„Wir schicken heute ein klares Zeichen an alle unsere Mitmenschen, dass Hass und Diskriminierung in unserer Gesellschaft nicht toleriert werden“, leitete Charles Margue („déi gréng“) 2023 als Berichterstatter der Justizkommission die Debatte über Diskriminierung als erschwerenden Strafbestand ein. Die Abgeordneten in der Chamber stimmten zu: Bis auf die ADR waren sich alle einig, dass eine entsprechende Bestimmung ins Strafgesetzbuch gehört.
Das Gesetz in Kürze
Seit April 2023 gelten Diskriminierungen im luxemburgischen Strafgesetzbuch als erschwerender Umstand. Darunter fallen folgende Motive, die im Artikel 454 vermerkt sind: Herkunft, Hautfarbe, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, des Geschlechtsanpassung, der Geschlechtsidentität, familiäre Situation, Alter, Gesundheitszustand, Behinderung, Sitten, politische oder philosophische Meinung, gewerkschaftliche Aktivität, Ethnie, Nation oder Religion. Das Gesetz greift, wenn ein anderes Hauptdelikt vorliegt als die Diskriminierung. Die Maximalstrafen können seither verdoppelt werden.
Die vorige Regierung brachte das Gesetzesprojekt ein, und das nur bedingt aus Eigeninitiative: Luxemburg kam damit unter anderem Empfehlungen der „European Commission against Racism and Intolerance“ (ECRI) und des Europarats nach. Aus einer parlamentarischen Anfrage von Sam Tanson („déi gréng“) an ihre Nachfolgerin, Justizministerin Elisabeth Margue (CSV), geht jedoch hervor: Angewandt wurde es bis jetzt noch nie.
Die Gründe
Das Justizministerium führt das darauf zurück, dass das Gesetz erst seit Kurzem besteht. „Die ‚circonstance aggravante‘ betrifft nur Straftaten, die nach Inkrafttreten des Gesetzes begangen wurden“, schreibt die Pressestelle auf Nachfrage des Tageblatt. „Die Straftat muss sich demnach sowohl in der Zwischenzeit ereignet haben als auch vor Gericht abgeschlossen worden sein.“ Wissend, dass die luxemburgische Staatsanwaltschaft bei der Bearbeitung der Dossiers ein Jahr im Rückstand sei. „In dem Kontext verweisen wir auf den Personalmangel im ‚magistrat‘.“
Sam Tanson, die jetzt Oppositionsarbeit leistet, lässt die Argumente gelten, aber fügt im Austausch mit dem Tageblatt hinzu: „Zwar ist es nicht ungewöhnlich, dass das Gesetz noch nicht genutzt wurde – es gilt erst seit April 2023 –, dennoch hätte ich mit ein paar Fällen gerechnet.“ Bis dahin bestätigt die Nullnummer die Befürchtungen des „Centre pour l’égalité de traitement“ (CET): 2022 zeigte sich das Zentrum in einer Stellungnahme zum Gesetz skeptisch.
In Luxemburg hätten Bestimmungen gegen Diskriminierung vor allem eine symbolische und pädagogische Wirkung. „Auch wenn die Strafmaßnahmen auf dem Papier verdoppelt werden, heißt das nicht, dass die Richter*innen diese strenger anwenden. Sie erhalten ‚nur‘ einen größeren Handlungsspielraum“, sagte Nathalie Morgenthaler (CSV), ehemalige Präsidentin des CET, damals der Wochenzeitung woxx.
