„Wer beobachtet wen?“ Die stimmungsvollen Reflexionen der Elina Brotherus

„Wer beobachtet wen?“ Die stimmungsvollen Reflexionen der Elina Brotherus

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„It’s not me, it’s a photography“ ist das verblüffende Statement einer Fotografin, die selbst auf fast all ihren Bildern an diversen Schauplätzen zu sehen ist. Doch das Werk der vielfach ausgezeichneten finnischen Künstlerin Elina Brotherus ist nicht nur ein visuelles Tagebuch. Im Europäischen Monat der Fotografie präsentiert die Villa Vauban ausgewählte Arbeiten aus zwei Jahrzehnten ihres Schaffens.

Von unserer Korrespondentin Martina Kaub

Info

• Elina Brotherus, geb. 1972 in Helsinki, Finnland

• M.Sc. Chemie 1997, M.A. Fotografie 2000

• Internationale Ausstellungen seit 1997

• Werke in internationalen Sammlungen, u.a. Centre Pompidou Paris, Hasselblad Center Göteborg, Museum Folkwang Essen

• Auszeichnungen: Prix Mosaïque, Luxemburg 2001, Prix Niépce, Frankreich 2005, finn. Staatspreis für Fotografie 2008, Carte blanche PMU, Frankreich 2017.

Die Ausstellung in der Villa Vauban kann noch bis zum 13. Oktober besichtigt werden.

Elina Brotherus zählt zu den bedeutendsten Künstlerinnen der Gegenwart, die sich verschiedene Formen der fotografischen Selbstinszenierung aneignen und mit individuellen Bildstrategien den jeweiligen Anspruch umsetzen. In der Fachpresse gerne zwischen Cindy Sherman und Nan Goldin verortet, geht es Brotherus weder um Gesellschaftskritik mit den Mitteln des Rollenspiels, noch steht das Autobiografische im Vordergrund. Parallelen finden sich stattdessen in der sorgfältigen Inszenierung der Bilder oder dem Rückgriff auf Ikonen der Kunst wie Caspar David Friedrich, René Magritte oder Pierre Bonnard.

Die erste monografische Ausstellung der Künstlerin in Luxemburg schlägt den Bogen von den Anfängen bis zu Projekten neueren Datums. Der Verzicht auf eine chronologische Präsentation entspricht der Anlage ihres Werkes in Serien, welche oft in einem länger dauernden Schaffensprozess mit vielen Einzelarbeiten entstehen. Elina Brotherus zeigt sich stets unverstellt, ob bekleidet oder nackt, mit Ganz- oder Teilansichten ihres Körpers. Neben Groß- und Mittelformatkamera nutzt sie das Reflexionspotenzial von Spiegeln, Fenstern, Glaskugeln und Wasseroberflächen, um die Bedeutung des Sehens und Beobachtens zu betonen, aber auch, um den Blick umzulenken und den des Betrachters zu treffen. Ein Faible hat sie offensichtlich für das Spiel mit Verbergen und Zeigen, Bildelement hierfür der Vorhang. Sie wählt minimalistisch ausgestattete Interieurs oder Landschaften als Schauplätze für ihre Themen.

Autobiografische Einblicke

Die frühen Serien „Das Mädchen sprach von Liebe“ (1997-1999) – der vielsagende Titel verweist auf Schuberts melancholische Winterreise –, „Self-Portraits“ (1998-1999) und „Suites françaises“ (1999/2011-2013) zeugen von der damaligen subjektiven Unsicherheit und Instabilität. Hier finden sich Bilder von Isolation und Einsamkeit wie zum Beispiel „Epilogue“ von 1999, das vom Ende einer Beziehung erzählt: Hände in dunklen Lederhandschuhen umfassen Brotherus’ blasses, weinendes Gesicht. Oder „Le Reflet“ (1999) aus der Zeit ihrer Künstlerresidenz in Frankreich, wo sie sich anfangs wegen der Sprachbarriere vom Leben abgeschnitten fühlt. Ihre Situation reflektierend erobert sie mit simplen Strategien den fremden Raum und seine Sprache: Sie versieht Gebrauchsgegenstände mit Post-it-Aufklebern und navigiert auf diese Weise durch den Alltag.

