RückblickWie Asselborns „Ich will nicht stören“-Tage in Wien diplomatischen Staub aufwirbelten

Rückblick / Wie Asselborns „Ich will nicht stören“-Tage in Wien diplomatischen Staub aufwirbelten
Gibt gerne Telefonnummern weiter: Jean Asselborn im österreichischen Nachrichtenmagazin ZIB 2 Foto: Screenshot/ORF 2

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Jean Asselborn war vergangenen Dienstag und Mittwoch in Wien. Der diplomatische Staub, den die Kurzvisite aufwirbelte, legt sich auch jetzt, wo eine turbulente Woche in den luxemburgisch-österreichischen Beziehungen zu Ende geht, nur langsam. Was war passiert?

Luxemburgs Außenminister besucht gerne Österreich. Alt-Bundespräsident Heinz Fischer ist ein langjähriger Freund Jean Asselborns. Diese Woche war der Anlass seines Wien-Besuches aber ein anderer als das Pflegen von Freundschaften. Das Ergebnis allerdings auch.

Asselborn war am Dienstagabend mit seinem ersten Flug nach dem Lockdown nach Wien gereist, um tags drauf bei der Vorstellung der Biografie dabei zu sein, die die ehemalige Kurier-Journalistin Margaretha Kopeinig über den dienstältesten Außenminister der Europäischen Union geschrieben hat. Asselborn wäre aber nicht Asselborn, würde er das Nützliche nicht mit dem Nützlicheren verbinden. Und so stand Österreichs Presse Schlange für ein Gespräch mit Luxemburgs Außenminister (dass im Vorfeld von Verlagsseite die Werbetrommel für sein Kommen gerührt worden war, dürfte das Interesse nicht geschmälert haben).

Am Mittwoch wurde erst das Buch vorgestellt, dann folgten die Interviews. Mit der Kleinen Zeitung (nach der Krone hat die Tageszeitung aus der Steiermark die zweitgrößte Auflage der Republik), mit der Austria Presse Agentur, mit einem im Nahkampf-Modus geführten Interview mit der Presse sowie einem Podcast-Gespräch bei der Wiener Wochenzeitung Falter und einem Radio-Interview bei ORF1. Da lag das Kind allerdings schon im Brunnen.

Keine neue Kritik, aber viel beieinander

Am Abend zuvor, kurz nach seiner Anreise, stand Asselborn im Interview-Zimmer des ORF. In den ZIB-2-Spätnachrichten, dem Pendant der Tagesthemen in Österreich, befragte Moderator Martin Thür Luxemburgs Außenminister, der in der Folge Österreichs Regierung (und der vorherigen) uneuropäisches Verhalten in mehreren Bereichen vorwarf: Migrationspolitik (wo Asselborn keinen Unterschied sieht zwischen der ehemaligen ÖVP-FPÖ-Regierung und der jetzigen, in der statt der radikal Rechten die Grünen mit Sebastian Kurz’ Konservativen koalieren), Ablehnung des UN-Migrationspaktes als Land, das zu dem Zeitpunkt die EU-Ratspräsidentschaft innehatte, Nicht-Unterzeichnung (zusammen mit Ungarn) der Israel-Erklärung der 25 anderen EU-Staaten, Ablehnung des Merkel-Macron-Planes für die europäischen Corona-Hilfen (als Anführer der sogenannten „sparsamen Vier“ zusammen mit Dänemark, Schweden und den Niederlanden). Kurzum, da kam einiges zusammen.

Bei genauerem Hinschauen allerdings kaum Neues, fast alle diese Kritiken hatte Asselborn schon einmal geäußert. Nur geht es manchmal auch um Ort, Art und Timing. Demnach gab es hier quasi ein Best-of (oder Worst-of, je nach Sichtweise) von Asselborns Kritik an Österreichs Politik. Und das in Wien. Zwei Wochen vor einem EU-Gipfel, wo es gemeinsame Lösungen für die Corona-Hilfen braucht.

Am Ende schaukelte sich das Gespräch kurz hoch, als Thür über Luxemburgs Rolle als Steueroase sprechen wollte, Asselborn dem ORF-Moderator daraufhin einen Anruf bei der OECD empfahl, damit er auch offizielle Institutionen und nicht nur NGOs zitieren könne. Die Telefonnummer könne er ihm gerne geben, so Asselborn. Dann war das Interview vorbei – doch nicht das Telefon der OECD fing an zu klingeln, sondern das der Luxemburger Botschaft in Wien.