Hintergründe
Gewalt in Zahlen
In Debatten über Straftaten, die auf Diskriminierung zurückzuführen sind, kommt ein Thema regelmäßig auf: Es fehlt an detaillierten Statistiken. So forderte die Abgeordnetenkammer erst kürzlich Zahlen zu Frauenmorden, um gezielter dagegen vorgehen zu können. Die Pressestelle des Justizministeriums betont auf Nachfrage des Tageblatt, die Ministerin sei sich der Problematik bewusst und bemühe sich um eine Anpassung der Datenaufarbeitung. Die Digitalisierung der Justiz soll künftig die Erstellung entsprechender Statistiken erleichtern. Die Plattform „Ju-Cha“ (zentrale Datenbank für Justizdienste) erhalte ein neues Konzept, damit detaillierte Statistiken in allen Bereichen und ohne manuelle Überprüfung der Dossiers einsehbar seien. „Die Ministerin unterstreicht, dass es wichtig ist, besseres Zahlenmaterial zu haben, um weitere Fortschritte in der Präventionsarbeit zu erreichen und Straftaten die nötige Sichtbarkeit zu verleihen“, so die Pressemitarbeitenden weiter.
Heute sitzt Nathalie Morgenthaler als Abgeordnete für die CSV in der Chamber und ist vorsichtiger, wenn sie über die ausbleibende Nutzung des Gesetzes spricht. Wer wisse, wie lange Prozesse dauern, ahne: Nach knapp einem Jahr sei es verfrüht, eine Zwischenbilanz zu ziehen. „Neue Gesetze benötigen Menschen, die sie gebrauchen: Betroffene, die solche Affären vor Gericht bringen, Anwält*innen, die darauf plädieren, und Richter*innen, die sie anwenden“, sagt Morgenthaler. „Ohne Jurisprudenz, die einen Präzedenzfall schafft, fehlt es den Betroffenen an Motivation, vor Gericht zu ziehen.“
Mehrere Studien und Umfragen geben Morgenthaler recht, darunter die aktuellen Daten des „Observatoire des discriminations 2024“, ausgearbeitet vom CET: Demnach reichen 82 Prozent der Personen, die Diskriminierung mit Folgeschäden erleiden, keine Klage ein. „C’est du temps perdu“, so die Begründung. Kommt es zur Anzeige, bleibt diese laut dem Bericht tatsächlich in der Hälfte der Fälle folgenlos.
Das Justizministerium teilt derweil mit: 2022 kam es zu einem, 2023 zu keinem Urteil in Sachen Diskriminierung – das wiederum steht im Kontrast zu den Beobachtungen der Befragten. 45 Prozent vertreten die Meinung, allgemein sei Diskriminierung in Luxemburg in den vergangenen fünf bis zehn Jahren gestiegen.
Ein ewiger Teufelskreis, der den Kampf gegen Diskriminierungen erschwert? Damit das Bewusstsein für solche Straftaten wachse, brauche es Weiterbildungen und Sensibilisierung in allen Altersklassen, sagt Morgenthaler. Hilfreich sei auch die Mediatisierung vergleichbarer Fälle. Morgenthaler blickt nach Frankreich, erwähnt die Causa Pelicot. Die 72-jährige Gisèle Pelicot wurde neun Jahre lang unter Betäubung von ihrem Ex-Mann Dominique missbraucht, der sie zu dem Zweck an fremde Männer auslieferte. Der Haupttäter wurde unter anderem wegen dieses Verbrechens zu zwanzig Jahren Haft verurteilt.
Zurück in Luxemburg drängt sich die Frage auf: Wie reagiert die Politik auf diese erste Zwischenbilanz? Immerhin nannte Charles Margue das Gesetz damals einen „wichtigen Baustein“, um „unsere Mitbürger*innen vor willkürlicher Gewalt und Schikane sowie Diskriminierung“ zu schützen. Die Pressestelle des Justizministeriums verweist auf die geplante Evaluierung des Gesetzes, will sich aber nicht zu möglichen Konsequenzen äußern. Sam Tanson hingegen schon: „Falls die Anwendung gering bleibt, müssen wir prüfen, woran das liegt. Eine unabhängige Analyse, etwa durch die Universität, wäre eine Möglichkeit, den Ursachen auf den Grund zu gehen.“
De Maart

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