Montag27. Oktober 2025

Demaart De Maart

SpanienWie Migranten ein sterbendes Dorf retten – ein Modell für Europa?

Spanien / Wie Migranten ein sterbendes Dorf retten – ein Modell für Europa?
Die Migranten des Accem-Aufnahmeheims brachten neues Leben in das spanische Dorf Burbáguena Foto: Accem

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Während vielerorts in Europa die Angst vor Migration wächst und rechte Parteien mit populistischen Parolen Erfolge feiern, zeigt ein kleines Dorf in Spanien, dass Migration auch eine Chance sein kann.

Burbáguena – ein Ort in der nordspanischen Provinz Teruel, wie viele andere vom Ausbluten bedroht – hat sich dank neuer Bewohner grundlegend verändert. Heute gilt Burbáguena als Vorzeigemodell dafür, wie Migration neues Leben in ein sterbendes Dorf bringen kann.

Noch vor wenigen Jahren drohte die Gemeinde in der ländlichen Region Aragonien zu veröden. 2019 lebten gerade einmal 200 Menschen in Burbáguena. Es fehlte an jungen Familien, an Arbeitskräften, an Zukunftsaussichten. Dann kam die Wende: Mit der Eröffnung eines Aufnahmezentrums für Migranten, Geflüchtete und Asylsuchende durch die spanische Hilfsorganisation Accem im Jahr 2021 begann ein neuer Abschnitt in der Geschichte des Dorfes.

Seitdem wurden über 1.000 Einwanderer in der Einrichtung betreut. Rund 100 von ihnen haben sich anschließend dauerhaft in der Region niedergelassen. Dank der zugewanderten Bürger wächst die Einwohnerzahl Burbáguenas. Heute wohnen dort wieder nahezu 350 Menschen – ein Plus von mehr als 70 Prozent in nur vier Jahren.

„Was das für Burbáguena bedeutet, ist schlicht: Leben. Leben auf der Straße, in den Häusern“, freut sich Bürgermeister Joaquín Peribáñez. Wo zuvor fast schon gespenstische Stille herrschte, hört man heute wieder Stimmen und man sieht neue Gesichter. Eine Erfolgsgeschichte, wie der Bürgermeister betont: „Sagen wir es so: Die Tatsache, dass es keine schlechten Nachrichten gibt, ist die beste Nachricht”, erklärte Peribáñez im Radiosender Ser.

Der positive Einfluss der aus Afrika, Lateinamerika oder der Ukraine zugewanderten Neubürger ist überall spürbar. Der schon von der Schließung bedrohte Dorfladen öffnet nun regelmäßig, ebenso die Bäckerei und die Apotheke. Es gibt wieder einen Schulbus und eine Kinderkrippe – Versorgungsdienste, die bereits geschlossen waren, weil es keine Kinder mehr gab. Mit dem Zuwachs für die kleine Dorfgemeinschaft kamen wieder junge Menschen. Mit ihnen kehrten nicht nur Leben und Perspektive zurück, sondern auch wirtschaftliche Impulse. Es entstanden sogar neue Jobs.

Zuwanderer schließen Personallücken

Was ebenfalls bemerkenswert ist: Das Zusammenleben funktioniert ohne Konflikte. Es herrsche „Normalität“ im Dorf, heißt es im Rathaus. Die Einwanderer hätten keinerlei Probleme verursacht und sich vollständig ins Dorfleben integriert. Sie nehmen an den Festen teil, plaudern mit den Einheimischen und helfen bei nachbarschaftlichen Aktivitäten. Ein besonders sichtbares Zeichen dieses Miteinanders: Auf dem Dorfplatz spielen einheimische sowie zugewanderte Kinder Seite an Seite.

Zum Erfolg der Integration trug bei, dass es im Dorf und in der ländlichen Umgebung Arbeit gibt. „Wir sind gastfreundlich. Und das lohnt sich – denn Arbeitskräfte werden dringend gebraucht“, sagt Bürgermeister Peribáñez. Ein in der Nähe liegendes Seniorenheim konnte mit den Zuwanderern Personallücken beim Pflegepersonal schließen. Auch in den Betrieben der Land- und Viehwirtschaft kamen etliche Migranten unter. Sie übernahmen Tätigkeiten, für die sich in dem abgelegenen, überalterten Landkreis keine einheimischen Arbeitskräfte fanden.

Heute verdankt Spanien vieles den Beiträgen der Migranten, die hergekommen sind, um hier ihr Leben aufzubauen

Pedro Sánchez, spanischer Premierminister

Viele der Neuankömmlinge flohen vor Krieg, Armut oder politischer Verfolgung. Einige überquerten das Mittelmeer in kleinen Booten, andere kamen mit dem Flugzeug oder über die Landgrenze nach Spanien. Peribáñez: „Wenn man hört, was diese Menschen erlebt haben, läuft es einem eiskalt den Rücken runter.“

Das Projekt in Burbáguena steht in krassem Gegensatz zur Realität in anderen Teilen Spaniens, wo Migration zuweilen mit Angst, Vorurteilen oder sogar offener Gewalt begegnet wird. In der Kleinstadt Torre Pacheco in der Region Murcia kam es vor Kurzem zu rassistischen Übergriffen, die landesweit Entsetzen auslösten. Dort machten rechtsextreme Gewalttäter Jagd auf Migranten, nachdem ein einheimischer Rentner von einem Nordafrikaner zusammengeschlagen worden war.

Spanien wächst wegen Migration

Migration als Möglichkeit, um der Entvölkerung des Hinterlands entgegenzusteuern: Spaniens sozialdemokratischer Premier Pedro Sánchez hat diese Chance erkannt. „Fast die Hälfte unserer Gemeinden ist vom Aussterben bedroht“, sagte er in einer Grundsatzrede zum Thema Einwanderung. Viele ländliche Schulen stünden kurz vor der Schließung, „weil es an Kindern fehlt“. In diesem Zusammenhang sei Migration nicht das Problem – sondern Teil der Lösung.

Nicht nur die ländlichen Regionen profitieren von einer klug gesteuerten Migrationspolitik. Auch generell gewinne Spanien, dessen Wirtschaft überdurchschnittlich wachse. Sánchez: „Heute verdankt Spanien vieles den Beiträgen der Migranten, die hergekommen sind, um hier ihr Leben aufzubauen.“ Die große Mehrheit der Zuwanderer und Asylsuchenden stammen aus den spanischsprachigen Ländern in Lateinamerika, was die Integration vereinfacht.

Spaniens Zentralbank bestätigte dieser Tage, dass die Migration ein tragender Pfeiler des ökonomischen Erfolgs des Landes ist. Mehr als 1,5 Millionen Zuwanderer kamen seit 2020 ins Land. In einer alternden Gesellschaft mit schrumpfender Erwerbsbevölkerung sorgen die Migranten für eine Verjüngung des Arbeitsmarkts und tragen zur Finanzierung der Sozialsysteme bei, heißt es in einer Studie der Zentralbank. Das Resümee: Spanien wächst nicht trotz, sondern wegen der Migration.