„Ich bin sowohl aus privaten als auch aus beruflichen Gründen hier“, sagte Lauren Crisp am Montag. Dabei saß sie im Konferenzraum des Hotels Sofitel Luxembourg Europe, wartete auf den Beginn der Tagung „Colloque LGTBIQ+“ des Ministeriums für Gleichstellung und Diversität (Mega). Noch war der Saal fast leer und die eingeladenen Gesangschöre stumm, als Crisp von ihrer Familie erzählte. Ihre Ehefrau und sie haben gemeinsame Kinder. Crisp muss die Kinder, die ihre Partnerin ausgetragen hat, jedoch adoptieren. Den Antrag kann sie erst drei Monate nach der Geburt stellen. „Ich will mein eigenes Kind nicht adoptieren“, stellte Crisp im Laufe des Gesprächs klar. „Hoffentlich kann ich heute Druck machen oder mich mit Familien in ähnlichen Situationen vernetzen.“
Nach und nach füllte sich der Raum mit den Menschen, deren Beistand Crisp sucht: Vertretungen der unterschiedlichsten Organisationen, darunter „Rosa Lëtzebuerg“ und „Centre LGBTIQ+ Cigale“ (Cigale); die Abgeordneten Mandy Minella (DP) und Claire Delcourt (LSAP) – Minella ist die Präsidentin der „Commission de la famille, des solidarités, du vivre ensemble, de l’accueil, de l’égalité des genres et de la diversité“, Delcourt ihre Stellvertreterin – sowie Regierungsmitarbeitende.
Historie LGBTI-Aktionsplan
2015
Entscheidung, die LGBTI-Politik interministeriell zu koordinieren und das Ministerium für Familie damit zu beauftragen
2016
Kreation einer interministeriellen Arbeitsgruppe zu LGBTIQ+
2017
Beschluss, einen nationalen Aktionsplan LGBTIQ+ zu verfassen
2018
1. Aktionsplan LGBTI wird vom Regierungsrat verabschiedet
2018-2023
Im Koalitionsvertrag wird zum ersten Mal eine gezielte Politik für LGBTI-Rechte vorgesehen
2025
Ende Juli soll der 2. Aktionsplan LGBTIQ+ präsentiert werden
Gesang und Fakten
Die zuständige Ministerin Yuriko Backes (DP) eröffnete die ganztägige Konferenz, die neben dem offiziellen Teil 16 geschlossene Ateliers zu diversen Themen – und ein Musikprogramm – bereithielt. Eine ungewohnte Mischung: Der „Queer Choir“ von „Rosa Lëtzebuerg“ lancierte das Programm mit dem beschwingten Song „We love to sing for you“, während die Ministerin in ihrer Ansprache auf die angespannte geopolitische und gesellschaftliche Situation verwies. „Wir erleben einen Pushback: Frauen- und LGBTIQI+-Rechte sind zunehmend in Gefahr“, gab sie zu bedenken. „Die Desinformation aus rechten Kreisen, aber auch vonseiten der Regierungen nehmen zu. Wir brauchen konkrete Maßnahmen, um dagegen vorzugehen.“ In Luxemburg arbeite die Regierung seit Jahren an der Verbesserung der Lebenssituation von LGBTQI+-Menschen, versicherte Backes.
Die Desinformation aus rechten Kreisen, aber auch vonseiten der Regierungen nehmen zu. Wir brauchen konkrete Maßnahmen, um dagegen vorzugehen.
Dies trägt bisher nur bedingt Früchte, wie Miltos Pavlou von der „European Union Agency for Fundamental Rights“ (FRA) offenbarte. Pavlou trat nach der Gesangseinlage von Anastasia der „Singing Class“ des „Cigale“ ans Rednerpult. Entschuldigte er sich zunächst für die ausbleibende Performance seinerseits, präsentierte er später Auszüge der Studie „LGBTIQ equality at a crossroads: progress and challenges“ (2024). Das Tageblatt schrieb ebenfalls bereits über den Länderbericht zu Luxemburg und hob hervor: Die Hälfte der hiesigen Befragten wurde ein Jahr vor der Datenerhebung (2022) bedrängt, doch nur fünf Prozent erstatteten Anzeige. Meist aus Angst gegenüber den Autoritäten. Interessant: 64 Prozent haben hingegen Vertrauen in die luxemburgische Regierung. „Wie erklären Sie sich das?“, lautete eine Frage aus dem Publikum an Pavlou. „Die Frage gebe ich an euch zurück“, konterte der Befragte. Eine Antwort erhielt er an dem Nachmittag nicht.

