Sonntag19. Oktober 2025

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ZukunftstechnologieWas Nanoröhren alles können – und was ein Luxemburger Unternehmen damit zu tun hat

Zukunftstechnologie / Was Nanoröhren alles können – und was ein Luxemburger Unternehmen damit zu tun hat
So sieht das „magische Material“ aus: schwarzes Pulver in einem Glas Foto: OCSiAl

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Einwandige Kohlenstoff-Nanoröhren – ein ganz schöner Zungenbrecher. Doch hinter dem schwerfälligen Namen verbirgt sich eine zukunftsweisende Technologie. Ein Unternehmen mit Sitz in Luxemburg mischt damit den Markt auf.

Das Material sieht eigentlich ziemlich unspektakulär aus, wie schwarzes Pulver. Doch es hat es in sich. „Es ist ziemlicher Wahnsinn“, sagt Alain Kinsch, Mitglied des Verwaltungsrats des Nanotechnologie-Unternehmens OCSiAl mit Sitz in Luxemburg. CEO Konstantin Notman spricht sogar von einem „magischen Material“. Das Tageblatt wurde vom Unternehmen zur Eröffnung einer neuen Fabrik in Serbien eingeladen und hat dort mit den beiden über ihr Produkt gesprochen.

Was sind Nanoröhren?

Nanoröhren bestehen aus Kohlenstoff – und sind unglaublich klein. Ein Haufen von ihnen sieht aus wie ein Klumpen schwarzes Pulver. Aber die Röhren haben es in sich: Sie sind nicht nur mechanisch sehr stark, sondern auch besonders leitfähig – sowohl elektrisch als auch thermisch. Wenn sie einem anderen Material hinzugefügt werden, können sie die Eigenschaften davon stark verbessern. Werden die Nanoröhren dem Gummi von Autoreifen beigemischt, verschleißen diese weniger schnell. Anderes Beispiel: Bei Autobatterien kann die Energiedichte erhöht werden und sie erreichen dadurch eine höhere Reichweite. Dafür reichen bereits sehr geringe Mengen an Nanoröhren aus.

Das schwarze Pulver besteht aus Kohlenstoff-Nanoröhren. Das besondere: Die Röhren sind unglaublich klein – und nur ein Atom dick. Um das zu veranschaulichen, nimmt Notman ein Blatt Papier in die Hand und rollt es zusammen: „Stellen Sie sich vor, diese Schicht, dieses Blatt Papier, besteht aus einer Schicht, die nur ein Atom dick ist – aus Kohlenstoff. Einfach natürlicher Kohlenstoff. Nur ein Atom. Dieses Material wird als das erste 2D-Material der Welt bezeichnet und heißt Graphen.“

Graphen ist ein weiteres wichtiges Stichwort in der Welt der Nanoröhren. 2004 gelang es den Physikern Konstantin Novoselov und Andre Geim, Kristalle herzustellen, die lediglich aus einer Lage einzelner Kohlenstoffatome bestehen. 2010 wurden sie für ihre Forschung an Graphen mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. „Dieses Material kombiniert absolut einzigartige Eigenschaften“, sagt Notman. Es handelt sich zum einen um ein super starkes Material. Zum anderen ist es sehr leitfähig – sowohl elektrisch als auch thermisch.

Graphen kann jedoch nicht in Massen produziert werden. Denn man kann es „nur auf der Oberfläche von etwas herstellen und es auf der Oberfläche befestigen“, sagt Notman. Ansonsten würde das Material sofort zusammenkleben. Und hier kommt OCSiAl ins Spiel. Das Unternehmen mit Sitz in Luxemburg hat eine Methode entwickelt, wie man das gleiche Material in großer Menge produzieren kann: in einwandigen Kohlenstoff-Nanoröhren, die im Durchmesser etwa 50.000 bis 70.000 Mal kleiner sind als ein menschliches Haar.

Wo es eingesetzt wird

Die Eigenschaften bleiben die gleichen – und führen zu vielseitigen Einsatzmöglichkeiten. Notman nennt einige Beispiele. In der Pharmaindustrie sind etwa bei der Herstellung von Medikamenten absolut saubere Umgebungen notwendig. Einer der Hauptgründe für Staub auf Oberflächen ist statische Elektrizität. Deswegen müssen alle Oberflächen antistatisch gemacht werden. Dafür kann man den Oberflächen viel Ruß hinzufügen, was diese aber schwarz macht. Mit Nanoröhren können die Oberflächen hell und trotzdem elektrisch leitfähig bleiben, weil sie in extrem niedrigen Dosierungen verwendet werden können.

CEO Konstantin Notman und Verwaltungsratsmitglied Alain Kinsch
CEO Konstantin Notman und Verwaltungsratsmitglied Alain Kinsch Foto: RTL/David Winter

Auch als Materialverstärker kommen die Nanoröhren zum Einsatz. In der Öl- und Gasindustrie werden sehr tiefe Bohrungen von über drei Kilometern Tiefe unter extrem aggressiven Bedingungen durchgeführt. Nanoröhren können die mechanischen Eigenschaften der Gummis verbessern, die als Dichtungen verwendet werden, was wiederum die Wartungsintervalle verlängert – und die Kosten senkt.

