Wenn in Brüssel die Gipfel lang und die Nächte für die Akteure kurz sind, kann man sie an der Bar des piekfeinen Amigo-Hotels unweit des Grand Place gleichwohl noch zusammen einen Absacker nehmen und den nächsten Gipfel-Tag vorbesprechen sehen: der liberale französische Präsident Emmanuel Macron, der sozialdemokratische Bundeskanzler Olaf Scholz – und Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von der postfaschistischen Fratelli-Partei. Nichts illustriert den weiten Weg besser, den die EU im letzten Vierteljahrhundert gegangen ist, als diese Szene. Als in Österreich seinerzeit zum zweiten Mal die rechtspopulistische FPÖ an der Regierung beteiligt wurde, reagierte die EU mit knallharter Ausgrenzung. Kontakte wurden von herzlich auf förmlich gestellt, österreichische Vorschläge mit eisigem Schweigen bedacht, Minister verließen den Saal, wenn Wiener Kollegen das Wort ergriffen. Geholfen hat es nichts, nun ist die FPÖ stärkste Partei Österreichs.
Der Jubel über den Wahlsieg der Freunde vom rechten Rand kam von der französischen Le-Pen-Partei genauso laut wie von der deutschen AfD, war bei der ungarischen Fidesz ebenso überschwänglich wie bei der niederländischen PVV. „Gratulation!“, schrieb AfD-Chefin Alice Weidel auf ein Bild von ihr mit FPÖ-Chef Herbert Kickl. Frankreichs Rechtspopulistin Marine Le Pen wertete das Wählervotum als „Triumph der Völker“ und Ungarns rechtspopulistischer Regierungschef Viktor Orbán feierte einen „historischen Sieg“. Der Rechtsdrall in der EU hatte zuvor bereits Regierungsbeteiligungen von Nationalisten und Rechtspopulisten nicht nur in Ungarn und Italienc, sondern auch in der Slowakei und in den Niederlanden ermöglicht, sie in Schweden und Frankreich in die Rolle der Tolerierer von Regierungen gebracht. Nun könnten Belgien und Österreich ebenfalls das Lager wechseln.
Es scheint jedoch in der Natur der Sache zu liegen, dass diejenigen, die die europäische Zusammenarbeit lustvoll torpedieren, sich auch selbst mit der grenzüberschreitenden Kooperation schwertun. Nach den Juni-Neuwahlen des Europäischen Parlamentes gehörte jeder vierte Abgeordnete zum rechten Rand. Allerdings teilten sie sich sogleich auf in drei unterschiedlich radikale Fraktionen. Orbán und Kickl war mit dem italienischen Lega-Chef Matteo Salvini der Coup gelungen, so viele Gleichgesinnte in der EU zusammenzubinden, dass sie mit ihren „Patrioten“ sogleich die drittstärkste Kraft im Europaparlament bilden konnten. Doch Einfluss, Posten und Absprachen gehen nach wie vor an ihnen vorbei. Den meisten Kollegen aus der demokratischen Mitte sind die Töne zu schrill und das Verständnis für Angriffskrieger Putin zu suspekt.
EVP-Chef Weber nähert sich Meloni und Co. an
Moderater tritt da die EKR-Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer auf, hinter der vor allem Melonis Fratelli stehen. Sie bleibt wegen der Mitgliedschaft der Scharfmacher und Deutschlandhasser in der polnischen PiS-Partei zwar immer wieder für populistische Ausfälle berüchtigt. Doch EVP-Chef Manfred Weber verfolgt die Strategie, aus dem rechten Lager die am wenigsten Rechten langfristig in die Mitte zu ziehen und jetzt schon mit Meloni und Co. von Fall zu Fall zu Mehrheiten zu kommen, bei denen auf der anderen Seite des Spektrums einschließlich der Grünen wenig Verlass ist. Deutlich geworden ist das inzwischen gleich doppelt: Während die radikaleren Gruppen in der Führung des Parlamentes mit ihren größeren Ansprüchen negiert wurden, gab es für die EKR gleich mehrere wichtige Posten. Und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen macht den Fratelli-Politiker Raffaele Fitto zum herausgehobenen Vizekommissionspräsidenten.