In Österreich fragten sich offensichtlich einige: Wieso kritisiert der uns so – und vor allem: Wieso tut er das in Wien? Was dann zur telefonischen Wutentladung führte. Auch in den sozialen Netzwerken wurde das TV-Interview (wie die folgenden in der geschriebenen Presse) breit und in alle Richtungen diskutiert. Asselborn wurde entweder gefeiert oder verpönt, dazwischen gab es wenig. Dass Reaktionen kommen würden, und nicht zu knapp, muss klar gewesen sein: In der Hauptstadt eines sich über die vergangenen Jahre zusehends polarisierenden Landes die Regierungspolitik derart gebündelt zu kritisieren, ist mindestens ungewöhnlich und mehr „Bengel“ als feine Klinge der Diplomatie. Das weiß auch Asselborn.

Auch das Wiener Vorgehen lässt tief blicken

Ungewöhnlich sind jedoch auch andere Umgangsformen. Asselborn wurde während der beiden Tage in Wien von keinem Regierungsmitglied begrüßt, traf aber ebenso den Wiener SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig wie einige europäische Diplomaten zum Gespräch. Zählt man die Interviews hinzu, lässt sich nur mehr schwer von einem rein inoffiziellen Besuch zur Buchvorstellung sprechen. Dass es von österreichischer Regierungsseite überhaupt keine Reaktion gab, mag zwar kein diplomatisches Drama sein, zeigt aber, dass sich hier nicht die besten Freunde unglücklicherweise nur knapp verpasst haben – eher scheint es darum gegangen zu sein, sich bloß nicht über den Weg zu laufen. Asselborn sagt, hätte jemand angefragt aus Wien, hätte er sicherlich Zeit gehabt. Asselborn sagt aber auch, das sei alles halb so wild: „Ich wollte nicht stören.“ Das allerdings – so er es denn tatsächlich vermeiden wollte – ist Luxemburgs Außenminister gründlich misslungen.

Zumindest Österreichs Chefdiplomat Alexander Schallenberg dürfte sich durchaus „gestört“ gefühlt haben. Am Donnerstagmorgen flatterten beim Tageblatt und unseren Informationen zufolge auch beim Luxemburger Wort Anfragen um ein Interview ein, mittels dessen Österreichs Außenminister Stellung zu den Aussagen Asselborns nehmen wollte. Das Wort lehnte demnach ab; bevor wir ablehnen konnten, hatte Schallenbergs Büro die Anfrage bereits selber wieder zurückgezogen. Dass Schallenbergs Ansinnen, direkt auf Asselborn zu reagieren, von den Message-Controllern der Regierung gestoppt wurde, weist seine Pressesprecherin zurück. „Aufgrund terminlicher Verpflichtungen des Bundesministers sei die Anfrage auf einen späteren Zeitpunkt verschoben worden, lautet die Erklärung für den spontanen Sinneswandel in der Antwort auf eine Tageblatt-Anfrage. Doch eines fällt auf: Obwohl Asselborn die Regierung ziemlich scharf angegriffen hatte, reagierte niemand darauf – nicht einmal mit einer Presseaussendung. Wohl nach dem Motto: Die kälteste aller Schultern zeigt man, indem man nicht einmal auf Kritik reagiert.

Tiefe Risse, die Blicke auf die EU freilegen

In diese Lesart der Geschehnisse passt auch, dass Schallenberg Tageblatt-Informationen zufolge die Teilnahme an einem gemeinsamen Pressegespräch mit Asselborn bei einem österreichischen Medium in Wien ebenso abgelehnt hatte wie zuvor eine von der EU-Kommission geplante Diskussion zwischen beiden Ministern. Eine ÖVP-Ministerin hielt es dem Vernehmen nach nicht einmal für nötig, auf die Presseeinladung für ein Gespräch mit Asselborn zu antworten. Was auch dem verantwortlichen (und langgedienten) Journalisten einem ausländischen Minister gegenüber mindestens ungewöhnlich, wenn nicht respektlos erschien.

Wer jetzt die Schuld trägt am merkwürdigen Verlauf dieser Woche und ihrem Einfluss auf die Beziehungen zwischen Luxemburg und Österreich, ist dabei fast schon nebensächlich. Frappierender ist, wie weit beide Länder in vielen europäischen Fragen mittlerweile auseinanderliegen. Weiter oben im Text steht, das Kind habe diese Woche nach dem ORF-Interview im Brunnen gelegen. Für die Entwicklungen der vergangenen Tage stimmt das. Die Risse in der Freundschaft aber reichen länger zurück und treten seit Sebastian Kurz’ erster Kanzlerschaft und der Koalition mit der FPÖ vollends zutage. Seitdem wurden diese Risse nur tiefer – und spiegeln damit einen größeren, europäischen Richtungskampf wider: jenen darüber, was die Europäische Union ausmacht, wie sie zu funktionieren hat, was europäische Solidarität bedeutet. Asselborns Positionen sind dabei im Grunde nur die europäischen, die auch in Brüssel vertreten werden.