Jugendliche in der Corona-KriseWenn der 18. ins Wasser fällt, Origami „in“ wird und Teenager die Zeit zu Hause genießen

Jugendliche in der Corona-Krise / Wenn der 18. ins Wasser fällt, Origami „in“ wird und Teenager die Zeit zu Hause genießen
Während die Maßnahmen in den Gymnasien von den Schülern als lästig empfunden werden, halten sich die Jugendlichen privat streng an die Regeln und verbringen lieber Zeit mit der Familie zu Hause als mit Freunden in Bars oder Cafés Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Wer hätte es gedacht: Während in den sozialen Netzwerken ein Bild von partywütigen Teenagern gezeichnet wird, die ungeniert Covid-Maßnahmen ignorieren und klammheimlich weiterfeiern, sieht die Realität von Luxemburgs Jugend ein wenig anders aus. Während die einen zwar soziale Kontakte vermissen, sich dennoch streng an die Regeln halten, haben andere das Lockdown-Leben auf Dauer für sich entdeckt. Familienzusammenhalt, „quality time“ statt Saufabende und Sportdisziplin trotz Trainingsmangel – so lauten die Stichwörter in puncto Corona-Jahr. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge blicken fünf Schüler und Schülerinnen auf die kommenden Wochen, denn trotz genereller Akzeptanz der aktuellen Lage hinterlassen Ausgangssperre ab elf und erlaubte Gruppengröße bis vier doch ihre Spuren, sogar bei einer „Corona-konformen“ Jugend.

Jil Reding
Jil Reding Foto: privat

Jil Reding (18): „Man geht nicht mehr so viel mit Freunden aus, sondern unternimmt Dinge, die einem guttun“

Als „Premièresschüler“ steht normalerweise eines ganz oben auf der To-to-Liste: lernen, lernen, lernen. Während dies auch in Corona-Zeiten der Fall ist, sind dieses Jahr viele traditionelle Abi-Aktivitäten den Nebenwirkungen der Krise zum Opfer gefallen. Feierlicher Abschlussball, Saufurlaub in Lloret de Mar, aufgeregte Besuche an potenziellen Unis – wer 2020 dem Gymnasium für immer Tschüss sagt, der muss dies über digitale Wege tun. So ganz am Ende ihrer Lycée-Karriere ist Jil Reding noch nicht angelangt, doch auch sie macht sich auf eine „abgespeckte“ Version ihrer „Première“ gefasst. Insgesamt sieht die 18-Jährige die Krise aber eher gelassen, ja gar positiv. „Meine Freunde und ich haben gemerkt, dass wir durch Corona mehr egozentrisch ausgelegte Dinge tun, wie etwa Yoga, Aktivitäten mit der Familie oder Backen und Kochen, und dies für uns selbst. Man geht nicht mehr so viel mit Freunden aus, sondern unternimmt Dinge, die einem guttun“, sagt Jil.

Kino, Spaziergänge und Billardabende im kleinen Kreis sind an die Stelle von Diskobesuchen in der Gruppe gerückt, es gibt mehr „quality time“, so Jil: „Man hat mehr Gespräche und ist näher zusammengerückt. Es geht nicht mehr darum, abends in der Zehner-Gruppe raus trinken zu gehen, sondern man trifft sich vielleicht nur noch zu viert und erfährt auch mal wirklich was über den anderen.“ Auch mit ihrer Familie hat Jil während der letzten Monate eine engere Beziehung aufgebaut. Geschwister besitzt die 18-Jährige zwar keine, doch die gemeinsame Zeit mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater hat sie so richtig schätzen gelernt. „Wir sind definitiv zusammengewachsen. Vorher war ich dieses typische Kind, das nach der Schule in sein Zimmer huscht, nur zum Essen nach unten kommt und mit seinen Eltern meist bloß ein knappes ‚Hallo und auf Wiedersehen‘ wechselt. Jetzt ist das nicht mehr so.“  Und während ihrer Mutter zeitweise die Decke auf den Kopf zu fallen drohte, nahm Jil sogar den Lockdown locker und blühte nach eigenen Aussagen so richtig auf.

