Freitag31. Oktober 2025

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StandpunktWie der UNO-Sicherheitsrat zu reformieren wäre

Standpunkt / Wie der UNO-Sicherheitsrat zu reformieren wäre
Der Sicherheitsrat tagt zur Situation im Nahen Osten  Foto: Getty Images via AFP

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Als führende Politikerinnen und Politiker aus aller Welt im Rahmen der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York zusammenkamen, entwickelte sich die Aussicht auf eine Reform des Sicherheitsrats zu einem wichtigen Diskussionsthema. Eine zentrale Frage lautet, ob der Sicherheitsrat durch mehr ständige Mitglieder erweitert werden sollte.

Befürworter einer Erweiterung argumentieren, dass der Sicherheitsrat durch die Einbeziehung von Ländern wie Indien, Brasilien oder Japan die gesamte Mitgliedschaft der Vereinten Nationen besser abbilden würde. Kritiker warnen jedoch davor, dass die Aufnahme weiterer ständiger Mitglieder mit Vetorecht den Sicherheitsrat lähmen und ihn noch ineffizienter machen könnte, als es jetzt schon der Fall ist. Darüber hinaus gibt es 22 Länder, die mehr Einwohner haben als Frankreich, das kleinste der derzeit fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats. Zu dieser Ländergruppe gehören Indien, Brasilien, Japan, Indonesien, Pakistan, die Philippinen, Nigeria, Deutschland, Mexiko und die Türkei. Sollten neue ständige Mitglieder hinzukommen, würden wohl weitere Begehrlichkeiten in Richtung Erweiterung folgen.

Obwohl jedes der beiden Argumente für sich überzeugend ist, muss eine Reform nicht unbedingt nach einem Entweder-Oder-Muster ablaufen. Auf Grundlage einer Überarbeitung der Struktur und des Vetosystems des Sicherheitsrats kann dieser sowohl repräsentativer als auch effizienter gestaltet werden.

Vetos im Sicherheitsrat

Angesichts der anhaltenden Kriege und Konflikte von heute ist eine Reform dringend erforderlich. Das Vetorecht der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats schränkt die Handlungsfähigkeit der UNO bei großen internationalen Krisen erheblich ein, selbst wenn es breite globale Unterstützung für Interventionen gibt.

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Zwischen 1946 und 1969 legte die Sowjetunion 93 Prozent aller Vetos ein, oft um die Aufnahme neuer UNO-Mitglieder zu blockieren

Ein typisches Beispiel ist der Krieg in der Ukraine. Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Jahr 2022 wurden UN-Sanktionen durch das Veto Russlands im Sicherheitsrat verhindert. Das ist einer der Gründe, warum die Europäische Union und die Vereinigten Staaten einseitige Sanktionen verhängt haben, bei denen die Interessen anderer Länder oft keine Berücksichtigung finden. Obwohl sich einige Länder dem Druck beugen, leidet die Wirksamkeit der Sanktionsmaßnahmen ohne die Zustimmung der UNO erheblich.

Das Vetosystem hat seine Wurzeln in der Realpolitik der Nachkriegszeit. Bei der Gründung der Vereinten Nationen bestand die Sowjetunion auf einem Vetorecht im Sicherheitsrat, da sie befürchtete, von den USA und ihren Verbündeten überstimmt zu werden. Der damalige US-Präsident Harry Truman forderte dasselbe Recht und warnte, dass der amerikanische Senat die Mitgliedschaft der USA in den Vereinten Nationen ohne Vetorecht nicht billigen würde, so wie Woodrow Wilsons Bemühungen zur Gründung des Völkerbundes nach dem Ersten Weltkrieg abgelehnt wurden. Zwischen 1946 und 1969 legte die Sowjetunion 93 Prozent aller Vetos ein, oft um die Aufnahme neuer UNO-Mitglieder zu blockieren. Während die UdSSR regelmäßig von den USA unterstützte Beitrittskandidaten ablehnte, übten die USA sechsmal ihr Vetorecht gegen die Aufnahme Vietnams aus. Seit 1970 machten die USA jedoch mehr Gebrauch von ihrem Vetorecht als jedes andere ständige Mitglied, oft um Israel vor kritischen Resolutionen zu schützen.

Zunehmend als unfair und überholt angesehen

Heutzutage stehen viele Vetos im Sicherheitsrat in krassem Gegensatz zu den Ansichten der breiten Mehrheit der internationalen Gemeinschaft. Diese Diskrepanz hat zu weit verbreiteter Frustration geführt, und das Vetosystem wird zunehmend als unfair, unethisch und überholt angesehen.

Da die derzeitige Organisationsstruktur des Sicherheitsrats bereits die Möglichkeiten zur Erfüllung seines Mandats und zur Wahrung des Weltfriedens untergräbt, mag die Erweiterung um zusätzliche ständige Mitglieder kontraproduktiv erscheinen. Deshalb muss jede Erweiterung des Rates mit sinnvollen Reformen des Vetosystems einhergehen, um mehr Repräsentativität und Effizienz zu gewährleisten.

Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, besteht darin, den Sicherheitsrat auf 20 Mitglieder zu erweitern, von denen zehn ständige Sitze innehaben. Gleichzeitig könnte eine qualifizierte Mehrheit – beispielsweise aus 16 Stimmen bestehend – ein Veto eines ständigen Mitglieds aufheben. Durch diese Änderung bliebe das Vetorecht erhalten, ohne dass es zwangsläufig zu mehr Pattsituationen kommt. Um zu verhindern, dass neu hinzugekommene ständige Mitglieder das System missbrauchen, könnte ihnen die Mitgliedschaft ohne Vetorecht gewährt werden.

Beide Reformen gleichzeitig umsetzen

Freilich wäre es eine Herausforderung, die Vetorechte der Großmächte zu beschneiden. Aber da sie selbst mit einem qualifizierten Veto noch immer überproportionalen Einfluss ausüben könnten, würden sie wohl beginnen, sich anzupassen. Außerdem würde die Möglichkeit, Vetos mit einer qualifizierten Mehrheit zu überstimmen, die Legitimität der Vereinten Nationen stärken, wovon letztlich die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats profitieren würden. Und da diese Länder bereits jetzt viele Maßnahmen der Vereinten Nationen blockieren können, sollten sie dieser Reform offen gegenüberstehen.

Eine repräsentativere Zusammensetzung und höhere Effizienz des Sicherheitsrats schließen einander nicht aus. Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn beide Reformen – die Erweiterung der Mitgliedschaft und die Einschränkung des Vetorechts – gleichzeitig umgesetzt werden würden.

 Foto: Project Syndicate

Shang-Jin Wei ist ehemaliger Chefökonom der Asiatischen Entwicklungsbank sowie derzeit Professor für Finanz- und Wirtschaftswissenschaften an der Columbia Business School und der School of International and Public Affairs der Columbia University.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier.

Copyright: Project Syndicate, 2024

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