Die sonst meist ernst wirkende Künstlerin – sie mag kein Lächeln in Fotografien, weil damit sofort Bedeutung generiert werde – springt über den eigenen Schatten, wenn sie sich clownesk mit roter Nase und passender Vokabel präsentiert. Veränderungen an sich selbst oder der Umgebung im Zeitverlauf wahrzunehmen und im Bild zu dokumentieren, ist ihr wichtig. Deshalb sucht sie fotografierte Orte nach Jahren wieder auf, um sie nun auf der Grundlage einer veränderten Sicht neu zu interpretieren.

Der früheren Serie wird, wie im Fall der französischen, eine mit dem Titel „12 ans après“ hinzugefügt, sodass die Entwicklung der eigenen Person im Hinblick auf einzelne Aspekte visuell beobachtbar wird. Trotz der autobiografischen Bezüge gilt laut eigener Aussage das zitierte Statement für ihr ganzes Werk. Sie stellt damit klar, dass sie sich von der Figur im Bild, die sie selbst darstellt, distanziert, sich als Künstlerin von ihr ablösen will. Sie spielt mit dem Selbstverhältnis und dem Verhältnis zu anderen, so etwa in den Serien „Self-Portraits“ und „Études d’après modèle, danseurs“ von 2007.

Faszinierende An- und Ausblicke

Hier ist sie Fotografin und Modell, Subjekt und Objekt in Personalunion, den Selbstauslöser unter dem Fuß. Ihr Modell dominiert mit Posen des klassischen Balletts den Bildraum, während sie selbst, mal respektvoll, mal bewundernd, aus dem Hintergrund auf den Tänzer blickt. Inwieweit bestimmt die Künstlerin hier noch die Bildkoordinaten? Ist sie noch Autorin der Inszenierung? Noch einen Schritt weiter geht sie in der Werkgruppe „Artists at Work“ (2009) mit Fragen wie: „Wer ist ein Künstler und wer ist ein Modell?“, „Wer beobachtet wen?“, „Wer bekommt den letzten Blick?“.

Die gängige Rollenverteilung zwischen Künstlerin und Modell wird hier explizit gebrochen: Sie zeigt sich als Aktmodell für zwei Maler, ist gleichzeitig Künstlerin, die jene als ihre Modelle beobachtet; zudem ist sie selbst ihr eigenes Modell und bestimmt schließlich den entscheidenden Moment für jede einzelne Aufnahme. Aneinandergereiht ermöglichen die Bilder, den künstlerischen Prozess bis zu seiner Vollendung nachzuvollziehen.

Mit dem Genre der Landschaftsmalerei setzt sich Elina Brotherus sowohl in früheren als auch neueren Arbeiten facettenreich auseinander. Herausfordernd ihre Geste, sich selbst mit explizitem Bezug auf Caspar David Friedrichs erhabenen „Wanderer über dem Nebelmeer“ (1818) auf einen Berg zu platzieren und in die weite Landschaft zu schauen. Durch den Kunstgriff der Rückenfigur bietet sie dem Betrachter die Möglichkeit, mit ihr den Blick auf traumhafte, in zartes Licht getauchte Landschaften, aber auch kontemplative Momente zu teilen. Dies lohnt sich ganz besonders in dem Bild „Green Lake“ (2007), im „Moment décisif“ (i.S.v. Henri Cartier-Bresson) an einem See aufgenommen. Reflexionen der umstehenden Bäume haben ihn nicht nur grün eingefärbt, seine Oberfläche scheint plötzlich fast senkrecht abzubrechen, sodass der Eindruck eines Wasserfalls entsteht. Ein am Ufer stehendes Paar ist Zeuge dieses Schauspiels. Das interessierte Publikum ist eingeladen, sich den beiden anzuschließen.