Weit außen sitzen die AfD-Abgeordneten, die sich mit einigen radikalen Splittergruppen zu den „Souveränisten“ zusammengetan haben, nachdem weder Meloni noch Le Pen, weder Salvini noch Orbán mit ihnen zusammenarbeiten wollten. Das hat auch damit zu tun, dass der AfD-Wahlkampf mit Verharmlosung der SS in den Ländern, die unter den Nazis zu leiden hatten, extrem schlecht ankam und derart schrille Provokationen die Wähler der Rechtspopulisten nicht verschrecken sollten. Auch Kickl kommentierte die Auftritte Björn Höckes in Thüringen eher distanziert. Allerdings kommt er offenbar mit Weidel deutlich besser zurecht, wie er beim FPÖ-Aschermittwoch mit dem Bekenntnis klarmachte: Deutschland brauche eine „Alice“, um wieder zum „Wirtschaftswunderland“ zu werden.
Selbstradikalisierung im Zeitraffer
Das Werben der AfD um die FPÖ ist unübersehbar. Eine aktuelle Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung zeichnete die in den 1950er-Jahren aus einem Altnazi-Auffangbecken entstandene FPÖ als offensichtliches Vorbild für viele AfD-Akteure nach. Sie hätten den Weg der FPÖ mit Abspaltung der liberalen Kräfte und ständiger Selbstradikalisierung im Zeitraffer nachvollzogen. Derzeit sei die FPÖ homogener, stabiler und „gereifter“ als die AfD, die insgesamt als „radikaler eingestuft“ werden könne. Allerdings gibt es viele Parallelen: Beide haben persönliche Kontakte zu rechtsextremen und identitären Organisationen. Auch die Wahlprogramme ähneln sich in ihren Forderungen nach „Remigration“, Einwanderungsstopp, Grenzzäunen und Familien mit ausschließlich Mann und Frau.
Wie sich die Zusammenarbeit zwischen den Parteien weiterentwickelt, entscheidet auch darüber, ob Kickls Abgeordnete in Brüssel und Straßburg die Kooperation von „Patrioten“ und „Souveränisten“ versuchen. Fraktionschef René Aust von der AfD begrüßte jedenfalls den Wahlerfolg der FPÖ schon einmal andeutungsschwer mit dem Satz „Das patriotische Europa hält zusammen“. Das Vorrücken des rechten Randes in Parlament und Kommission wird immer sichtbarer. Den größten Einfluss könnten sie im Ministerrat bekommen: Von Österreich und Belgien hängt es nun ab, ob die Rechtspopulisten zusammen eine Sperrminorität bekommen, mit der sie wichtige EU-Gesetze blockieren können. Ein Zusammengehen bedeutet das jedoch nicht auf allen Feldern: So entschieden Orbán die Ukraine im Interesse Russlands zu blockieren versucht, so entschlossen unterstützt Melonie die Ukraine im Interesse Europas.
Drei unterschiedlich radikale Fraktionen
– 84 Abgeordnete bilden die Fraktion Patrioten für Europa (PfE). Sie kommen unter anderem vom belgischen Vlaams Belang, dem französischen Rassemblement national, der italienischen Lega, der niederländischen Partij voor de Vrijheid, der österreichischen FPÖ, der spanischen Vox, dem tschechischen Ano und der ungarischen Fidesz.
– 78 Sitze hat die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), die größten Gruppen bilden die polnische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und die Fratelli d’Italia. Auch Dänemarkdemokraten und Schwedendemokraten sowie die luxemburgische ADR sind Mitglieder.
– 25 Mitglieder bilden die Fraktion Europa der Souveränen Nationen (ESN), die vor allem aus deutschen AfD-Abgeordneten und vereinzelten Rechtspopulisten aus Bulgarien, Frankreich, Litauen, Polen, der Slowakei, Tschechien und Ungarn besteht.
De Maart
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können