Einen kleinen Wermutstropfen gibt es für die Schülerin dann aber trotzdem: „Sonst bin ich immer viel auf Konzerte gegangen, quasi alles, was zu meinem Genre gehört. Das ist jetzt natürlich alles ins Wasser gefallen, was wirklich schade ist.“ Die gewonnene Zeit sieht Jil dennoch nicht als verloren, denn neben ihren Aufgaben für die Schule hat sie jetzt auch mal etwas Ruhe zum Lesen. Seit vergangenem Samstag sitzt die 18-Jährige in Quarantäne, denn trotz fehlender Symptome fiel der Covid-Test für sie „positiv“ aus. „Eigentlich hatte ich geplant, an Halloween etwas mit Freunden zu unternehmen, jetzt sitze ich zu Hause und muss mich für zehn Tage isolieren. Da ich aber gerade auf der Première bin, stört es mich nicht weiter, mal ein paar Tage ‚time out‘ zu haben.“

Traditionelle Freunde-Abende im Escher Kultcafé würden derzeit aufgrund der neuen Maßnahmen eh irgendwie ausfallen, meint Jil: „Vor der Krise war ich jeden Freitag im Pitcher, wie sich das halt gehört, aber wir sind immer erst relativ spät dorthin gegangen, gegen neun oder zehn Uhr. Jetzt muss man schon um sieben da sein, um überhaupt einen Platz zu bekommen, das ist einfach nicht dasselbe, und wenn dann um elf schon wieder Ausgangssperre ist, lohnt es sich für uns nicht.“ Für die Schüler aus dem „Lycée de garçons Esch/Alzette“ heißt es die kommenden Wochen also mit der Flasche Strongbow auf Facetime ihre Abende verbringen – eine Aussicht, die so manchem 18-Jährigen wohl ganz gelegen kommt.

Loredana Mirizzi
Loredana Mirizzi Foto: privat

Loredana Mirizzi (16): „Ich war erst mal geschockt über die viele Freizeit, die ich plötzlich hatte, und darüber, wie viel Einfluss Sport wirklich auf mein Leben nimmt“

Neben Treffen mit Freunden ist Sport wohl die Aktivität, die am meisten Zeit im Alltag von Teenagern in Anspruch nimmt. Doch was passiert, wenn plötzlich mehrere Stunden am Tag frei werden, weil kein Training mehr stattfinden darf? Genau diese Frage musste sich Loredana Mirizzi im März stellen. Vor dem Ausbruch der Pandemie in Europa trainierte die Schülerin insgesamt 16 Stunden die Woche Karate, davon acht im „Sportlycée“ und acht außerhalb ihrer Schulzeiten. Als das Virus dann den nationalen Lockdown auslöste, fielen sowohl National- als auch Clubtraining aus und Loredana musste ihre Tage umgestalten. „Ich war erst mal geschockt über die viele Freizeit, die ich plötzlich hatte, und darüber, wie viel Einfluss Sport wirklich auf mein Leben nimmt. Ich wusste gar nicht, was ich machen sollte, außer zu lernen oder auf dem Handy herumzuspielen“, erinnert sich die 16-Jährige.

Sie beschloss, die gewonnene Zeit für neue Dinge zu nutzen und ihre Fingerfertigkeiten auf die Probe zu stellen. „Ich zeichne extrem gerne, deshalb gestalte ich meine Tage seit dem Lockdown mit viel Kunst oder Lesen. Daneben probiere ich Sachen aus wie etwa Kochen, Stricken, Nähen, Pflanzen züchten oder Origami“, sagt Loredana. Auf ihre (fast) tägliche Dosis Sport wollte die Schülerin dennoch nicht verzichten, Zoom-Trainings und Workouts im Zimmer oder Garten sorgten hier für Abhilfe. Eine besondere Kategorie des Karate konnte Loredana ebenfalls im Alleingang trainieren: „Kata“, eine Übungsform basierend auf stilisierten Bewegungen und Positionen, die einzeln ausgeführt werden und während des Lockdowns auch virtuelle Gestalt annahmen.