Der Hauptmarkt von OCSiAl ist derzeit die Batterieherstellung. „Wir arbeiten mit allen großen Herstellern zusammen“, sagt Notman. Mithilfe von Nanoröhren können die Hersteller Silizium in der Anode verwenden und so die Energiedichte erhöhen. Eine Batterie kann so bei gleichem Volumen bis zu 30 Prozent mehr Energie speichern. Das Resultat: kleinere und deswegen günstigere Batterien – oder mehr Reichweite bei gleicher Größe. Außerdem ermöglichen Nanoröhren eine schnellere Lade- und Entladegeschwindigkeit.

Die Mischung macht’s

Klingt alles schön und gut – aber einfach war der Zugang zur Industrie für OCSiAl nicht. „Die Führungskräfte in der Industrie sind manchmal nicht so innovativ. Sie warten, bis jemand mit gebrauchsfertiger Technologie, mit gebrauchsfertigen Produkten und mit detaillierten Erklärungen zu ihnen kommt“, sagt Notman. Als OCSiAl die erste Anlage zur Produktion von Nanoröhren in Betrieb nahm, erwartete der CEO einen Ansturm – der blieb aber aus.

In der Fabrik werden die Nanoröhren zur einfacheren Anwendung in der Industrie zu einer homogenen Mischung verarbeitet
In der Fabrik werden die Nanoröhren zur einfacheren Anwendung in der Industrie zu einer homogenen Mischung verarbeitet Foto: OCSiAl

Also hat das Unternehmen eine Lösung entwickelt, um sein Produkt an den Mann zu bringen. Die Idee: Das Additiv mit den Nanoröhren wird so vorbereitet, dass es direkt einsetzbar ist – ohne dass der Kunde etwas an seinem Prozess ändern muss. „Es ist, als ob man Milch in einen Kaffee gibt, um einen Latte Macchiato zu machen: Das Produkt wird so geliefert, dass es einfach in den Produktionsprozess eingefügt werden kann“, sagt Verwaltungsratsmitglied Kinsch. Dadurch hätten auch große Unternehmen aus der Automobilbranche Interesse gezeigt.

Die Herausforderung besteht darin, aus dem starren, schwarzen Pulver ein leicht anwendbares Produkt zu machen. CEO Notman erklärt dies wieder anhand eines praktischen Beispiels: der Kunststoffbeschichtung eines Schreibtisches. Die Wissenschaftler von OCSiAl analysieren die Rezeptur der Beschichtung und versuchen die Hauptkomponenten auszumachen. Eine dieser Komponenten wird dann zum „Transportfahrzeug“: Es wird mit Nanoröhren verbunden und dann in Form eines Konzentrats wieder hinzugefügt. Die benötigte Menge an Nanoröhren, um die Eigenschaften eines Materials zu ändern, ist dabei sehr gering.

Sicherheit wird großgeschrieben

Immer, wenn mit neuen Materialien gearbeitet wird, kommt unweigerlich die Frage nach der Sicherheit auf. Zu oft wurde erst im Nachhinein festgestellt, dass eine Gefahr für die Gesundheit besteht, wie etwa beim Asbest. Notman hat keine Bedenken, was Nanoröhren betrifft: „Ich bin mir absolut sicher.“

OCSiAl hat mehrere Millionen für unabhängige Tests und Untersuchungen ausgegeben, erzählt der CEO. Hinzu kommen die formell vorgeschriebenen Tests für eine offizielle Registrierung bei der Europäischen Chemikalienagentur. Die gleiche Prozedur haben die Nanoröhren bei der Umweltschutzbehörde der USA, in Südkorea, in der Türkei und in „vielen anderen Ländern“ durchlaufen.

Notman räumt dann auch gleich ein Gerücht aus der Welt. Es werde behauptet, dass die starren Nanopartikel menschliche Zellen durchbrechen können. „Nein, wir haben es getestet“, sagt er dazu. Die einwandigen Nanoröhren seien mechanisch sehr stark, aber gleichzeitig auch sehr flexibel. Aus chemischer Sicht handele es sich bei den Nanoröhren um reinen Kohlenstoff – man könne sie also theoretisch wie Kohletabletten zu sich nehmen.

Zukunftsmusik

Notman sieht OCSiAl derzeit im Wettbewerb um die Nanoröhren gut aufgestellt: „Wir sind allen Konkurrenten auf dem Markt um zehn Jahre voraus.“ Trotzdem will das Unternehmen seine Produkte weiterentwickeln und neue Bereiche erschließen: „Es gibt so viele Möglichkeiten auf dem Reifenmarkt, auf den Märkten für Baumaterialien und für Asphalt sowie auf den Textilmärkten.“

Mit Nanoröhren ist theoretisch sogar ein Weltraumlift denkbar. Das Problem: Es werden kilometerlange Nanoröhren benötigt. „Wir arbeiten in diese Richtung“, sagt Notman – doch man sei noch sehr weit entfernt.

Zurück in die Gegenwart. „Es geht darum, weniger Material benutzen zu müssen, weil Nanoröhren die Haltbarkeit der Materialien erhöhen“, sagt Notman. Dafür hat der CEO ein letztes Beispiel im Gepäck: Autoreifen. Mithilfe von Nanoröhren kann der Rollwiderstand verringert werden – was wiederum den Spritverbrauch senkt. Außerdem verringern die mechanischen Eigenschaften der Nanoröhren den Verschleiß der Reifen, wodurch weniger Mikroplastik in die Umwelt gerät. OCSiAl arbeitet deswegen mit zwei Riesen des Reifengeschäfts zusammen, um sogenannte grüne Reifen herzustellen. So sollen Nanoröhren helfen, Ressourcen zu sparen.

Grober J-P.
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