Wild Wild Wacken – Über die Schönheit des heiligen Metal-Bodens

Wild Wild Wacken – Über die Schönheit des heiligen Metal-Bodens

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Ein hundert-Seelendorf, 4 Tage, 5000 Liter Bier am Tag, 80000 Fans – das sind die beeindruckenden Zahlen des wohl mythosstärksten Festivals der Welt – Das Wacken Open Air im Norden Deutschlands. Zum 30. Jubiläum am kommenden Wochenende wird in unserer Festivalreihe der Blick zurückgeworfen, in Erinnerungen geschwelgt und die ein oder andere typische Wacken-Angewohnheit angeführt.

Als noch recht junger Metalhead fühlt man sich berufen, jede noch so kleine und oder belanglose Band kennenzulernen und allesmögliche über das Genre Metal, seine zahlreichen Subgenres, von Power- über Glam und Heavy- bis hin zu Black- und Deathmetal, zu wissen und auch nicht die kleinste Möglichkeit der Teilnahme an den großen und kleinen Metalmessen diesseits oder jenseits der hiesigen Landesgrenzen zu missen. Das Metalhammer-Magazin wird zur Pflichtlektüre für den geneigten Fan, quasi seine Bibel der Information, über alles was sich in und um den Metalkosmos dreht: Interviews, Historie, CD- und Konzertrezensionen und natürlich Festivalreportagen. Graspop, Hellfest, Summer Breeze, Party San, Rock Hard, die Liste ist lang, die Festivals sind überdimensional und doch sticht eines heraus: Das Wacken.

So dauerte es nicht lange und der junge Metalhead wünschte sich nichts sehnlicher als endlich diesen heiligen Metal-Boden betreten zu können und mit 79999 Gleichgesinnten die Zeit seines Lebens verbringen zu dürfen. 690 Kilometer liegen zwischen Heimat und Wunschort, 690000 Meter über Deutschlands Autobahnen bis man, zumeist nachts, den wunderschönen Hamburger Hafen passiert, kurz Halt macht, aussteigt und weiß, bald ist man da – im Schlaraffenland des Metals, zwischen tausenden Zelten, von überall her laut-dröhnender Musik und, man mag es kaum glauben, netten, zuvorkommenden, ausschließlich in schwarz, oder pink, wenn schwarz ausverkauft war…, gekleideten Menschen, die einzig und allein die gleichen Ziele verfolgen wie man selbst: Headbangen bis der Arzt kommt, in Moshpits Staub aufwirbeln und mittendrin statt nur dabei zu stehen und mit 79999 Genossinnen und Genossen „We´re not gonna take it“ von Twisted Sister oder „Ich will“ von Rammstein zu skandieren.

Barbarenspieß und Wacken-Nacken-Schwenker 

Wer nach Wacken fährt der weiß, getreu dem Motto „Wacken- Rain or shine“ ist wettertechnisch so ziemlich alles möglich: Vom Schnappatmen morgens um 07:00 Uhr im überhitzten Zelt bei bereits wärmeren 33 Grad bis hin zu eiskalten Nächten bei 5 Grad, in welchen das Zelt durch den einsetzenden Regen schnell von einem schlammigen Burgwall umgeben wirkt, und das eigene, zu rettende, kleine Schloss, wie der einzige Rückzugsort
ohne Wasser, Schlamm und Matsch wirkt, in dem man einige wenige Stunden Schlaf bekommt, bevor einen der Ruf des Metalgod wieder an die 11 Bühnen unterschiedlichster musikalischer Schwerpunktsetzung zieht und die meist schwer gewordenen Arme wieder mit goldener Flüssigkeit aufgetankt werden um etwa zu den seichten Klängen von Faun im mittelalterlichen Wackinger-Village oder den Tönen der traditionellen Blaskapelle in der Beergarden-Stage den nächsten Tag zu beginnen.

Mit Barbarenspieß und Wacken-Nacken-Schwenker zieht es jeden, früher oder später, vor die „Faster“, „Louder“ und „Harder“ – Hauptbühnen und es offenbart sich die unglaublich schöne Ästhetik des Hässlichen des Metalmekkas: Tausende Menschen, aus Mexiko, Neuseeland, Brasilien, Deutschland, Frankreich, den USA, Luxemburg… verschiedenste musikalische Präferenzen, unterschiedlichste Generationen feiern sich selbst zwischen Schlamm, Matsch und/oder Staub, rempeln versehentlich ihr Gegenüber an, entschuldigen sich und spendieren einen goldenen Becher, rennen im Kreis bis zum Umfallen immer getreu dem Motto „No one gets left behind“ , jeden stürzenden sofort aufhebend oder prallen, freundschaftlich, in der Wall of Death aufeinander, ohne jemanden bewusst zu verletzen.

Akzeptieren und aufnehmen

Einzig und allein das Gefühl des Zusammenseins, des Miteinanders auf dem Festival-Boden oder dem Camping-Platz zählt. Verirrt man sich in den zahllosen, labyrinthähnlichen Gängen der 25 Campingplätze so verfällt man nicht in Panik; irgendwo gewährt immer einer einem ein Platz im Camp, einen Platz am Grill oder sogar einen Platz im Zelt. Wer sich dennoch unwohl fühlen sollte, wird, mit Glück, Teil einer Bibellesung aus der vom religiösen Dorfverein verteilten „Metal-Bibel“ in der nicht nur Texte des alten sowie neuen Testaments stehen, sondern auch Schicksalsschläge und Rettungen gleichgesinnter Metalheads thematisiert werden und den Zusammenhalt dieser abwegigen, oftmals zu Unrecht dämonisierten, Community weiter stärken.

So ziemlich jede Band, mit Ausnahme der Giganten von Metallica, haben die Bühnen des Dorfes schon bespielt, einmalige Konzerte wie Rammstein samt Bühnenkonstruktion oder die Rückkehr von Savatage gehören ebenso zum musikalischen Aufgebot Konzerte wie Saxon, Doro oder Blind Guardian, die mittlerweile zu den Ehrengästen zählen und im 2- oder 3- Jahrestakt auftauchen. Dies stellt jedoch keinesfalls ein Problem dar, nein, im Gegenteil, sind sie Teil des jährlichen Homecomings geworden und man freut sich geradezu die alten Haudegen wiederzusehen und zu wissen es gibt sie noch immer.

Eine Tragödie war es, als mit Motörheads Lemmy Kilmister einer Ikone, gar eine Legende, der Metalcommunity verstarb und fast jede Band ihren eigenen Tribut zollten. Akzeptieren und aufnehmen gehören zu den schönsten Tugenden des Publikums und in jedem Jahr werden zig New-Comer-Bands Gehör geschenkt und sie werden Teil dieses Subgenres, dieser Community, dieses Mikrokosmos Wacken und so bleibt eigentlich nichts anderes zu sagen als Danke Wacken, danke für die Konzerte, danke für die Erinnerungen, danke für gratis Schlammbäder und kaputte Gummistiefel, danke für steckengebliebene Autos und verbrannte Haut und danke für die nächsten ausverkauften Jahrzehnte.

 

Von unserem Korrespondenten Sascha Dahm