Zweiter Aktionsplan im Sommer
Dafür lieferte Romaine Boever, Beauftragte für die Gleichstellung von LGBTIQ+-Personen im Mega, andere Auskünfte. „Der erste Aktionsplan LGBTI wurde 2018 erstellt, damit wir einen roten Faden haben“, erklärte sie. „Zu dem Zeitpunkt konnten wir nicht auf Recherchen aus dem Inland zurückgreifen und mussten uns unter anderem an den Ergebnissen der FRA orientieren.“ Inzwischen gebe es nationale Recherchegruppen wie das „Laboratoire d’études queer, sur le genre et les féminismes“ oder das „Luxembourg Institute for LGBTIQ+ Inclusion“. Von diesen erwarte das Mega bald erste Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit.
Der Aktionsplan sei derweil zu 80 Prozent umgesetzt worden (Stand: 24. März), fünf Prozent der geplanten Aktionen würden in Kürze durchgeführt und zwölf Prozent verworfen. „Zu den bald abgeschlossenen Dossiers zählen intersektionale Maßnahmen wie Weiterbildungen zu Obdachlosigkeit oder Handicap in Bezug auf LGBTIQ+“, erläuterte Boever auf Tageblatt-Nachfrage. „Andere Forderungen haben sich in der Zwischenzeit erübrigt oder wurden aus legislativen Gründen aufgegeben.“
War die erste Version noch in acht Kapitel unterteilt (Bildung, Arbeit, Gesundheit, Familie, Integration, Hassverbrechen, trans und intersex Rechte), soll der zweite Aktionsplan um fünf weitere Themenfelder ergänzt werden: lokale Gleichstellungsarbeit, Kultur und Sport, Engagement der Zivilgesellschaft, Recherche und Außenpolitik. Der zweite Aktionsplan LGBTIQ+ soll dem Regierungsrat Ende Juli vorliegen. „Die heutige Veranstaltung dient unter anderem der Beratung mit der Zivilgesellschaft“, unterstrich Boever, „auch wenn wir nicht jeden Vorschlag eins zu eins übernehmen können.“
Fazit
Nach diesen Redebeiträgen zogen sich die Teilnehmenden in die Ateliers zurück, die sich nach den Kapiteln des Aktionsplans richteten. Die Presse war nicht zugelassen, durfte aber zum Abschluss der Konferenz einer Cover-Version von John Lennons „Imagine“ vom „Queer Choir“ lauschen, bevor die Schlussfolgerungen der Arbeitsgruppen in Kurzfassung dargeboten wurden.
In Bezug auf trans und intersex Personen wurden spezifischere Bedürfnisse laut: So etwa ein Ende der Psychiatrisierung von trans Identität – trans Personen benötigen für die Transition bedingte Behandlungen ein Attest von psychiatrischem Fachpersonal. Ferner waren die Definition des Begriffs „intersex“ oder das Verbot nicht lebensnotwendiger Eingriffe an den Geschlechtsmerkmalen betroffener Kinder Thema. Eine Auswahl der gemeinsamen Nenner aller Gruppen: Es fehlt an Informationen sowie am Zugang dazu, an Statistiken, Weiterbildungen und Safe Spaces in den verschiedenen Bereichen.
Ob Familien wie die von Lauren Crisp in Zukunft auf Lösungen hoffen können? „Für uns war es heute wichtig, zuzuhören“, schlussfolgerte Ministerin Yuriko Backes jedenfalls. „Wir müssen uns zu Herzen nehmen, mit den betroffenen Personengruppen zu sprechen. Um den zweiten Aktionsplan umzusetzen, sind wir aber auch auf die anderen Ministerien angewiesen: Vieles liegt in deren Händen. Es ist wichtig, dass wir die heute geleistete Arbeit weitertragen.“
De Maart

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