ gestaltet Foto: Editpress/Hervé Montaigu