Mittwoch31. Dezember 2025

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Schueberfouer Wie sich das Schaustellergewerbe veränderte, um attraktiv zu bleiben

Schueberfouer  / Wie sich das Schaustellergewerbe veränderte, um attraktiv zu bleiben
Die drei vom Rummelplatz: Angela Bruch (r.), Wiebke Bruch, Steve Kayser (l.) Fotos: Editpress-Archiv, Editpress/Marco Goetz, L’essentiel/Vincent Lescaut

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Die Fouer naht. Angela und Wiebke Bruch aus der bekannten Schaustellerfamilie sowie Historiker Steve Kayser erzählen über Tradition und Wandel. Ein Gespräch über die lebendige Geschichte der „Forains“ von gestern bis heute.

Angela und Wiebke Bruch sind zwei Frauen, die man auf den ersten Blick nicht unbedingt in einer Schaustellerfamilie vermuten würde. Wobei: Wie soll man sich „Forains“ eigentlich vorstellen?

Angela Bruch hat Abitur, studierte Jura. Bis die Oma anrief und bat, in den Semesterferien auf dem Platz auszuhelfen. Aus ein paar Wochen wurden Jahre, aus dem Ferienjob ein Beruf. Seit 1848 reist die Familie Bruch von Volksfest zu Volksfest. Damals ließ der Schneider und „Carousselführer“ August Ludwig Franz Bruch von seinem Bruder ein Karussell bauen: der Beginn einer Schausteller-Dynastie.

Heute ist Angela für die Alpina-Bahn zuständig, die größte transportable Achterbahn ohne Loopings. Der gut einen Kilometer lange Kurs braucht rund 14 Tage Aufbauzeit. Während der Fouer wird Angela oft an der Kasse sitzen; ihr Wohnwagen steht direkt hinter der Bahn. Ihre Nichte Wiebke betreut seit sieben Jahren das Riesenrad „Bellevue“. Nach dem Abitur absolvierte sie eine Banklehre und stieg dann ins Familiengeschäft ein. Sechs bis sieben Tage dauert der Aufbau des Riesenrads, das im Winter im Europapark steht – und dreht. Die Tradition reicht zurück bis 1896, als die Bruchs ihr erstes transportables Riesenrad bauten.

Das erste transportable Riesenrad der Familie Bruch
Das erste transportable Riesenrad der Familie Bruch

Ferien nur im Winter

Kindheit im Schaustellerleben. Für Angela hieß das, aus dem Internat zu den Eltern auf den Platz zu fahren, oft mit Freundinnen, die gleich ein paar Runden mitdrehen durften. Sie erinnert sich an ihren Großvater, der im Anzug mit Krawatte und Hut die Gäste empfing. Ein Kaufmann, der stets auf eine stimmige Kasse achtete. In kaufmännischer Hinsicht sei es in der Familie streng zugegangen, zielorientiert. Ferien gab es nur im Winter, mit Genehmigung der Schule hätten die Kinder dem Unterricht aber länger fernbleiben dürfen. Wiebke wuchs ohne Internat auf, oft betreut von Großeltern oder Kindermädchen; in den Ferien ging es auch für sie zu den Eltern auf den Rummel.

Die Luxemburger Fouer gefällt beiden: „Kompakt“ nennt Angela sie. Wiebke schätzt den Park gegenüber, in dem sie mit ihrem Hund spazieren kann. Vieles sei einfacher geworden. Früher hätten extra Leitungen gelegt werden müssen, für einen Festnetzanschluss des Telefons. Oder man habe Zeiten festgelegt, um aus einer öffentlichen Kabine oder einem Lokal zu telefonieren. Nicht immer sei man erreichbar gewesen. Dann kamen die Mobiltelefone. Technik habe den Alltag verändert, ebenso wie Vorschriften: klare Öffnungszeiten, strengere Genehmigungen. Vieles sei nachvollziehbar, so Angela.

Auch das Besucherverhalten habe sich verändert, sagt Wiebke. Obwohl Fahrgeschäfte ab 12 Uhr öffnen dürfen, kämen die meisten Gäste erst am Nachmittag gehen 15 Uhr. Steigende Energiepreise zwingen zur Effizienz: LED-Beleuchtung, Stromrückgewinnung.

Trotz aller Modernisierung bleibt etwas vom alten Nomadentum. Flexibel sein ist Trumpf. Darin unterscheiden sich die „Forains“ von heute kaum von ihren Vorfahren.