Als die „Rentrée“ dann vor der Tür stand – Loredana hat mittlerweile die Schule gewechselt und geht nun ins „Lycée Guillaume Kroll“ nach Esch –, startete auch wieder das Karate-Training. Die neuen Covid-Regelungen machen den Sportlern aktuell allerdings wieder einen Strich durch die Rechnung und auch Loredanas Plan steht etwas kopf: „Ich bereite mich seit einem Jahr auf den schwarzen Gürtel vor und sollte eigentlich am 14. November die Prüfung absolvieren. Da nun aber nicht klar ist, ob und in welcher Form der Test stattfinden darf, weiß ich nicht, wie es jetzt diesbezüglich bei mir aussieht.“ Doch die 16-Jährige lässt sich von den Maßnahmen nicht abschrecken – im Gegenteil: „Es werden jedes Jahr zwei solcher Prüfungen organisiert und falls diese jetzt ausfällt, habe ich halt mehr Zeit zum Trainieren und Besserwerden.“

Sie gehe mit der Zeit, und wenn dies bedeute, auf manche Dinge zu verzichten, dann sei es eben so, meint die Sportlerin: „Man kann alles nachholen und es ist ja nicht so, als wäre die Zeit komplett verschwendet.“ Nun wolle die 16-Jährige sich erst mal auf die Schule konzentrieren und abwarten, wann sie wieder mit ihren Kusinen zu Eishockey-Spielen oder zum Schlittschuhlaufen darf. Und bis es so weit ist, trifft sich Loredana eben mit ihnen nur noch zu zweit oder dritt oder verbringt ihre Zeit mit Handarbeit, ganz ohne Drama.

Maze Rolo
Maze Rolo Foto: privat

Maze Rolo (15): „Ich war prinzipiell nie wirklich länger als elf Uhr unterwegs, also macht mir das jetzt nicht viel aus“

Ähnlich gelassen sieht Maze Rolo die aktuelle Situation. „Für mich hat sich eigentlich nicht extrem viel verändert“, meint der 15-Jährige mit Hinblick auf seine Freizeit. Er lerne momentan genau so viel wie vor Corona und auch sonst fühle er sich nicht wirklich eingeschränkt, so der Schüler. „Davor bin ich immer viel raus skaten gegangen oder habe mich mit meinen Freunden getroffen, allerdings eh immer nur in der kleinen Gruppe zu viert, sodass wir das auch weiterhin tun dürfen.“ Sport macht Maze zu Hause in Form von Home Training, ansonsten verbringt er seine Tage gern mit Spaziergängen oder der Fahrt zur Tankstelle, um dort etwas zu essen. Auch die angekündigte nächtliche Ausgangssperre stört den 15-Jährigen kaum: „Ich war prinzipiell nie wirklich länger als elf Uhr unterwegs, also macht mir das jetzt nicht viel aus.“

Unter seinen Freunden seien zwar ein, zwei Kandidaten, die sich von den Maßnahmen genervt fühlen, generell käme man aber gut mit der Lage zurecht. Nur die Maskenpflicht und eisige Kälte in den Klassenzimmern stören Maze, der daneben hofft, dass nicht ein zweiter Lockdown bevorsteht, denn: „Noch mal eine komplette Schließung und Quarantäne wären echt blöd.“ Darüber will sich der 15-Jährige allerdings fürs Erste nicht den Kopf zerbrechen, denn solange Parks geöffnet und Outdoor-Aktivitäten weiterhin erlaubt bleiben, sieht Maze persönlich keinen Grund, sich aufzuregen.

Marie Timmermann
Marie Timmermann Foto: privat

Marie Timmermann (14): „Wir dürfen jetzt nur noch zu viert zusammen in der Kantine essen, was etwas schade ist, da mein engster Freundeskreis aus sechs Leuten besteht“

Während die einen in Internet-Memes ihrem Partyleben hinterhertrauern und über Wege um die neuen Covid-Regelungen herumwitzeln, bedeuten Quarantäne, geschlossene Grenzen und Co. für andere die Suche nach Alternativen, um gewohnten Aktivitäten auch weiterhin nachgehen zu können. Eine von ihnen ist Marie Timmermann. Die 14-Jährige unterstützt die Entscheidungen der Regierung, denn genau wie viele Gleichaltrige empfindet auch sie die aktuellen Infektionszahlen als zunehmend beunruhigend. Dennoch musste die Schülerin vor allem während der Quarantäne auf privater Basis auf so manches verzichten und ihren Alltag punktuell umkrempeln: „Vor Covid-19 habe ich oft etwas mit Freunden unternommen, wir sind ins Restaurant gegangen oder haben einfach bei einem von uns übernachtet. Ich bin außerdem zweimal die Woche in einem Reitstall in Belgien geritten. Als wir dann in Quarantäne gesetzt wurden, habe ich meine Freunde gar nicht mehr getroffen und mit dem Reiten wurde das auch nichts, da wir nicht mehr über die Grenze durften“, beklagt Marie.

