Als David* (39) in Ettelbrück ankommt, ist er körperlich und seelisch am Ende. Die Aufnahme in der Station „Horizon“ des „Centre hospitalier neuro-psychiatrique“ (CHNP) ist seine große Hoffnung. Zu dem Zeitpunkt hat er sich vollkommen in sich zurückgezogen und aus der Welt um ihn herum verabschiedet. Er schläft schlecht, Schultern und Nacken sind permanent angespannt, die Beine hingegen wippen unaufhörlich.

Er ist kraftlos, dabei gleichzeitig sehr nervös und meidet Gemeinschaft. Das geht so weit, dass der Versicherungsexperte sich zum Schluss in der Firma den Konferenzraum bucht. Er tut das nicht, weil er Besucher empfängt, sondern um allein zu sein. Emotional schwankt er zwischen Traurigkeit, Stress, Angst, psychischer Anspannung und grenzenloser Erschöpfung. Als Projektleiter trägt er Verantwortung und hat ein hohes Arbeitspensum. „Ich habe oft 10, 12 oder 14 Stunden am Tag gearbeitet“, sagt er.
Erschöpft und gleichzeitig angespannt
Das sei in seiner Branche durchaus üblich. Zum Schluss kann er sich immer schlechter konzentrieren, während sein Kopf eigene Wege geht. Die Gedanken drehen sich im Kreis. Als er nach einem Firmenwechsel und der sechsmonatigen Probezeit eine neue Aufgabe übernehmen soll und der Druck wächst, geht nichts mehr. Er, der in seiner Berufskarriere gerne neue Herausforderungen sucht und den Anspruch an sich hat, das zu meistern, ist überfordert.

Er „funktioniert“ nicht mehr. „Ich bin Perfektionist“, sagt er heute selbstkritisch, weil er damals auch diesen Anspruch an sich selbst nicht mehr einlösen konnte. Das ist jetzt 18 Monate her. Zunächst hält er durch, betäubt sich mit Alkohol und wird später in eine Suchtklinik eingewiesen. Es geht ihm sehr schlecht. Unspezifische Rückenschmerzen und Symptome bis hin zu vermeintlichen Herzproblemen in Kombination mit völliger Erschöpfung und Antriebslosigkeit gehören zu den Symptomen eines Burnouts.
Stress und Überlastung am Arbeitsplatz
„Burnout ist eine durch soziale Umstände und eigenen Erwartungsdruck entstandene Erschöpfungsdepression.“ Das sagt Johannes Kappes (36), Facharzt für Psychotherapie und Psychiatrie, Verhaltens- und Traumatherapeut und Leiter der Station „Horizon” am CHNP. „Wenn Burnout-Patienten zu uns kommen, haben sie über Jahre hinweg funktioniert und ihre Emotionen unterdrückt“, sagt der Spezialist. Die eine Ursache für Burnout gibt es nicht.
Es ist immer ein Zusammenspiel. Vor allem aber sind Stress und Überlastung am Arbeitsplatz ausschlaggebende Faktoren. Das bestätigt auch die letzte Erhebung des von der Chambre des Salariés (CSL) und der Universität Luxemburg (UL) entwickelten ‚Quality of Work Index‘. „Heute wird in der Berufswelt immer mehr Leistung erwartet”, sagt Psychiater Kappes. „Ruhigere Arbeitsphasen oder das Gesehenwerden als Mensch rücken immer mehr in den Hintergrund.“
Gute psychosoziale Arbeitsbedingungen helfen

Seit 2013 zeigt der Index jedes Jahr, wie sich verschiedene Arbeitsbedingungen auf das Wohlbefinden der Arbeitnehmer auswirken. In diesem Jahr erhielt er besondere Brisanz, weil die „Inspection générale de la sécurité sociale“ (IGSS) festgestellt hat, dass die krankheitsbedingten Fehlzeiten zwischen 2019 und 2023 von 3,9 auf 4,6 Prozent gestiegen sind. Wie viele Krankschreibungen davon eine psychische Ursache haben, dazu gibt es kein Zahlenmaterial, aber Hinweise.
22 Prozent der 2.939 befragten Beschäftigten zwischen 16 und 64 Jahren zeigen laut Index ein moderates, 15 Prozent sogar ein hohes Risiko für eine depressive Erkrankung. Gute psychosoziale Arbeitsbedingungen verringern diese Risiken. Das sagt Philipp Sischka (38), promovierter Psychologe und seit Anfang 2024 Projektleiter des Index auf Seiten der Universität.
Burnout eine Krankheit der Zeit?
Doch was genau sind „gute“ psychosoziale Arbeitsbedingungen? Dazu zählen unter anderem ein ausgewogenes Arbeitspensum, ein unterstützendes Betriebsklima und Führungskräfte, die Orientierung und Rückhalt bieten. Eine hohe Arbeitsbelastung, Schwierigkeiten, Beruf und Privatleben zu vereinbaren, fehlende Anerkennung durch Vorgesetzte oder das Erleben von Mobbing stellen hingegen Risikofaktoren für Burnout dar, sagt Sischka.

Ob Burnout eine Krankheit der Zeit ist, lässt sich schwer einschätzen. Eines aber ist sicher. „Durch die eigene falsche Wahrnehmung von Leistung in einer Leistungsgesellschaft und gleichzeitig fehlenden menschlichen Kontakten kommen wir Mediziner vermehrt mit Erschöpfungssyndromen bei den Patienten in Kontakt“, sagt Psychiater Kappes. „Sie werden heute als Burnout klassifiziert.“
Zurück zu David*: Im CHNP gelingt es, ihn zu stabilisieren und einen Reflexionsprozess einzuleiten. Einen Plan für die Zukunft hat er noch nicht, aber er macht sich Gedanken. „Mein Beruf macht mir Spaß, aber es ist für mich noch zu früh für Konkretes“, sagt er. Er wirkt, als würde sich das auch bald ergeben.
*) Name von der Redaktion geändert
Die Therapie im CHNP
Der durchschnittliche Aufenthalt in Ettelbrück beträgt drei Monate und ist auf drei Modulen aufgebaut. Im ersten geht es um Orientierung und Ankommen. Meistens sind Medikamente vonnöten, um den Körper zu beruhigen. „Die medikamentöse Behandlung ist nur der erste Schritt, um therapeutisches Arbeiten in Gang zu setzen“, sagt CHNP-Sektionsleiter Kappes. In der zweiten Phase geht es darum, mit psychotherapeutischer Begleitung eine Reflexion der Situation anzustoßen. Die dritte Phase gilt der Autonomie des Patienten – für das Leben nach der Klinik und die Wiedereingliederung ins Berufsleben. Auf der Station „Horizon“ gibt es 18 Plätze für psychisch Kranke. Burnout ist nicht das einzige Krankheitsbild, das dort behandelt wird. Die Wartezeit beträgt Minimum sechs Wochen nach vorheriger Akutbehandlung.
De Maart

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