Ursprung der „Forains“

Für Historiker und Fouer-Experte Steve Kayser ist klar: Die Schaustellerei hat sich über die Jahrhunderte immer wieder verändert. Anpassen musste sie sich oft. Geblieben sei eines: der Schausteller als der eigentliche Macher eines Volksfestes, ein Showman, der sein Publikum mit Attraktionen anziehen möchte. „Hier liegt die eigentliche Definition des Schaustellers. Der Showman will zur Schau stellen. Das französische Wort ‚forain‘, seit dem 12. Jahrhundert belegt, leitet sich vom lateinischen ‚foras‘, ‚von draußen’, ab. Es spiegelt den fremdartigen Reiz jener fahrenden Volksbelustiger, die in die Städte kamen. Im Mittelalter traten sie am Rande der aufblühenden Jahrmärkte und Messen auf, so auch bei der 1340 gegründeten Schueberfouer, und boten Ablenkung neben dem Handel.“

Der Schausteller war, ist und bleibt ein Showman

Steve Kayser, Historiker und Fouer-Experte

Bunt sei das Repertoire gewesen: „Artisten und Akrobaten, Bärenführer und Possenreißer, Spielleute und Quacksalber. Seit dem 9. Jahrhundert fasste man sie unter dem Begriff Gaukler zusammen.“ Die intolerante mittelalterliche Gesellschaft habe die Schausteller dann marginalisiert. „Sie brachte diese nur allzu oft mit unehrlichen Berufen in Verbindung. Vorurteile und Diskriminierung wurden für die Schausteller zur bitteren Realität bis ins 20. Jahrhundert und sogar bis in die Gegenwart.“

Das aufblühende Städtewesen und die Kriegswirren der Neuzeit hätten auch die Schaustellerei verändert, so Steve Kayser: „Der wirtschaftliche Einfluss der großen Märkte und Messen schwand. Das Belustigungselement trat in den Vordergrund, das Unterhaltungsangebot stieg. Die große Wende kam mit der Industrialisierung. Aus den Jahrmärkten und Messen wurden nun regelrechte Volksfeste. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts tauchten die ersten Fahrgeschäfte auf. Zunächst wurden sie von Wirtsleuten am Rande der Veranstaltungen betrieben. Mit Erfolg. Es dauerte nicht lange, bis auch Neueinsteiger, Handwerker oder auch Bauern, den Sprung wagten. So entstand eine neue Generation von Schaustellern. Sie wurden im französischen Sprachgebrauch als ‚industriels forains‘ bezeichnet.“

Die Schausteller hätten anfangs viele ihrer Attraktionen noch in Eigenregie gebaut: „Als sich nach 1870 eigenständige Karussellfabriken entwickelten, konzentrierten sich die Schausteller auf das Betreiben und die Vermarktung ihres Geschäftes.“

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hätten sich die Schausteller in Genossenschaften organisiert, so Kayser: „Innerhalb ihrer Gemeinschaft gerieten allerdings die Nachfahren der ursprünglichen Reisenden ins Hintertreffen. Viele von ihnen traten weiter als Artisten und Akrobaten, sei es in Schaubuden oder in den aufkommenden Zirkussen, auf. Den Sprung in die neue Welt schafften nur wenige. Bis heute halten sie innerhalb der Schaustellerei als sogenannte Komödianten einen Sonderstatus.“

Anerkennung für Berufsstand

Heute scheint der Schausteller vor allem Unternehmer zu sein, aktiv in einer Freizeitbranche, die vor Angeboten überquillt. Wer bestehen wolle, müsse sich ständig neu erfinden. Das sei nichts Neues für die Branche: „Es bleibt allerdings zu hoffen, dass es den Schaustellern gelingen wird, ihren Berufsstand auch als solchen, samt einer angepassten Ausbildung, anerkennen zu lassen. Das würde ihnen einen gewissen Grad an existenzieller Sicherheit verschaffen, der, gekoppelt an die kulturelle Anerkennung seitens der Unesco in Belgien und Frankreich, hoffentlich in ganz Europa und darüber hinaus zukunftsbestimmend wäre.“

Eines wird laut Historiker und Fouer-Experte Steve Kayser bleiben: „Der Schausteller bringt Menschen zusammen und bietet ihnen einen eigens dazu strukturierten Ort mit der Möglichkeit, hier über das Alltägliche hinauszuschweifen. Er war, ist und bleibt ein Showman.“