Um die Zeit bis zur Exit-Phase zu überbrücken, hat die Schülerin ihre Tage mit viel Sport verbracht. Vor allem die Spaziergänge mit Hund Nappo waren eine willkommene Abwechslung im Quarantäne-Alltag. Doch eines fehlte Marie dann doch irgendwann extrem: „Nach ein paar Monaten zu Hause habe ich angefangen, nach einem Reitstall hier in Luxemburg zu suchen und wurde dann schließlich auch fündig. Nun gehe ich zweimal die Woche dorthin.“ Auch die Schule darf die 14-Jährige mittlerweile wieder besuchen, doch auch hier spürt sie die Auswirkungen der Krise: „Wir dürfen jetzt nur noch zu viert zusammen in der Kantine essen, was etwas schade ist, da mein engster Freundeskreis aus sechs Leuten besteht und wir uns nun aufteilen müssen.“ Privat hält Marie ihre Kontakte immer noch in Grenzen, auch wenn eigentlich ihr 15. Geburtstag bevorsteht und sie gerne mit Freunden gefeiert hätte. Doch die Schülerin war es auch vor Corona bereits gewohnt, viel Zeit zu Hause zu verbringen und ist gewollt, dies auch noch ein kleines bisschen länger beizubehalten, denn sich und andere unnötig in Gefahr bringen will die 14-Jährige definitiv nicht.

Catherine Timmermann
Catherine Timmermann Foto: privat

Catherine Timmermann (17): „Ich werde im Dezember 18 und darf höchstwahrscheinlich nur mit der ganz engen Familie feiern“

Genau wie Marie hat auch ihre ältere Schwester Catherine ihre sozialen Kontakte aufgrund der aktuellen Krise stark zurückgeschraubt. Bevor das ganze Chaos Luxemburg erreichte, ging die 17-Jährige viermal die Woche zum Tanzunterricht, nahm Musikkurse, ging mit Freunden aus oder verbrachte die Nächte unter Mädels. Im März dann wurden sämtliche ihrer außerschulischen Aktivitäten gestrichen, das Tanzen durfte Catherine erst im Sommer wieder aufnehmen. „Die sozialen Kontakte haben sich natürlich stark verringert, man geht nicht mehr aus und man trifft sich auch nicht mehr zu 20. Ich unternehme zwar noch Sachen mit Freunden, dann aber nur zu ein paar und wir übernachten auch nicht mehr unbedingt einer bei dem anderen“, so die 17-Jährige.

Aktuell verbringt Catherine viel Zeit im Auto, da sie gerade in den Vorbereitungen zu ihrer Fahrprüfung steckt. Daneben füllt sie ihre Stunden mit lernen – wenn gerade mal kein Tanzen angesagt ist, denn bis jetzt wurden diese trotz neuer Regelungen nicht wieder gestrichen. Dennoch hinterlässt so manch ausgefallene Veranstaltung ein Loch im Jahresrückblick der Gymnasiastin: „Bälle und Konzerte sind leider alle ausgefallen, unsere Tanzgala dadurch ebenso. Die ganze Situation ist natürlich nicht ideal.“ Eine Sache pikst die Jugendliche dann auch ganz besonders, denn eigentlich hätte dieser Advent ein ganz besonderer werden sollen: „Ich werde im Dezember 18 und darf höchstwahrscheinlich nur mit der ganz engen Familie feiern.“ Ein Schicksal, das wohl noch mehr Teenager dieses Jahr teilen, denn in Zeiten von Corona ist nur wenig Platz für Feierlaune. Doch auch Catherine lässt sich von den geplatzten Geburtstagsplänen nicht entmutigen und meint: „Ich hätte die letzten Monate natürlich lieber anders gelebt, aber ich denke, dass damit aber zu leben war und ist und hoffe einfach, dass sich die ganze Situation bald wieder legt.“

tanner
29. Oktober 2020 - 12.54

Es sind nicht die Teens die feiern, es sind die Twens.