OrganspendeWie JEM II reloaded + ein zweites Leben geschenkt bekam

Organspende / Wie JEM II reloaded + ein zweites Leben geschenkt bekam
Jean-Marie Backes bei seinen Zitrusbäumen: Vor genau zehn Jahren bekam er dank einer Spenderleber ein neues Leben geschenkt  Foto: Editpress/Tania Feller

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Vor genau zehn Jahren sprang Jean-Marie Backes dem Tod noch gerade so von der Schippe. Eine Lebertransplantation rettete sein Leben. 

Jean-Marie Backes und seine Frau Anny sind wie so oft in ihrem Garten anzutreffen. Gärtnern ist ihre große Leidenschaft. Zitronen wachsen dort. Die hat ihr Sohn Claude, von Beruf Busfahrer, vor einiger Zeit auf einer Fahrt nach Italien aus der Gegend des Vesuvs mitgebracht. Die Kakteen sind das Hobby von Anny, die pflegen und hegen die beiden seit über 40 Jahren gemeinsam. 

Der Garten in seinem Haus in Hautcharage ist Jean-Marie Backes Refugium. Dass er sich überhaupt noch an ihm erfreuen kann, gleicht einem kleinen Wunder. Denn vor genau zehn Jahren war er so gut wie tot, ehe ihm eine Spenderleber ein zweites Leben schenkte. Seitdem unterschreibt er seine Mails mit „JEM II reloaded +“. JEM, das war sein Kürzel als Journalist des Tageblatt. Jahrzehntelang war Backes als Lokalkorrespondent in Gemeinderäten, Generalversammlungen und auf „Dëppefester“ unterwegs, ehe er im Medienhaus fest angestellt wurde. Heute schreibt er in erster Linie Bücher im Eigenverlag. 

„Arschloch sage ich zu niemanden mehr, auch nicht im Fußballstadion. Es könnte ja sein, dass es sich um Familienangehörige eines Organspenders handelt“, sagt Backes. Genau wie das Kürzel JEM war dieser Ausdruck so etwas wie ein „Markenzeichen“ des Journalisten. Die Redaktionskollegen von damals können das bezeugen. Der Kraftausdruck fiel regelmäßig und kam von ganzem Herzen, meist nachdem JEM nach einem journalistisch wenig befriedigenden Gespräch mit einem Politiker oder Beamten den Telefonhörer auf die Gabel knallte.       

„Huet en endlech opgehale mat drénken?“

Sein Leben änderte sich 2010. Dabei sollte es ein freudiges Jahr werden, schließlich stand die Pensionierung an. Viel Zeit für Garten und Familie, viel Zeit zum Schreiben von Büchern. „Mit ist es schleichend schlechter gegangen. Ich war oft müde und mir war ab und zu schlecht. Ich habe das zunächst als Alterserscheinung gesehen“, erinnert sich Jean-Marie Backes. Sein Hausdoktor schickte ihn zu Spezialisten ins CHL. Dort bekam er Gewissheit. Seine Leber war in einem schlechten Zustand. Und das, obwohl er nie in seinem Leben getrunken hatte. Den Ehrenwein nach den Versammlungen, die er als Korrespondent besuchte, hatte er stets abgelehnt. Was ihm die Ärzte allerdings nicht glaubten. Ein Spezialist im CHL wollte seine Akte nicht übernehmen. Ein anderer flüsterte seiner Frau Anny nach einer Konsultation, zu der sie ihren Mann begleitet hatte, im Herausgehen zu: „Huet en endlech opgehale mat drénken?“

Unter dem Strich schienen ihn die Ärzte nicht sonderlich ernst zu nehmen. Das Mitgefühl mit einem vermeintlichen Alkoholiker, der seine Leber selbst zerstört hat, hält sich auch im Kreis der weißen Kittel in Grenzen. Genauer hingeschaut wurde erst, als sich Backes im September 2011 in der Universitätsklinik in Straßburg untersuchen ließ. Dort stellte man fest, dass andere Werte, die auf Alkoholmissbrauch schließen lassen, bei Jean-Marie Backes völlig in Ordnung waren. „Da stimmt etwas nicht, sagte der Arzt“. Trotzdem kam Backes nicht auf die Transplantationsliste, er war noch nicht krank genug. 

Zurück in Luxemburg, nahm sich der Petinger Arzt Gennaro Taddei dem Fall an. Die Diagnose folgte: Backes hatte eine autoimmune Leberzirrhose. Es ging ihm immer schlechter, seine Leber war inzwischen kaputt und konnte die Giftstoffe nicht mehr verarbeiten. Sie gerieten ins Gehirn. Dummheiten habe er damals gemacht, so umschreibt er es. Eine hepatische Enzephalopathie nennen das die Ärzte. Schädliche Stoffe gelangen über das Blut vermehrt ins Gehirn und beeinträchtigen die Hirnfunktion. Störungen der Feinmotorik, Konzentrationsschwächen und Persönlichkeitsveränderungen sind die Folgen. „Ich konnte weder gehen noch stehen und hatte Blödsinn im Kopf“, erinnert sich Jean-Marie Backes. In dieser Zeit hatte seine Familie viel Geduld. Seine Frau Anny und die Kinder Claude und Chantal standen trotz seines merkwürdigen Verhaltens bedingungslos zu ihm. Genau wie sein Bruder Nico und Ehefrau Nicole. „Ohne meine Familie wäre ich jetzt nicht mehr hier. Ich hätte aufgegeben“, sagt Jean-Marie Backes heute.  

Noch zwei Wochen zu leben

Ende des Jahres schickte ihn Dr. Taddei ins Transplantationszentrum von Lüttich zu Professor Olivier Detry. Am 27. Januar 2012 wurde er auf die Liste von Eurotransplant gesetzt (siehe nebenstehenden Artikel). Wenig später ging nichts mehr, die Leber war total zerstört. Dr. Taddei schickte ihn mit der Ambulanz zurück nach Lüttich. „Ich will, dass er Sie in diesem Zustand sieht, sagte er zu mir“, erinnert sich Backes. Professor Detry stellte die Dringlichkeit einer Transplantation fest. Ohne hätte Backes noch zwei Wochen zu leben gehabt. Am 26. März kam der erlösende Anruf, eine Spenderleber war gefunden. „Es war eine Riesenerleichterung, aber auch gleichzeitig eine fürchterliche Angst“, sagt Jean-Marie Backes.      

Vom 27. auf den 28. März wurde er operiert. Die OP dauerte die ganze Nacht. Backes wachte auf der Intensivstation auf und blickte ins Gesicht seiner Frau Anny und seines Sohns Claude. Diesen Moment wird er nie wieder vergessen. Tochter Chantal kam am Folgetag nach Lüttich, sie studierte zu diesem Zeitpunkt in Hamburg. Er kam auf ein normales Zimmer. Nach einigen Tagen hatte er einen Rückschlag. Er vertrug eines der vielen Medikamente nicht, die er brauchte, damit sein Körper das fremde Organ nicht abstößt. Das Immunsystem des Patienten muss bei einer Transplantation komplett heruntergefahren werden. Bei Jean-Marie Backes ging alles gut. Zurück in Luxemburg schuftete er zunächst sechs Monate lang im Rehacenter am Muskelaufbau. Durch die lange Krankheit war sein körperlicher Zustand schlecht.   

Umso besser aber war seine geistige Verfassung. Er wusste genau, dass ihm ein zweites Leben geschenkt wurde. Von wem, allerdings nicht. In Europa erfährt man den Namen des Spenders nicht. Backes weiß nur, dass es ein 70-Jähriger war, von dem er die Leber erhielt. „Ich habe dem Arzt nur gesagt, dass er den Angehörigen doch bitte berichten möge, dass die Transplantation ein Erfolg war und dass es mir gut gehe.“ So makaber es klingt, der März und April sind „gute“ Monate für Menschen, die auf ein Spenderorgan warten. Denn es ist die Zeit, in der sich die tödlichen Motorradunfälle häufen. Und bei derartigen Unglücken bleiben die Organe des Getöteten oft unversehrt.  

Mit solcher Nüchternheit kann man das Leben betrachten, wenn man dem Tod gerade noch von der Schippe gesprungen ist. So wie Jean-Marie Backes. Der muss zehn Jahre nach der Transplantation „nur“ noch sieben Medikamente täglich nehmen. Die Spenderleber hat sein Körper definitiv angenommen. Vor vier Jahren sagte ihm Professor Detry, dass er nicht mehr wegen der Leber sterben werde, höchstens wegen etwas anderem. Geht es nach der Familie Backes, dann hat das Zeit. Jean-Marie feiert im Mai seinen 69. Geburtstag, JEM II reloaded + an diesem Sonntag seinen zehnten. „Ich sehe die Sachen heute nicht mehr so eng und rege mich nicht mehr so schnell auf“, wiederholt er zum Abschluss. Und natürlich brauchen die Kakteen und Zitronen auch in den kommenden Jahren Pflege. Außerdem ist das nächste Buch bereits in Arbeit und seiner Familie möchte Jean-Marie Backes noch eine Menge zurückgeben.

Rückhalt in schlimmen Zeiten. Ohne Frau Anny und seine Kinder wäre Jean-Marie Backes eigenen Angaben nach heute nicht mehr am Leben.
Rückhalt in schlimmen Zeiten. Ohne Frau Anny und seine Kinder wäre Jean-Marie Backes eigenen Angaben nach heute nicht mehr am Leben. Foto: Editpress/Tania Feller

LINK Luxemburg steht in Sachen Organspenden seit Jahren miserabel da – warum das so ist, lesen Sie hier.